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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der grosse Ocean.

Die Chinesenstadt Schanghai, welche nur 125.000 Einwohner
zählt, unterscheidet sich in nichts von den übrigen bekannten Städten
des Reiches. Eine breite, an 8 m hohe Ringmauer mit vorliegendem
Wassergraben umschliesst das Innere, das ein Labyrinth enger und
krummer Gassen bildet, in denen sich das nimmermüde chinesische
Treiben abspielt, zu dessen ständiger Begleitung ein ununterbrochenes
Schreien und Rufen gehört. Koth und Schlamm in den engen Strassen
und Winkeln, unglaublicher Schmutz in allen Häusern, und dazu ein
Gemisch ganz abscheulicher Dünste, das in der ganzen Stadt verbreitet
ist, sind mit jeder Chinesenstadt so innig verbunden, dass es kaum
Wunder nehmen kann, sie auch hier vorzufinden.

Schanghai, schon seit Jahrhunderten ein bedeutender Ort, ist
jetzt das grosse Emporium für den Handel des reichen, theilweise
durch Dampfschiffe erschlossenen Gebietes des Yangtsekiang und
der nördlichen Häfen von China, und seit der Eröffnung von Japan
und Korea in einem gewissen Sinne disponirender Platz auch für
diese Länder. Folgerichtig ist hier der Sitz des statistischen Departe-
ments des "Imperial Maritime Customs", und die Engländer haben
ihren "Supreme Court of China and Japan", den Appellationshof für
die britischen Unterthanen, die dort sich aufhalten, und für die
Streitfälle zwischen Engländern und Ausländern, nach Schanghai
verlegt.

Die Grundlage der Grösse Schanghais sind die Wasserstrassen,
welche den Hafen mit dem Kaisercanale und dem Yangtsekiang
verbinden. Localdampfer vermitteln den Küstenverkehr.

Eine Reihe gut gebauter Strassen, welche von den Europäern
angelegt wurden und weiter geführt werden, vermittelt den Verkehr
mit den näheren Gebieten. Leider erregte seinerzeit die Eisenbahn,
welche als die erste im chinesischen Reiche im Juni 1867 eröffnet
wurde und Schanghai mit Wusung verband, bei den chinesischen
Machthabern Missmuth und fiel der Furcht zum Opfer, dass durch sie
einem grossen Theile der ärmeren Bevölkerung seine Beschäftigung
entzogen werden könnte. Nachdem sie durch 16 Monate in Betrieb
gestanden war, wurde sie von den chinesischen Behörden angekauft
und abgebrochen.

Daher ist der ganze Verkehr mit dem Binnenlande auf die
Wasserstrassen angewiesen. Der Hafen ist von der See aus nur nach
Durchschiffung eines Stromdeltas voll Fährlichkeiten zu erreichen,
unter denen das Passiren der Wusung-Barre das Unangenehmste ist.
Der mittlere Wasserstand bei Flut beträgt über derselben nur 19 Fuss,

Der grosse Ocean.

Die Chinesenstadt Schanghai, welche nur 125.000 Einwohner
zählt, unterscheidet sich in nichts von den übrigen bekannten Städten
des Reiches. Eine breite, an 8 m hohe Ringmauer mit vorliegendem
Wassergraben umschliesst das Innere, das ein Labyrinth enger und
krummer Gassen bildet, in denen sich das nimmermüde chinesische
Treiben abspielt, zu dessen ständiger Begleitung ein ununterbrochenes
Schreien und Rufen gehört. Koth und Schlamm in den engen Strassen
und Winkeln, unglaublicher Schmutz in allen Häusern, und dazu ein
Gemisch ganz abscheulicher Dünste, das in der ganzen Stadt verbreitet
ist, sind mit jeder Chinesenstadt so innig verbunden, dass es kaum
Wunder nehmen kann, sie auch hier vorzufinden.

Schanghai, schon seit Jahrhunderten ein bedeutender Ort, ist
jetzt das grosse Emporium für den Handel des reichen, theilweise
durch Dampfschiffe erschlossenen Gebietes des Yangtsekiang und
der nördlichen Häfen von China, und seit der Eröffnung von Japan
und Korea in einem gewissen Sinne disponirender Platz auch für
diese Länder. Folgerichtig ist hier der Sitz des statistischen Departe-
ments des „Imperial Maritime Customs“, und die Engländer haben
ihren „Supreme Court of China and Japan“, den Appellationshof für
die britischen Unterthanen, die dort sich aufhalten, und für die
Streitfälle zwischen Engländern und Ausländern, nach Schanghai
verlegt.

Die Grundlage der Grösse Schanghais sind die Wasserstrassen,
welche den Hafen mit dem Kaisercanale und dem Yangtsekiang
verbinden. Localdampfer vermitteln den Küstenverkehr.

Eine Reihe gut gebauter Strassen, welche von den Europäern
angelegt wurden und weiter geführt werden, vermittelt den Verkehr
mit den näheren Gebieten. Leider erregte seinerzeit die Eisenbahn,
welche als die erste im chinesischen Reiche im Juni 1867 eröffnet
wurde und Schanghai mit Wusung verband, bei den chinesischen
Machthabern Missmuth und fiel der Furcht zum Opfer, dass durch sie
einem grossen Theile der ärmeren Bevölkerung seine Beschäftigung
entzogen werden könnte. Nachdem sie durch 16 Monate in Betrieb
gestanden war, wurde sie von den chinesischen Behörden angekauft
und abgebrochen.

Daher ist der ganze Verkehr mit dem Binnenlande auf die
Wasserstrassen angewiesen. Der Hafen ist von der See aus nur nach
Durchschiffung eines Stromdeltas voll Fährlichkeiten zu erreichen,
unter denen das Passiren der Wusung-Barre das Unangenehmste ist.
Der mittlere Wasserstand bei Flut beträgt über derselben nur 19 Fuss,

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[406/0422] Der grosse Ocean. Die Chinesenstadt Schanghai, welche nur 125.000 Einwohner zählt, unterscheidet sich in nichts von den übrigen bekannten Städten des Reiches. Eine breite, an 8 m hohe Ringmauer mit vorliegendem Wassergraben umschliesst das Innere, das ein Labyrinth enger und krummer Gassen bildet, in denen sich das nimmermüde chinesische Treiben abspielt, zu dessen ständiger Begleitung ein ununterbrochenes Schreien und Rufen gehört. Koth und Schlamm in den engen Strassen und Winkeln, unglaublicher Schmutz in allen Häusern, und dazu ein Gemisch ganz abscheulicher Dünste, das in der ganzen Stadt verbreitet ist, sind mit jeder Chinesenstadt so innig verbunden, dass es kaum Wunder nehmen kann, sie auch hier vorzufinden. Schanghai, schon seit Jahrhunderten ein bedeutender Ort, ist jetzt das grosse Emporium für den Handel des reichen, theilweise durch Dampfschiffe erschlossenen Gebietes des Yangtsekiang und der nördlichen Häfen von China, und seit der Eröffnung von Japan und Korea in einem gewissen Sinne disponirender Platz auch für diese Länder. Folgerichtig ist hier der Sitz des statistischen Departe- ments des „Imperial Maritime Customs“, und die Engländer haben ihren „Supreme Court of China and Japan“, den Appellationshof für die britischen Unterthanen, die dort sich aufhalten, und für die Streitfälle zwischen Engländern und Ausländern, nach Schanghai verlegt. Die Grundlage der Grösse Schanghais sind die Wasserstrassen, welche den Hafen mit dem Kaisercanale und dem Yangtsekiang verbinden. Localdampfer vermitteln den Küstenverkehr. Eine Reihe gut gebauter Strassen, welche von den Europäern angelegt wurden und weiter geführt werden, vermittelt den Verkehr mit den näheren Gebieten. Leider erregte seinerzeit die Eisenbahn, welche als die erste im chinesischen Reiche im Juni 1867 eröffnet wurde und Schanghai mit Wusung verband, bei den chinesischen Machthabern Missmuth und fiel der Furcht zum Opfer, dass durch sie einem grossen Theile der ärmeren Bevölkerung seine Beschäftigung entzogen werden könnte. Nachdem sie durch 16 Monate in Betrieb gestanden war, wurde sie von den chinesischen Behörden angekauft und abgebrochen. Daher ist der ganze Verkehr mit dem Binnenlande auf die Wasserstrassen angewiesen. Der Hafen ist von der See aus nur nach Durchschiffung eines Stromdeltas voll Fährlichkeiten zu erreichen, unter denen das Passiren der Wusung-Barre das Unangenehmste ist. Der mittlere Wasserstand bei Flut beträgt über derselben nur 19 Fuss,

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/422>, abgerufen am 22.11.2024.