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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der grosse Ocean.
Höfen und Vorhallen, in denen zumeist eine grosse Zahl von Sol-
daten und Gesinde herumlungert, und von dort in die eigentlichen
Wohngebäude. Insoweit diese dem Fremden zugänglich sind, machen
sie fast ausnahmslos durch ihre ärmliche Einrichtung, die keine
sonderliche Reinlichkeit verrathenden Lehmböden und den Mangel
an hinreichend grossen Fensteröffnungen keinen angenehmen Eindruck.

Besonders hervorzuheben sind der Palast des General-Gouverneurs,
nahezu im Centrum der Stadt, das Confucius-Collegium, die Prüfungs-
halle, der Tempel der fünf Genien, der kaiserliche Tempel und die
Fünf-Stock-Pagode (Five Story Pagoda), die im nördlichen Theile der
Stadt, wo diese gegen die umgrenzenden Hügel ansteigt, und, wie man
erzählt, als militärische Beobachtungsstation errichtet worden ist. Der
Rundblick von ihr lohnt kaum der Mühe des langen und eintönigen
Weges, den man längs der Stadtmauer dahin zurückzulegen hat.
Immerhin aber überblickt man das Häusermeer Cantons, aus welchem
die hohen Flaggenmaste der öffentlichen Gebäude und die Thürme
der in nicht geringer Zahl vorhandenen Feuerhäuser hervortreten, und
erkennt die bedeutende Ausdehnung des mauerumgürteten, theilweise
brach liegenden Areals der Tartarenstadt, welches als Uebungsfeld
des in Canton zahlreichen Militärs dient. In der Nähe des Nord-
thores liegen auch die ausgedehnten Gebäude der 1889 errichteten
Münze, welche mehr Prägemaschinen besitzt als irgend eine andere
auf der Erde. Die von der Stadtmauer gegen Nord ansteigenden
Hügelhänge sind mit Grabstätten dicht besetzt, die in ihrer Ein-
förmigkeit und in Verbindung mit dem Mangel einer lebhafteren
Vegetation ein recht trauriges Bild bieten.

Neu-Canton ist die eigentliche Geschäftsstadt. Dichtgedrängt und
nur durch schmale, häufig kaum mannsbreite Gassenzüge getrennt,
stehen da grösstentheils aus Mauerwerk hergestellte Häuser, deren
Aeusseres nur kahle, selten mehr als ein Stockwerk hohe Wände
zeigt, oft in fast unglaublicher Unregelmässigkeit aneinandergereiht.
Die staunenswerth grosse Zahl von in den schreiendsten Farbentönen
gehaltenen Schildern und Tafeln, welche jedes Haus ausnahmslos an
der Vorderfront gegen die Strassenseite zu aufweist, die zumeist reiche
Ausstattung der das ganze Erdgeschoss des Hauses einnehmenden
Verkaufsläden und das geschäftige Treiben auf den Strassen, welches
durch das Schreien und Lärmen der Ausrufer und der in ständigem
Feilschen begriffenen Passanten in Verbindung mit einer schwülen,
von unsauberen Dünsten geschwängerten Luft geradezu betäubend
wirkt, nehmen die Sinne des Fremden derart gefangen, dass eine

Der grosse Ocean.
Höfen und Vorhallen, in denen zumeist eine grosse Zahl von Sol-
daten und Gesinde herumlungert, und von dort in die eigentlichen
Wohngebäude. Insoweit diese dem Fremden zugänglich sind, machen
sie fast ausnahmslos durch ihre ärmliche Einrichtung, die keine
sonderliche Reinlichkeit verrathenden Lehmböden und den Mangel
an hinreichend grossen Fensteröffnungen keinen angenehmen Eindruck.

Besonders hervorzuheben sind der Palast des General-Gouverneurs,
nahezu im Centrum der Stadt, das Confucius-Collegium, die Prüfungs-
halle, der Tempel der fünf Genien, der kaiserliche Tempel und die
Fünf-Stock-Pagode (Five Story Pagoda), die im nördlichen Theile der
Stadt, wo diese gegen die umgrenzenden Hügel ansteigt, und, wie man
erzählt, als militärische Beobachtungsstation errichtet worden ist. Der
Rundblick von ihr lohnt kaum der Mühe des langen und eintönigen
Weges, den man längs der Stadtmauer dahin zurückzulegen hat.
Immerhin aber überblickt man das Häusermeer Cantons, aus welchem
die hohen Flaggenmaste der öffentlichen Gebäude und die Thürme
der in nicht geringer Zahl vorhandenen Feuerhäuser hervortreten, und
erkennt die bedeutende Ausdehnung des mauerumgürteten, theilweise
brach liegenden Areals der Tartarenstadt, welches als Uebungsfeld
des in Canton zahlreichen Militärs dient. In der Nähe des Nord-
thores liegen auch die ausgedehnten Gebäude der 1889 errichteten
Münze, welche mehr Prägemaschinen besitzt als irgend eine andere
auf der Erde. Die von der Stadtmauer gegen Nord ansteigenden
Hügelhänge sind mit Grabstätten dicht besetzt, die in ihrer Ein-
förmigkeit und in Verbindung mit dem Mangel einer lebhafteren
Vegetation ein recht trauriges Bild bieten.

Neu-Canton ist die eigentliche Geschäftsstadt. Dichtgedrängt und
nur durch schmale, häufig kaum mannsbreite Gassenzüge getrennt,
stehen da grösstentheils aus Mauerwerk hergestellte Häuser, deren
Aeusseres nur kahle, selten mehr als ein Stockwerk hohe Wände
zeigt, oft in fast unglaublicher Unregelmässigkeit aneinandergereiht.
Die staunenswerth grosse Zahl von in den schreiendsten Farbentönen
gehaltenen Schildern und Tafeln, welche jedes Haus ausnahmslos an
der Vorderfront gegen die Strassenseite zu aufweist, die zumeist reiche
Ausstattung der das ganze Erdgeschoss des Hauses einnehmenden
Verkaufsläden und das geschäftige Treiben auf den Strassen, welches
durch das Schreien und Lärmen der Ausrufer und der in ständigem
Feilschen begriffenen Passanten in Verbindung mit einer schwülen,
von unsauberen Dünsten geschwängerten Luft geradezu betäubend
wirkt, nehmen die Sinne des Fremden derart gefangen, dass eine

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[442/0458] Der grosse Ocean. Höfen und Vorhallen, in denen zumeist eine grosse Zahl von Sol- daten und Gesinde herumlungert, und von dort in die eigentlichen Wohngebäude. Insoweit diese dem Fremden zugänglich sind, machen sie fast ausnahmslos durch ihre ärmliche Einrichtung, die keine sonderliche Reinlichkeit verrathenden Lehmböden und den Mangel an hinreichend grossen Fensteröffnungen keinen angenehmen Eindruck. Besonders hervorzuheben sind der Palast des General-Gouverneurs, nahezu im Centrum der Stadt, das Confucius-Collegium, die Prüfungs- halle, der Tempel der fünf Genien, der kaiserliche Tempel und die Fünf-Stock-Pagode (Five Story Pagoda), die im nördlichen Theile der Stadt, wo diese gegen die umgrenzenden Hügel ansteigt, und, wie man erzählt, als militärische Beobachtungsstation errichtet worden ist. Der Rundblick von ihr lohnt kaum der Mühe des langen und eintönigen Weges, den man längs der Stadtmauer dahin zurückzulegen hat. Immerhin aber überblickt man das Häusermeer Cantons, aus welchem die hohen Flaggenmaste der öffentlichen Gebäude und die Thürme der in nicht geringer Zahl vorhandenen Feuerhäuser hervortreten, und erkennt die bedeutende Ausdehnung des mauerumgürteten, theilweise brach liegenden Areals der Tartarenstadt, welches als Uebungsfeld des in Canton zahlreichen Militärs dient. In der Nähe des Nord- thores liegen auch die ausgedehnten Gebäude der 1889 errichteten Münze, welche mehr Prägemaschinen besitzt als irgend eine andere auf der Erde. Die von der Stadtmauer gegen Nord ansteigenden Hügelhänge sind mit Grabstätten dicht besetzt, die in ihrer Ein- förmigkeit und in Verbindung mit dem Mangel einer lebhafteren Vegetation ein recht trauriges Bild bieten. Neu-Canton ist die eigentliche Geschäftsstadt. Dichtgedrängt und nur durch schmale, häufig kaum mannsbreite Gassenzüge getrennt, stehen da grösstentheils aus Mauerwerk hergestellte Häuser, deren Aeusseres nur kahle, selten mehr als ein Stockwerk hohe Wände zeigt, oft in fast unglaublicher Unregelmässigkeit aneinandergereiht. Die staunenswerth grosse Zahl von in den schreiendsten Farbentönen gehaltenen Schildern und Tafeln, welche jedes Haus ausnahmslos an der Vorderfront gegen die Strassenseite zu aufweist, die zumeist reiche Ausstattung der das ganze Erdgeschoss des Hauses einnehmenden Verkaufsläden und das geschäftige Treiben auf den Strassen, welches durch das Schreien und Lärmen der Ausrufer und der in ständigem Feilschen begriffenen Passanten in Verbindung mit einer schwülen, von unsauberen Dünsten geschwängerten Luft geradezu betäubend wirkt, nehmen die Sinne des Fremden derart gefangen, dass eine

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/458>, abgerufen am 22.11.2024.