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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Die atlantische Küste von Amerika.

Bald nach Gründung der niederländischen Colonie Novum Bel-
gium (New-York) erschienen an vielen Küstenpunkten Neu-Englands
(gegenwärtig die Staaten Maine, New-Hampshire, Vermont, Massa-
chusetts, Rhode Island und Conecticut) die Colonnen der ersten An-
siedler aus Grossbritannien.

Bei Plymonth, in einer Bucht südlich von Boston, wohin gegen-
wärtig die Old Colonial-Eisenbahn führt, landete im Jahre 1620 die
zu historischer Berühmtheit gelangte Schar der Puritaner, der Stamm-
väter einer Aristokratie nach amerikanischem Zuschnitt, die heute mit
Stolz auf die Thaten ihrer Vorfahren, der "Pilgerväter", zurückblickt.

In Salem, 20 km nördlich des heutigen Boston, entstand gleich-
falls eine Colonie, die aber 1630 verlassen und nach Charlestown
verlegt ward. Auch letzter Punkt entsprach nicht, weil dort gutes
Trinkwasser fehlte, und so wanderte man am 17. September 1630
nach der knapp anliegenden Halbinsel Trimountain, später Tremont
(von den Indianern Shawmutt) genannt, deren drei Hügel ihr den
Namen gaben. Dort entstand die Niederlassung Boston, das an die
gleichnamige Stadt in England erinnern sollte, von wo viele der Co-
lonisten -- und unter diesen neben dem Gouverneur Winthrop ihr be-
deutendster Mann, Isaac Johnston -- herstammten.

Boston ward infolge seiner günstigen Lage alsbald zum Cen-
trum der Colonie Massachusetts, ein Name indianischer Abstammung,
gewählt. Rasch waren andere Küstenorte angesiedelt und in den
ersten zehn Jahren kamen 20.000 Einwanderer nach Boston. Die
Stadt besass 1639 bereits eine bewaffnete Macht von 1000 Mann,
und die Colonie Neu-England zählte 1674 schon 120.000 Einwohner.

Während der Befreiungskämpfe spielte Boston, wo die repu-
blikanische Strömung der Geister gegen die Bedrückung der Colonie
durch die englische Regierung zum Durchbruch kam, eine wichtige
Rolle.

1770 geschah in der jetzigen State-Street (damals King Str.)
ein Angriff des Volkes gegen englische Soldaten, andere blutige De-
monstrationen folgten und die Vernichtung der ungeheuren Thee-
ladungen im Hafen zeigte die ganze Erbitterung der Bevölkerung
gegen die ausbeutende Gesetzgebung Englands. Die Theeschiffe waren
Ende November und anfangs December 1773 angekommen, und als
am 16. December die Regierung auf der unerschwinglichen Besteuerung
der tiefgehassten Theeladungen verharrte, wurden die Schiffe von be-
waffneten Volkshaufen gestürmt und sämmtlicher Thee in das Meer
geworfen. Diese Ereignisse, deren Eindruck die freiheitlich gesinnte

Die atlantische Küste von Amerika.

Bald nach Gründung der niederländischen Colonie Novum Bel-
gium (New-York) erschienen an vielen Küstenpunkten Neu-Englands
(gegenwärtig die Staaten Maine, New-Hampshire, Vermont, Massa-
chusetts, Rhode Island und Conecticut) die Colonnen der ersten An-
siedler aus Grossbritannien.

Bei Plymonth, in einer Bucht südlich von Boston, wohin gegen-
wärtig die Old Colonial-Eisenbahn führt, landete im Jahre 1620 die
zu historischer Berühmtheit gelangte Schar der Puritaner, der Stamm-
väter einer Aristokratie nach amerikanischem Zuschnitt, die heute mit
Stolz auf die Thaten ihrer Vorfahren, der „Pilgerväter“, zurückblickt.

In Salem, 20 km nördlich des heutigen Boston, entstand gleich-
falls eine Colonie, die aber 1630 verlassen und nach Charlestown
verlegt ward. Auch letzter Punkt entsprach nicht, weil dort gutes
Trinkwasser fehlte, und so wanderte man am 17. September 1630
nach der knapp anliegenden Halbinsel Trimountain, später Tremont
(von den Indianern Shawmutt) genannt, deren drei Hügel ihr den
Namen gaben. Dort entstand die Niederlassung Boston, das an die
gleichnamige Stadt in England erinnern sollte, von wo viele der Co-
lonisten — und unter diesen neben dem Gouverneur Winthrop ihr be-
deutendster Mann, Isaac Johnston — herstammten.

Boston ward infolge seiner günstigen Lage alsbald zum Cen-
trum der Colonie Massachusetts, ein Name indianischer Abstammung,
gewählt. Rasch waren andere Küstenorte angesiedelt und in den
ersten zehn Jahren kamen 20.000 Einwanderer nach Boston. Die
Stadt besass 1639 bereits eine bewaffnete Macht von 1000 Mann,
und die Colonie Neu-England zählte 1674 schon 120.000 Einwohner.

Während der Befreiungskämpfe spielte Boston, wo die repu-
blikanische Strömung der Geister gegen die Bedrückung der Colonie
durch die englische Regierung zum Durchbruch kam, eine wichtige
Rolle.

1770 geschah in der jetzigen State-Street (damals King Str.)
ein Angriff des Volkes gegen englische Soldaten, andere blutige De-
monstrationen folgten und die Vernichtung der ungeheuren Thee-
ladungen im Hafen zeigte die ganze Erbitterung der Bevölkerung
gegen die ausbeutende Gesetzgebung Englands. Die Theeschiffe waren
Ende November und anfangs December 1773 angekommen, und als
am 16. December die Regierung auf der unerschwinglichen Besteuerung
der tiefgehassten Theeladungen verharrte, wurden die Schiffe von be-
waffneten Volkshaufen gestürmt und sämmtlicher Thee in das Meer
geworfen. Diese Ereignisse, deren Eindruck die freiheitlich gesinnte

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[30/0046] Die atlantische Küste von Amerika. Bald nach Gründung der niederländischen Colonie Novum Bel- gium (New-York) erschienen an vielen Küstenpunkten Neu-Englands (gegenwärtig die Staaten Maine, New-Hampshire, Vermont, Massa- chusetts, Rhode Island und Conecticut) die Colonnen der ersten An- siedler aus Grossbritannien. Bei Plymonth, in einer Bucht südlich von Boston, wohin gegen- wärtig die Old Colonial-Eisenbahn führt, landete im Jahre 1620 die zu historischer Berühmtheit gelangte Schar der Puritaner, der Stamm- väter einer Aristokratie nach amerikanischem Zuschnitt, die heute mit Stolz auf die Thaten ihrer Vorfahren, der „Pilgerväter“, zurückblickt. In Salem, 20 km nördlich des heutigen Boston, entstand gleich- falls eine Colonie, die aber 1630 verlassen und nach Charlestown verlegt ward. Auch letzter Punkt entsprach nicht, weil dort gutes Trinkwasser fehlte, und so wanderte man am 17. September 1630 nach der knapp anliegenden Halbinsel Trimountain, später Tremont (von den Indianern Shawmutt) genannt, deren drei Hügel ihr den Namen gaben. Dort entstand die Niederlassung Boston, das an die gleichnamige Stadt in England erinnern sollte, von wo viele der Co- lonisten — und unter diesen neben dem Gouverneur Winthrop ihr be- deutendster Mann, Isaac Johnston — herstammten. Boston ward infolge seiner günstigen Lage alsbald zum Cen- trum der Colonie Massachusetts, ein Name indianischer Abstammung, gewählt. Rasch waren andere Küstenorte angesiedelt und in den ersten zehn Jahren kamen 20.000 Einwanderer nach Boston. Die Stadt besass 1639 bereits eine bewaffnete Macht von 1000 Mann, und die Colonie Neu-England zählte 1674 schon 120.000 Einwohner. Während der Befreiungskämpfe spielte Boston, wo die repu- blikanische Strömung der Geister gegen die Bedrückung der Colonie durch die englische Regierung zum Durchbruch kam, eine wichtige Rolle. 1770 geschah in der jetzigen State-Street (damals King Str.) ein Angriff des Volkes gegen englische Soldaten, andere blutige De- monstrationen folgten und die Vernichtung der ungeheuren Thee- ladungen im Hafen zeigte die ganze Erbitterung der Bevölkerung gegen die ausbeutende Gesetzgebung Englands. Die Theeschiffe waren Ende November und anfangs December 1773 angekommen, und als am 16. December die Regierung auf der unerschwinglichen Besteuerung der tiefgehassten Theeladungen verharrte, wurden die Schiffe von be- waffneten Volkshaufen gestürmt und sämmtlicher Thee in das Meer geworfen. Diese Ereignisse, deren Eindruck die freiheitlich gesinnte

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/46>, abgerufen am 24.11.2024.