über die anderen Boote hinweg zu nehmen. Die Einwohnerzahl Can- tons wird noch immer auf 1·6 Millionen geschätzt; wenn man in Be- tracht zieht, dass der bei weitem grössere Theil der alten inneren Stadt nahezu unbewohnt ist, so kann man auf die immense Dichtig- keit der Bevölkerung in dem den Fluss begrenzenden Stadttheile und in der Wasserstadt schliessen.
Der östliche Theil der Wasserstadt hat gegenüber dem anderen ein aristokratisches Aussehen; die Boote sind bedeutend grösser und zeigen durch ihr Aeuseres, dass sie zu einem anderen Zwecke be- stimmt sind, als um einer armen Familie zur Wohnung zu dienen.
Das Oberdeck dieser ihrer Form und Grösse nach unter die Dschunken einzureihenden Boote trägt einen Glassalon, dessen Portal mit kunstvollen Schnitzereien reich verziert ist. Das Innere des Salons ist mit Spiegeln und Blumenguirlanden an den Wänden, mit Lustern und Hängelampen an der mit Sculpturen versehenen Decke und mit prunkvollem Möblement ausgestattet und zeigt Reichthum und Behag- lichkeit.
In langen Reihen, die einen gewissen Anspruch auf Regel- mässigkeit machen können, steht eines dieser Boote neben dem an- deren; allgemeine Ruhe herrscht hier im Gegensatz zum Treiben in der eigentlichen Wasserstadt. Diese "Blumenboote" Cantons, denn mit solchen haben wir es zu thun, haben ob ihrer prunkhaften Ausstat- tung einen Ruf in der Welt des Zopfes. Sobald die Sonne unter dem Horizont verschwindet, erglänzen diese Boote im unsicheren Lichte einer grossen Zahl von vielfärbigen Lampions, die Reihen der Boote lösen sich und unter den sanften Tönen einer Guitarre und dem Ge- sang chinesischer Schönen gleiten die Boote vom Strom und von der Abendbrise getrieben stromauf und stromab. Nur selten stiehlt sich ein greller Lichtstrahl aus einer Spalte der dicht verhängten Fenster des Salons oder der Ton freudigen Gelächters ins Freie und lässt errathen, dass es im Innern dieser Boote fröhlich hergehe und dass den sonst steifen Chinesen eine gewisse Leichtlebigkeit zuweilen doch nicht ganz fremd sei.
Dem südlichen Theile Cantons vorgeschoben liegt auf der Fluss- insel Schamien die Fremdenniederlassung; sie unterscheidet sich schon in ihrem äusseren Anblick günstig von der eigentlichen Stadt. Gute Uferbauten dämmen den Fluss ab, dichte Alleen laufen dem Haupt- ufer entlang und bilden eine herrliche Promenade, breite, gut ange- legte Wege durchziehen die Insel und theilen sie in Parcellen, deren jede eine Gartenanlage darstellt und in der Mitte das Wohn- und
Der grosse Ocean.
über die anderen Boote hinweg zu nehmen. Die Einwohnerzahl Can- tons wird noch immer auf 1·6 Millionen geschätzt; wenn man in Be- tracht zieht, dass der bei weitem grössere Theil der alten inneren Stadt nahezu unbewohnt ist, so kann man auf die immense Dichtig- keit der Bevölkerung in dem den Fluss begrenzenden Stadttheile und in der Wasserstadt schliessen.
Der östliche Theil der Wasserstadt hat gegenüber dem anderen ein aristokratisches Aussehen; die Boote sind bedeutend grösser und zeigen durch ihr Aeuseres, dass sie zu einem anderen Zwecke be- stimmt sind, als um einer armen Familie zur Wohnung zu dienen.
Das Oberdeck dieser ihrer Form und Grösse nach unter die Dschunken einzureihenden Boote trägt einen Glassalon, dessen Portal mit kunstvollen Schnitzereien reich verziert ist. Das Innere des Salons ist mit Spiegeln und Blumenguirlanden an den Wänden, mit Lustern und Hängelampen an der mit Sculpturen versehenen Decke und mit prunkvollem Möblement ausgestattet und zeigt Reichthum und Behag- lichkeit.
In langen Reihen, die einen gewissen Anspruch auf Regel- mässigkeit machen können, steht eines dieser Boote neben dem an- deren; allgemeine Ruhe herrscht hier im Gegensatz zum Treiben in der eigentlichen Wasserstadt. Diese „Blumenboote“ Cantons, denn mit solchen haben wir es zu thun, haben ob ihrer prunkhaften Ausstat- tung einen Ruf in der Welt des Zopfes. Sobald die Sonne unter dem Horizont verschwindet, erglänzen diese Boote im unsicheren Lichte einer grossen Zahl von vielfärbigen Lampions, die Reihen der Boote lösen sich und unter den sanften Tönen einer Guitarre und dem Ge- sang chinesischer Schönen gleiten die Boote vom Strom und von der Abendbrise getrieben stromauf und stromab. Nur selten stiehlt sich ein greller Lichtstrahl aus einer Spalte der dicht verhängten Fenster des Salons oder der Ton freudigen Gelächters ins Freie und lässt errathen, dass es im Innern dieser Boote fröhlich hergehe und dass den sonst steifen Chinesen eine gewisse Leichtlebigkeit zuweilen doch nicht ganz fremd sei.
Dem südlichen Theile Cantons vorgeschoben liegt auf der Fluss- insel Schamien die Fremdenniederlassung; sie unterscheidet sich schon in ihrem äusseren Anblick günstig von der eigentlichen Stadt. Gute Uferbauten dämmen den Fluss ab, dichte Alleen laufen dem Haupt- ufer entlang und bilden eine herrliche Promenade, breite, gut ange- legte Wege durchziehen die Insel und theilen sie in Parcellen, deren jede eine Gartenanlage darstellt und in der Mitte das Wohn- und
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Der grosse Ocean.
über die anderen Boote hinweg zu nehmen. Die Einwohnerzahl Can-
tons wird noch immer auf 1·6 Millionen geschätzt; wenn man in Be-
tracht zieht, dass der bei weitem grössere Theil der alten inneren
Stadt nahezu unbewohnt ist, so kann man auf die immense Dichtig-
keit der Bevölkerung in dem den Fluss begrenzenden Stadttheile und
in der Wasserstadt schliessen.
Der östliche Theil der Wasserstadt hat gegenüber dem anderen
ein aristokratisches Aussehen; die Boote sind bedeutend grösser und
zeigen durch ihr Aeuseres, dass sie zu einem anderen Zwecke be-
stimmt sind, als um einer armen Familie zur Wohnung zu dienen.
Das Oberdeck dieser ihrer Form und Grösse nach unter die
Dschunken einzureihenden Boote trägt einen Glassalon, dessen Portal
mit kunstvollen Schnitzereien reich verziert ist. Das Innere des Salons
ist mit Spiegeln und Blumenguirlanden an den Wänden, mit Lustern
und Hängelampen an der mit Sculpturen versehenen Decke und mit
prunkvollem Möblement ausgestattet und zeigt Reichthum und Behag-
lichkeit.
In langen Reihen, die einen gewissen Anspruch auf Regel-
mässigkeit machen können, steht eines dieser Boote neben dem an-
deren; allgemeine Ruhe herrscht hier im Gegensatz zum Treiben in
der eigentlichen Wasserstadt. Diese „Blumenboote“ Cantons, denn mit
solchen haben wir es zu thun, haben ob ihrer prunkhaften Ausstat-
tung einen Ruf in der Welt des Zopfes. Sobald die Sonne unter dem
Horizont verschwindet, erglänzen diese Boote im unsicheren Lichte
einer grossen Zahl von vielfärbigen Lampions, die Reihen der Boote
lösen sich und unter den sanften Tönen einer Guitarre und dem Ge-
sang chinesischer Schönen gleiten die Boote vom Strom und von der
Abendbrise getrieben stromauf und stromab. Nur selten stiehlt sich
ein greller Lichtstrahl aus einer Spalte der dicht verhängten Fenster des
Salons oder der Ton freudigen Gelächters ins Freie und lässt errathen,
dass es im Innern dieser Boote fröhlich hergehe und dass den sonst
steifen Chinesen eine gewisse Leichtlebigkeit zuweilen doch nicht
ganz fremd sei.
Dem südlichen Theile Cantons vorgeschoben liegt auf der Fluss-
insel Schamien die Fremdenniederlassung; sie unterscheidet sich schon
in ihrem äusseren Anblick günstig von der eigentlichen Stadt. Gute
Uferbauten dämmen den Fluss ab, dichte Alleen laufen dem Haupt-
ufer entlang und bilden eine herrliche Promenade, breite, gut ange-
legte Wege durchziehen die Insel und theilen sie in Parcellen, deren
jede eine Gartenanlage darstellt und in der Mitte das Wohn- und
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/460>, abgerufen am 22.11.2024.
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