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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der indische Ocean.
in der Eingeborenenstadt sind nicht nur dem Auge gefälliger, sondern
auch in sanitärer und wohnlicher Beziehung allen Anforderungen ent-
sprechend.

An der Peripherie der eigentlichen Stadt liegen zahlreiche Vor-
orte, welche von Eingeborenen bewohnt werden, ohne dass diese
nach Rassen oder Kasten gesondert sind. Indo-Europäer, Hindus und
Mohammedaner wohnen hier in bunter Folge friedlich beisammen.
Dem Centrum der Stadt gegenüber und mit dieser durch eine Brücke
in Verbindung, liegt am westlichen Ufer des Stromes die Vorstadt
Howrah. Die 506 m lange Brücke ist ein sehr interessantes Bau-
werk, das 1884 vollendet wurde und 220.000 L kostete. Die Pfeiler
der Brücke ruhen auf verankerten Pontons, welche der ungeheueren
Inanspruchnahme mit Bezug auf ihre Tragfähigkeit und den mitunter
reissenden Strom bestens widerstehen und dabei den beträchtlichen
Niveauunterschieden des Flusses (bis zu 6 m) folgen. Kleinere Schiffe
können unter der Brücke durchfahren, für die Passage grösserer
Fahrzeuge bleibt sie täglich durch zwei Stunden geöffnet.

Howrah ist das industrielle Viertel Calcuttas und macht mit
seinen hohen Fabrikskaminen ganz den Eindruck einer europäischen
Fabriksstadt. In Howrah befinden sich alle Etablissements der Gross-
industrie, wie beispielsweise eine grosse Anzahl von Jutespinnereien,
welche jährlich an 70.000 T Jute verarbeiten und 80 Millionen Säcke
herstellen, dann mehrere Baumwollspinnereien. Die Industrie der
Stadt Calcutta selbst ist hingegen unbedeutend und fast ganz auf
Kleinindustrie beschränkt. Von den grossartigen Etablissements, die
der Staat in Calcutta und Umgegend besitzt, ist die grosse Geschütz-
giesserei in Kosipur das bedeutendste. Auch sind zwei Trockendocks
und grosse Ladedocks im Bau begriffen.

Zu den nennenswerthesten Gebäuden Calcuttas gehören ausser
dem bereits genannten Government House die Town Hall (Stadthaus),
1804 erbaut, mit einem riesigen Saal, der für Meetings, Bälle und
Concerte benützt wird, das Legislative Council Office, der High Court,
das Currency Office in italienischem und das prächtige Postgebäude
in griechischem Baustyl mit mächtigen korinthischen Säulen, die sich
in einem anmuthigen Teiche spiegeln. Calcutta hat 27 protestantische
und 8 katholische Kirchen, sowie noch 8 sonstigen Riten angehörige
Gotteshäuser. Zu den letzteren zählt auch die Brahmo Somaj oder
deistische Kirche, die Rajah Ram Mohun Roy, der erste Reformator
der Hindureligion, nach der Besitzergreifung Indiens durch die Briten
gegründet hat. Die orthodoxen Hindus haben auffälligerweise kein

Der indische Ocean.
in der Eingeborenenstadt sind nicht nur dem Auge gefälliger, sondern
auch in sanitärer und wohnlicher Beziehung allen Anforderungen ent-
sprechend.

An der Peripherie der eigentlichen Stadt liegen zahlreiche Vor-
orte, welche von Eingeborenen bewohnt werden, ohne dass diese
nach Rassen oder Kasten gesondert sind. Indo-Europäer, Hindus und
Mohammedaner wohnen hier in bunter Folge friedlich beisammen.
Dem Centrum der Stadt gegenüber und mit dieser durch eine Brücke
in Verbindung, liegt am westlichen Ufer des Stromes die Vorstadt
Howrah. Die 506 m lange Brücke ist ein sehr interessantes Bau-
werk, das 1884 vollendet wurde und 220.000 ₤ kostete. Die Pfeiler
der Brücke ruhen auf verankerten Pontons, welche der ungeheueren
Inanspruchnahme mit Bezug auf ihre Tragfähigkeit und den mitunter
reissenden Strom bestens widerstehen und dabei den beträchtlichen
Niveauunterschieden des Flusses (bis zu 6 m) folgen. Kleinere Schiffe
können unter der Brücke durchfahren, für die Passage grösserer
Fahrzeuge bleibt sie täglich durch zwei Stunden geöffnet.

Howrah ist das industrielle Viertel Calcuttas und macht mit
seinen hohen Fabrikskaminen ganz den Eindruck einer europäischen
Fabriksstadt. In Howrah befinden sich alle Etablissements der Gross-
industrie, wie beispielsweise eine grosse Anzahl von Jutespinnereien,
welche jährlich an 70.000 T Jute verarbeiten und 80 Millionen Säcke
herstellen, dann mehrere Baumwollspinnereien. Die Industrie der
Stadt Calcutta selbst ist hingegen unbedeutend und fast ganz auf
Kleinindustrie beschränkt. Von den grossartigen Etablissements, die
der Staat in Calcutta und Umgegend besitzt, ist die grosse Geschütz-
giesserei in Kosipur das bedeutendste. Auch sind zwei Trockendocks
und grosse Ladedocks im Bau begriffen.

Zu den nennenswerthesten Gebäuden Calcuttas gehören ausser
dem bereits genannten Government House die Town Hall (Stadthaus),
1804 erbaut, mit einem riesigen Saal, der für Meetings, Bälle und
Concerte benützt wird, das Legislative Council Office, der High Court,
das Currency Office in italienischem und das prächtige Postgebäude
in griechischem Baustyl mit mächtigen korinthischen Säulen, die sich
in einem anmuthigen Teiche spiegeln. Calcutta hat 27 protestantische
und 8 katholische Kirchen, sowie noch 8 sonstigen Riten angehörige
Gotteshäuser. Zu den letzteren zählt auch die Brahmo Somaj oder
deistische Kirche, die Rajah Ram Mohun Roy, der erste Reformator
der Hindureligion, nach der Besitzergreifung Indiens durch die Briten
gegründet hat. Die orthodoxen Hindus haben auffälligerweise kein

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[554/0570] Der indische Ocean. in der Eingeborenenstadt sind nicht nur dem Auge gefälliger, sondern auch in sanitärer und wohnlicher Beziehung allen Anforderungen ent- sprechend. An der Peripherie der eigentlichen Stadt liegen zahlreiche Vor- orte, welche von Eingeborenen bewohnt werden, ohne dass diese nach Rassen oder Kasten gesondert sind. Indo-Europäer, Hindus und Mohammedaner wohnen hier in bunter Folge friedlich beisammen. Dem Centrum der Stadt gegenüber und mit dieser durch eine Brücke in Verbindung, liegt am westlichen Ufer des Stromes die Vorstadt Howrah. Die 506 m lange Brücke ist ein sehr interessantes Bau- werk, das 1884 vollendet wurde und 220.000 ₤ kostete. Die Pfeiler der Brücke ruhen auf verankerten Pontons, welche der ungeheueren Inanspruchnahme mit Bezug auf ihre Tragfähigkeit und den mitunter reissenden Strom bestens widerstehen und dabei den beträchtlichen Niveauunterschieden des Flusses (bis zu 6 m) folgen. Kleinere Schiffe können unter der Brücke durchfahren, für die Passage grösserer Fahrzeuge bleibt sie täglich durch zwei Stunden geöffnet. Howrah ist das industrielle Viertel Calcuttas und macht mit seinen hohen Fabrikskaminen ganz den Eindruck einer europäischen Fabriksstadt. In Howrah befinden sich alle Etablissements der Gross- industrie, wie beispielsweise eine grosse Anzahl von Jutespinnereien, welche jährlich an 70.000 T Jute verarbeiten und 80 Millionen Säcke herstellen, dann mehrere Baumwollspinnereien. Die Industrie der Stadt Calcutta selbst ist hingegen unbedeutend und fast ganz auf Kleinindustrie beschränkt. Von den grossartigen Etablissements, die der Staat in Calcutta und Umgegend besitzt, ist die grosse Geschütz- giesserei in Kosipur das bedeutendste. Auch sind zwei Trockendocks und grosse Ladedocks im Bau begriffen. Zu den nennenswerthesten Gebäuden Calcuttas gehören ausser dem bereits genannten Government House die Town Hall (Stadthaus), 1804 erbaut, mit einem riesigen Saal, der für Meetings, Bälle und Concerte benützt wird, das Legislative Council Office, der High Court, das Currency Office in italienischem und das prächtige Postgebäude in griechischem Baustyl mit mächtigen korinthischen Säulen, die sich in einem anmuthigen Teiche spiegeln. Calcutta hat 27 protestantische und 8 katholische Kirchen, sowie noch 8 sonstigen Riten angehörige Gotteshäuser. Zu den letzteren zählt auch die Brahmo Somaj oder deistische Kirche, die Rajah Ram Mohun Roy, der erste Reformator der Hindureligion, nach der Besitzergreifung Indiens durch die Briten gegründet hat. Die orthodoxen Hindus haben auffälligerweise kein

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 554. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/570>, abgerufen am 22.11.2024.