galows selbst sind einstöckig erbaut oder bestehen auch nur aus einem Erdgeschoss und bieten bei manchmal ganz unansehnlichem Aeusseren, das allerdings unter Bananen, Palmen und Tamarinden fast ganz verschwindet, in ihrem Inneren nahezu ausnahmslos ein Schatzkästchen von Luxus und Comfort. Mitten in dieser Idylle, an der Südspitze des Malabar Hill, steht eine mächtige, hochmoderne Batterie.
Die Uebervölkerung des Malabar Hill führte zur Wahl ander- weitiger Landaufenthaltsorte. So liegt auf der Insel Salsette die Ort- schaft Tannah (Thana), welche einst eine Königsresidenz und blühende Handelsstadt war, von der bereits Albironi (1030) und Marco Polo sprachen, und wo jetzt ebenfalls ein Villenvorort Bombays entstanden ist. Etwas entfernter, doch in wenigen Stunden zu erreichen, liegt in 749 m Seehöhe Matheran, welches allgemein "das Sanatorium" genannt wird und sich durch gesunde Luft und schöne Wälder aus- zeichnet.
In der Mitte des Malabar Hill liegen das heilige Dorf der Hindus, Walkeshwar, und die Thürme des Schweigens. Der Haupt- tempel von Walkeshwar ist zwar ein unbedeutendes Gebäude, doch reich an Kostbarkeiten. Die Legende erzählt, dass hier Rama eine Nacht zubrachte, als er von Audh nach Ceylon reiste, um seine von Ravana entführte Gattin Sita wieder zu holen. Neben dem Tempel liegt ein schöner, geheiligter Teich, Vana Tirtha (Pfeilteich), der mit Stufen zum Hinabsteigen versehen ist. Rama hatte hier Durst und fand kein Wasser; als er nun einen Pfeil in die Erde schleuderte, entstand an dieser Stelle der Weiher, der jetzt von schattigen Bäumen und zierlichen Pagoden umgeben ist.
Die Thürme des Schweigens bilden den Leichenbestattungsort der Parsen; sie liegen in einem grossen, duftenden Blumengarten auf der höchsten Stelle des Hügels. Es sind dies fünf etwa 6 m hohe kreisrunde Thürme ohne Dach, die innen eine trichterartige Plattform und in ihrer Mitte einen Schacht besitzen. Die Plattform ist in drei ringförmige Abtheilungen getheilt, welche radiale Ausnehmungen zur Beisetzung der Leichen besitzen. Die äusserste Abtheilung ist für die Leichen von Männern, die mittlere für jene von Frauen und die innerste für jene von Kindern bestimmt. Wenige Stunden, nachdem ein Leichnam ausgesetzt wird, ist derselbe von den zahlreichen Aas- geiern schon bis auf die Knochen vollständig aufgezehrt; einige Tage später werden die Knochen in den Schacht gebracht. Letzterer ist durch einen Canal mit der See in Verbindung, andererseits aber von
Der indische Ocean.
galows selbst sind einstöckig erbaut oder bestehen auch nur aus einem Erdgeschoss und bieten bei manchmal ganz unansehnlichem Aeusseren, das allerdings unter Bananen, Palmen und Tamarinden fast ganz verschwindet, in ihrem Inneren nahezu ausnahmslos ein Schatzkästchen von Luxus und Comfort. Mitten in dieser Idylle, an der Südspitze des Malabar Hill, steht eine mächtige, hochmoderne Batterie.
Die Uebervölkerung des Malabar Hill führte zur Wahl ander- weitiger Landaufenthaltsorte. So liegt auf der Insel Salsette die Ort- schaft Tannah (Thana), welche einst eine Königsresidenz und blühende Handelsstadt war, von der bereits Albironi (1030) und Marco Polo sprachen, und wo jetzt ebenfalls ein Villenvorort Bombays entstanden ist. Etwas entfernter, doch in wenigen Stunden zu erreichen, liegt in 749 m Seehöhe Matheran, welches allgemein „das Sanatorium“ genannt wird und sich durch gesunde Luft und schöne Wälder aus- zeichnet.
In der Mitte des Malabar Hill liegen das heilige Dorf der Hindus, Walkeshwar, und die Thürme des Schweigens. Der Haupt- tempel von Walkeshwar ist zwar ein unbedeutendes Gebäude, doch reich an Kostbarkeiten. Die Legende erzählt, dass hier Rama eine Nacht zubrachte, als er von Audh nach Ceylon reiste, um seine von Ravana entführte Gattin Sita wieder zu holen. Neben dem Tempel liegt ein schöner, geheiligter Teich, Vana Tirtha (Pfeilteich), der mit Stufen zum Hinabsteigen versehen ist. Rama hatte hier Durst und fand kein Wasser; als er nun einen Pfeil in die Erde schleuderte, entstand an dieser Stelle der Weiher, der jetzt von schattigen Bäumen und zierlichen Pagoden umgeben ist.
Die Thürme des Schweigens bilden den Leichenbestattungsort der Parsen; sie liegen in einem grossen, duftenden Blumengarten auf der höchsten Stelle des Hügels. Es sind dies fünf etwa 6 m hohe kreisrunde Thürme ohne Dach, die innen eine trichterartige Plattform und in ihrer Mitte einen Schacht besitzen. Die Plattform ist in drei ringförmige Abtheilungen getheilt, welche radiale Ausnehmungen zur Beisetzung der Leichen besitzen. Die äusserste Abtheilung ist für die Leichen von Männern, die mittlere für jene von Frauen und die innerste für jene von Kindern bestimmt. Wenige Stunden, nachdem ein Leichnam ausgesetzt wird, ist derselbe von den zahlreichen Aas- geiern schon bis auf die Knochen vollständig aufgezehrt; einige Tage später werden die Knochen in den Schacht gebracht. Letzterer ist durch einen Canal mit der See in Verbindung, andererseits aber von
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Der indische Ocean.
galows selbst sind einstöckig erbaut oder bestehen auch nur aus
einem Erdgeschoss und bieten bei manchmal ganz unansehnlichem
Aeusseren, das allerdings unter Bananen, Palmen und Tamarinden
fast ganz verschwindet, in ihrem Inneren nahezu ausnahmslos ein
Schatzkästchen von Luxus und Comfort. Mitten in dieser Idylle, an
der Südspitze des Malabar Hill, steht eine mächtige, hochmoderne
Batterie.
Die Uebervölkerung des Malabar Hill führte zur Wahl ander-
weitiger Landaufenthaltsorte. So liegt auf der Insel Salsette die Ort-
schaft Tannah (Thana), welche einst eine Königsresidenz und blühende
Handelsstadt war, von der bereits Albironi (1030) und Marco Polo
sprachen, und wo jetzt ebenfalls ein Villenvorort Bombays entstanden
ist. Etwas entfernter, doch in wenigen Stunden zu erreichen, liegt
in 749 m Seehöhe Matheran, welches allgemein „das Sanatorium“
genannt wird und sich durch gesunde Luft und schöne Wälder aus-
zeichnet.
In der Mitte des Malabar Hill liegen das heilige Dorf der
Hindus, Walkeshwar, und die Thürme des Schweigens. Der Haupt-
tempel von Walkeshwar ist zwar ein unbedeutendes Gebäude, doch
reich an Kostbarkeiten. Die Legende erzählt, dass hier Rama eine
Nacht zubrachte, als er von Audh nach Ceylon reiste, um seine von
Ravana entführte Gattin Sita wieder zu holen. Neben dem Tempel
liegt ein schöner, geheiligter Teich, Vana Tirtha (Pfeilteich), der mit
Stufen zum Hinabsteigen versehen ist. Rama hatte hier Durst und
fand kein Wasser; als er nun einen Pfeil in die Erde schleuderte,
entstand an dieser Stelle der Weiher, der jetzt von schattigen Bäumen
und zierlichen Pagoden umgeben ist.
Die Thürme des Schweigens bilden den Leichenbestattungsort
der Parsen; sie liegen in einem grossen, duftenden Blumengarten auf
der höchsten Stelle des Hügels. Es sind dies fünf etwa 6 m hohe
kreisrunde Thürme ohne Dach, die innen eine trichterartige Plattform
und in ihrer Mitte einen Schacht besitzen. Die Plattform ist in drei
ringförmige Abtheilungen getheilt, welche radiale Ausnehmungen zur
Beisetzung der Leichen besitzen. Die äusserste Abtheilung ist für
die Leichen von Männern, die mittlere für jene von Frauen und die
innerste für jene von Kindern bestimmt. Wenige Stunden, nachdem
ein Leichnam ausgesetzt wird, ist derselbe von den zahlreichen Aas-
geiern schon bis auf die Knochen vollständig aufgezehrt; einige Tage
später werden die Knochen in den Schacht gebracht. Letzterer ist
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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 592. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/608>, abgerufen am 22.11.2024.
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