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Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892.

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Der indische Ocean.
in Sansibar hat man die Sclaven, welche den Eingebornen gehören,
noch nicht freigegeben. Doch scheint nach allen Beobachtungen die
Lage dieser Leute in Sansibar keine allzu trübselige zu sein. Sie
werden im Ganzen von ihren Herren gut behandelt, erhalten ge-
wöhnlich eine gewisse Bezahlung, können sich Ersparnisse machen
und haben zumeist auch einen Theil der Arbeitszeit zur freien Verfü-
gung. Auf dem Lande stehen die zur Bebauung der Aecker verwen-
deten Sclaven in einem Verhältnisse, welches jenem der sogenannten
Colonen in Italien gleicht. Auch besitzen die Sclaven in Sansibar ein
eigenthümliches, nicht unwesentliches Recht. Sie können nämlich im
Falle nachgewiesener schlechter Behandlung ihren Herrn zwingen, sie
zu verkaufen. Der Sclave zählt in Sansibar zum Inventar der Familie.
Es besteht daher zwischen ihm und seinem Herrn ein näheres Ver-
hältniss und man ist auf beiden Seiten dem häufigen Wechsel des
Besitzes nicht geneigt.

Die Lebensverhältnisse in der Stadt sind jenen irgend einer
streng orientalischen Stadt gleich. Der Europäer sind zu wenig vor-
handen, um einen Einfluss auf die gesellschaftlichen Zustände üben
zu können.

In religiöser Beziehung sind hier verschiedene Culten vertreten;
in erster Reihe steht jedoch der Islam, welcher freilich durch die
Ueberreste verschiedener, von den Negern stammender Confessionen
mancherlei Variationen gefunden hat, umsomehr, als vor Allem die
Suaheli tief in allerlei Aberglauben stecken und in einer Fülle von
tollem Formelwesen und Zauberkram ihre grösste Befriedigung und Be-
ruhigung suchen und finden. Auch christliche Missionen, sowohl
katholischer als protestantischer Form, haben in Sansibar ihre Thätig-
keit eröffnet und auch dadurch einige Erfolge erzielt, dass sie Unter-
richtsanstalten für Kindererziehung erhalten. In dieser Beziehung ist
die Niederlassung französischer Missionäre in Bagamoyo, einem auf
dem Festlande gegenüber von Sansibar gelegenen Orte, der jetzt
den Deutschen gehört, und von wo die grosse Verkehrsader nach
dem Innern abbiegt, sowohl an Umfang als an Bedeutung erwähnens-
werth. Sie enthält mehrere Hundert Zöglinge, welche namentlich im
Feld- und Gartenbau unterrichtet werden, und von denen man hofft,
dass sie sich als Pionniere nicht nur ihres Glaubens, sondern auch
des wirthschaftlichen Fortschrittes bewähren werden.

In Sansibar existirt kein Hafenamt und werden von den einlaufenden
Schiffen keine Schiffsdocumente abverlangt. Es ist deshalb auch mit der Anlage
der Handelsstatistik ziemlich schlecht bestellt. Wiewohl uns also genaue Auf-

Der indische Ocean.
in Sansibar hat man die Sclaven, welche den Eingebornen gehören,
noch nicht freigegeben. Doch scheint nach allen Beobachtungen die
Lage dieser Leute in Sansibar keine allzu trübselige zu sein. Sie
werden im Ganzen von ihren Herren gut behandelt, erhalten ge-
wöhnlich eine gewisse Bezahlung, können sich Ersparnisse machen
und haben zumeist auch einen Theil der Arbeitszeit zur freien Verfü-
gung. Auf dem Lande stehen die zur Bebauung der Aecker verwen-
deten Sclaven in einem Verhältnisse, welches jenem der sogenannten
Colonen in Italien gleicht. Auch besitzen die Sclaven in Sansibar ein
eigenthümliches, nicht unwesentliches Recht. Sie können nämlich im
Falle nachgewiesener schlechter Behandlung ihren Herrn zwingen, sie
zu verkaufen. Der Sclave zählt in Sansibar zum Inventar der Familie.
Es besteht daher zwischen ihm und seinem Herrn ein näheres Ver-
hältniss und man ist auf beiden Seiten dem häufigen Wechsel des
Besitzes nicht geneigt.

Die Lebensverhältnisse in der Stadt sind jenen irgend einer
streng orientalischen Stadt gleich. Der Europäer sind zu wenig vor-
handen, um einen Einfluss auf die gesellschaftlichen Zustände üben
zu können.

In religiöser Beziehung sind hier verschiedene Culten vertreten;
in erster Reihe steht jedoch der Islam, welcher freilich durch die
Ueberreste verschiedener, von den Negern stammender Confessionen
mancherlei Variationen gefunden hat, umsomehr, als vor Allem die
Suaheli tief in allerlei Aberglauben stecken und in einer Fülle von
tollem Formelwesen und Zauberkram ihre grösste Befriedigung und Be-
ruhigung suchen und finden. Auch christliche Missionen, sowohl
katholischer als protestantischer Form, haben in Sansibar ihre Thätig-
keit eröffnet und auch dadurch einige Erfolge erzielt, dass sie Unter-
richtsanstalten für Kindererziehung erhalten. In dieser Beziehung ist
die Niederlassung französischer Missionäre in Bagamoyo, einem auf
dem Festlande gegenüber von Sansibar gelegenen Orte, der jetzt
den Deutschen gehört, und von wo die grosse Verkehrsader nach
dem Innern abbiegt, sowohl an Umfang als an Bedeutung erwähnens-
werth. Sie enthält mehrere Hundert Zöglinge, welche namentlich im
Feld- und Gartenbau unterrichtet werden, und von denen man hofft,
dass sie sich als Pionniere nicht nur ihres Glaubens, sondern auch
des wirthschaftlichen Fortschrittes bewähren werden.

In Sansibar existirt kein Hafenamt und werden von den einlaufenden
Schiffen keine Schiffsdocumente abverlangt. Es ist deshalb auch mit der Anlage
der Handelsstatistik ziemlich schlecht bestellt. Wiewohl uns also genaue Auf-

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[650/0666] Der indische Ocean. in Sansibar hat man die Sclaven, welche den Eingebornen gehören, noch nicht freigegeben. Doch scheint nach allen Beobachtungen die Lage dieser Leute in Sansibar keine allzu trübselige zu sein. Sie werden im Ganzen von ihren Herren gut behandelt, erhalten ge- wöhnlich eine gewisse Bezahlung, können sich Ersparnisse machen und haben zumeist auch einen Theil der Arbeitszeit zur freien Verfü- gung. Auf dem Lande stehen die zur Bebauung der Aecker verwen- deten Sclaven in einem Verhältnisse, welches jenem der sogenannten Colonen in Italien gleicht. Auch besitzen die Sclaven in Sansibar ein eigenthümliches, nicht unwesentliches Recht. Sie können nämlich im Falle nachgewiesener schlechter Behandlung ihren Herrn zwingen, sie zu verkaufen. Der Sclave zählt in Sansibar zum Inventar der Familie. Es besteht daher zwischen ihm und seinem Herrn ein näheres Ver- hältniss und man ist auf beiden Seiten dem häufigen Wechsel des Besitzes nicht geneigt. Die Lebensverhältnisse in der Stadt sind jenen irgend einer streng orientalischen Stadt gleich. Der Europäer sind zu wenig vor- handen, um einen Einfluss auf die gesellschaftlichen Zustände üben zu können. In religiöser Beziehung sind hier verschiedene Culten vertreten; in erster Reihe steht jedoch der Islam, welcher freilich durch die Ueberreste verschiedener, von den Negern stammender Confessionen mancherlei Variationen gefunden hat, umsomehr, als vor Allem die Suaheli tief in allerlei Aberglauben stecken und in einer Fülle von tollem Formelwesen und Zauberkram ihre grösste Befriedigung und Be- ruhigung suchen und finden. Auch christliche Missionen, sowohl katholischer als protestantischer Form, haben in Sansibar ihre Thätig- keit eröffnet und auch dadurch einige Erfolge erzielt, dass sie Unter- richtsanstalten für Kindererziehung erhalten. In dieser Beziehung ist die Niederlassung französischer Missionäre in Bagamoyo, einem auf dem Festlande gegenüber von Sansibar gelegenen Orte, der jetzt den Deutschen gehört, und von wo die grosse Verkehrsader nach dem Innern abbiegt, sowohl an Umfang als an Bedeutung erwähnens- werth. Sie enthält mehrere Hundert Zöglinge, welche namentlich im Feld- und Gartenbau unterrichtet werden, und von denen man hofft, dass sie sich als Pionniere nicht nur ihres Glaubens, sondern auch des wirthschaftlichen Fortschrittes bewähren werden. In Sansibar existirt kein Hafenamt und werden von den einlaufenden Schiffen keine Schiffsdocumente abverlangt. Es ist deshalb auch mit der Anlage der Handelsstatistik ziemlich schlecht bestellt. Wiewohl uns also genaue Auf-

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Zitationshilfe: Lehnert, Josef von u. a.: Die Seehäfen des Weltverkehrs. Bd. 2. Wien, 1892, S. 650. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lehnert_seehaefen02_1892/666>, abgerufen am 22.11.2024.