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Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

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dass in Schreiben oder Drucken dergleichen Wort von den Teutsch-
gebohrnen nicht mehr zu unterscheiden, dessen Beobachtung, ob sie
schon gering scheinet, würde doch nicht ohne Nachdruck und Würckung
seyn. Es haben auch sonsten viele dafür gehalten, man solte zu einem
guten Theil Teutscher Bücher beym Druck keine andere als Lateinische
Buchstaben brauchen, und den unnöthigen Unterscheid abschaffen, gleich
wie die Frantzosen auch ihre alte Buchstaben, so sie Lettres de finance
nennen, und die in gewissen Fällen noch gebräuchlich, im gemeinen Ge-
brauch, und sonderlich im Druck fast nunmehr aufgehoben.

101. Ich will zwar solches an meinem Orte dahin gestellet seyn
lassen, habe doch gleichwohl befunden, daß den Holl- und Nieder-Ländern
die Hoch-Teutsche Schrifft bey unsern Büchern beschwerlich
fürkommt, und solche Bücher weniger lesen macht, daher sie auch
selbst guten theils das Holländische mit Lateinischen Schrifften drucken
lassen, diese Behinderung zu verhüten. Und erinnere ich mich, dass,
als ich etwas vor Nieder-Länder einsmahls Teutsch schreiben lassen sollen,
man mich sonderlich gebeten, Lateinische Buchstaben brauchen zu lassen.

102. Der ander Theil der Sprach-Reinigkeit besteht in der Sprach-Richtigkeit
nach den Reguln der Sprach-Kunst; Von welchen auch
nur ein Weniges allhie gedencken will; Denn ob wohl darin ziemlicher
Mangel befunden wird, so ist doch nicht ohnschwer solchen mit der Zeit
zu ersetzen, und sonderlich vermittelst guter Uberlegung zusammenge-
setzter tüchtiger Personen ein und andern Zweiffels-Knoten auffzulösen.

103. Es ist bekandt, dass schon Kayser Carl der Grosse an einer
Teutschen Grammatic arbeiten lassen, und nichts desto minder haben
wir vielleicht keine biss dato, die zulänglich; und ob zwar einige
Frantzosen sich darüber gemacht, weilen viele ihrer Nation sich von
weniger Zeit her auffs Teutsche zu legen begonnen, so kan man doch
leicht erachten, dass diese Leute dem Werck nicht gewachsen gewesen.

104. Man weiss, dass in der Frantzösischen Sprache selbst noch
unlängst viele Zweiffel vorgefallen, wie solches die Anmerckungen
des Vaugelas und des Menage, auch die Zweiffel des Bouhours zeigen,
anderer zu geschweigen; ohngeachtet die Frantzösische Sprache aus
der Lateinischen entsprossen, (welche bereits so wohl mit Regeln ein-
gefasset) und sonsten von mehrer Zeit her als die Unsere von ge-
lehrten Leuten bearbeitet worden, auch nur einen Hoff als den Mittel-Punct
hat, nach dem sich alles richtet; welches uns mit Wien auch

dass in Schreiben oder Drucken dergleichen Wort von den Teutsch-
gebohrnen nicht mehr zu unterscheiden, dessen Beobachtung, ob sie
schon gering scheinet, würde doch nicht ohne Nachdruck und Würckung
seyn. Es haben auch sonsten viele dafür gehalten, man solte zu einem
guten Theil Teutscher Bücher beym Druck keine andere als Lateinische
Buchstaben brauchen, und den unnöthigen Unterscheid abschaffen, gleich
wie die Frantzosen auch ihre alte Buchstaben, so sie Lettres de finance
nennen, und die in gewissen Fällen noch gebräuchlich, im gemeinen Ge-
brauch, und sonderlich im Druck fast nunmehr aufgehoben.

101. Ich will zwar solches an meinem Orte dahin gestellet seyn
lassen, habe doch gleichwohl befunden, daß den Holl- und Nieder-Ländern
die Hoch-Teutsche Schrifft bey unsern Büchern beschwerlich
fürkommt, und solche Bücher weniger lesen macht, daher sie auch
selbst guten theils das Holländische mit Lateinischen Schrifften drucken
lassen, diese Behinderung zu verhüten. Und erinnere ich mich, dass,
als ich etwas vor Nieder-Länder einsmahls Teutsch schreiben lassen sollen,
man mich sonderlich gebeten, Lateinische Buchstaben brauchen zu lassen.

102. Der ander Theil der Sprach-Reinigkeit besteht in der Sprach-Richtigkeit
nach den Reguln der Sprach-Kunst; Von welchen auch
nur ein Weniges allhie gedencken will; Denn ob wohl darin ziemlicher
Mangel befunden wird, so ist doch nicht ohnschwer solchen mit der Zeit
zu ersetzen, und sonderlich vermittelst guter Uberlegung zusammenge-
setzter tüchtiger Personen ein und andern Zweiffels-Knoten auffzulösen.

103. Es ist bekandt, dass schon Kayser Carl der Grosse an einer
Teutschen Grammatic arbeiten lassen, und nichts desto minder haben
wir vielleicht keine biss dato, die zulänglich; und ob zwar einige
Frantzosen sich darüber gemacht, weilen viele ihrer Nation sich von
weniger Zeit her auffs Teutsche zu legen begonnen, so kan man doch
leicht erachten, dass diese Leute dem Werck nicht gewachsen gewesen.

104. Man weiss, dass in der Frantzösischen Sprache selbst noch
unlängst viele Zweiffel vorgefallen, wie solches die Anmerckungen
des Vaugelas und des Menage, auch die Zweiffel des Bouhours zeigen,
anderer zu geschweigen; ohngeachtet die Frantzösische Sprache aus
der Lateinischen entsprossen, (welche bereits so wohl mit Regeln ein-
gefasset) und sonsten von mehrer Zeit her als die Unsere von ge-
lehrten Leuten bearbeitet worden, auch nur einen Hoff als den Mittel-Punct
hat, nach dem sich alles richtet; welches uns mit Wien auch

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[353/0027] dass in Schreiben oder Drucken dergleichen Wort von den Teutsch- gebohrnen nicht mehr zu unterscheiden, dessen Beobachtung, ob sie schon gering scheinet, würde doch nicht ohne Nachdruck und Würckung seyn. Es haben auch sonsten viele dafür gehalten, man solte zu einem guten Theil Teutscher Bücher beym Druck keine andere als Lateinische Buchstaben brauchen, und den unnöthigen Unterscheid abschaffen, gleich wie die Frantzosen auch ihre alte Buchstaben, so sie Lettres de finance nennen, und die in gewissen Fällen noch gebräuchlich, im gemeinen Ge- brauch, und sonderlich im Druck fast nunmehr aufgehoben. 101. Ich will zwar solches an meinem Orte dahin gestellet seyn lassen, habe doch gleichwohl befunden, daß den Holl- und Nieder-Ländern die Hoch-Teutsche Schrifft bey unsern Büchern beschwerlich fürkommt, und solche Bücher weniger lesen macht, daher sie auch selbst guten theils das Holländische mit Lateinischen Schrifften drucken lassen, diese Behinderung zu verhüten. Und erinnere ich mich, dass, als ich etwas vor Nieder-Länder einsmahls Teutsch schreiben lassen sollen, man mich sonderlich gebeten, Lateinische Buchstaben brauchen zu lassen. 102. Der ander Theil der Sprach-Reinigkeit besteht in der Sprach-Richtigkeit nach den Reguln der Sprach-Kunst; Von welchen auch nur ein Weniges allhie gedencken will; Denn ob wohl darin ziemlicher Mangel befunden wird, so ist doch nicht ohnschwer solchen mit der Zeit zu ersetzen, und sonderlich vermittelst guter Uberlegung zusammenge- setzter tüchtiger Personen ein und andern Zweiffels-Knoten auffzulösen. 103. Es ist bekandt, dass schon Kayser Carl der Grosse an einer Teutschen Grammatic arbeiten lassen, und nichts desto minder haben wir vielleicht keine biss dato, die zulänglich; und ob zwar einige Frantzosen sich darüber gemacht, weilen viele ihrer Nation sich von weniger Zeit her auffs Teutsche zu legen begonnen, so kan man doch leicht erachten, dass diese Leute dem Werck nicht gewachsen gewesen. 104. Man weiss, dass in der Frantzösischen Sprache selbst noch unlängst viele Zweiffel vorgefallen, wie solches die Anmerckungen des Vaugelas und des Menage, auch die Zweiffel des Bouhours zeigen, anderer zu geschweigen; ohngeachtet die Frantzösische Sprache aus der Lateinischen entsprossen, (welche bereits so wohl mit Regeln ein- gefasset) und sonsten von mehrer Zeit her als die Unsere von ge- lehrten Leuten bearbeitet worden, auch nur einen Hoff als den Mittel-Punct hat, nach dem sich alles richtet; welches uns mit Wien auch

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Gloning: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-10-05T14:54:07Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Google Books: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-10-05T14:54:07Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • langes s (?): als s transkribiert
  • Vollständigkeit: teilweise erfasst

Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.

Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).




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Zitationshilfe: Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356, hier S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leibniz_sprache_1717/27>, abgerufen am 01.05.2024.