Leibniz, Gottfried Wilhelm: Unvorgreiffliche Gedancken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der Teutschen Sprache. In: Pietsch, Paul (Hg.), Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356.9. Ich finde, dass die Teutschen ihre Sprache bereits hoch bracht 10. Es ereignet sich aber einiger Abgang bey unserer Sprache in 11. Nun wäre zwar dieser Mangel bey denen Logischen und Meta- 9. Ich finde, dass die Teutschen ihre Sprache bereits hoch bracht 10. Es ereignet sich aber einiger Abgang bey unserer Sprache in 11. Nun wäre zwar dieser Mangel bey denen Logischen und Meta- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#0004" n="330"/> <p>9. Ich finde, dass die Teutschen ihre Sprache bereits hoch bracht<lb/> in allen dem, so mit den fünff Sinnen zu begreiffen, und auch dem<lb/> gemeinen Mann fürkommet; absonderlich in leiblichen Dingen, auch<lb/> Kunst- und Handwercks-Sachen, weil nemlichen die Gelehrten fast<lb/> allein mit dem Latein beschäfftiget gewesen und die Mutter-Sprache<lb/> dem gemeinen Lauff überlassen, welche nichts desto weniger auch<lb/> von den so genandten Ungelehrten nach Lehre der Natur gar wohl<lb/> getrieben worden. Und halt ich dafür, dass keine Sprache in der<lb/> Welt sey, die (zum Exempel) von Ertz und Bergwercken reicher und<lb/> nachdrücklicher rede als die Teutsche. Dergleichen kan man von<lb/> allen andern gemeinen Lebens-Arten und Professionen sagen, als von<lb/> Jagt- und Wäid-Werck, von der Schiffahrt und dergleichen. Wie<lb/> dann alle die Europäer so auffm grossen Welt-Meer fahren, die Nahmen<lb/> der Winde und viel andere Seeworte von den Teutschen, nehmlich<lb/> von den Sachsen, Normannen, Osterlingen und Niederländern entlehnet.</p><lb/> <p>10. Es ereignet sich aber einiger Abgang bey unserer Sprache in<lb/> denen Dingen, so man weder sehen noch fühlen, sondern allein durch<lb/> Betrachtung erreichen kan; als bey Ausdrückung der Gemüths-Be-<lb/> wegungen, auch der Tugenden und Laster und vieler Beschaffen-<lb/> heiten, so zur Sitten-Lehr und Regierungs-Kunst gehören; dann<lb/> ferner bey denen noch mehr abgezogenen und abgefeimten Erkänt-<lb/> nissen, so die Liebhaber der Weissheit in ihrer Denck-Kunst, und in<lb/> der allgemeinen Lehre von den Dingen unter dem Nahmen der Logick<lb/> und Metaphysick auff die Bahne bringen. Welches alles dem gemeinen<lb/> Teutschen Mann etwas entlegen und nicht so üblich, da hingegen der<lb/> Gelehrte und Hoffmann sich des Lateins oder anderer fremden Sprachen<lb/> in dergleichen <hi rendition="#g">fast allein</hi> und in so weit <hi rendition="#g">zu viel</hi> beflissen; also dass<lb/> es denen Teutschen nicht am Vermögen, sondern am Willen gefehlet,<lb/> ihre Sprache durchgehends zu erheben. Denn weil alles was der<lb/> gemeine Mann treibet, wohl in Teutsch gegeben, so ist kein Zweiffel,<lb/> dass dasjenige, so vornehmen und gelehrten Leuten mehr fürkommt,<lb/> von diesen, wenn sie gewolt, auch sehr wohl, wo nicht besser in<lb/> reinem Teutsch gegeben werden können..</p><lb/> <p>11. Nun wäre zwar dieser Mangel bey denen Logischen und Meta-<lb/> physischen Kunst-Wörtern noch in etwas zu verschmertzen, ja ich<lb/> habe es zu Zeiten unser ansehnlichen Haupt-Sprache zum Lobe an-<lb/> gezogen, dass sie nichts als rechtschaffene Dinge sage und ungegründete<lb/> Grillen nicht einmahl nenne (<hi rendition="#aq">ignorat inepta</hi>). Daher ich bey denen Ita-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [330/0004]
9. Ich finde, dass die Teutschen ihre Sprache bereits hoch bracht
in allen dem, so mit den fünff Sinnen zu begreiffen, und auch dem
gemeinen Mann fürkommet; absonderlich in leiblichen Dingen, auch
Kunst- und Handwercks-Sachen, weil nemlichen die Gelehrten fast
allein mit dem Latein beschäfftiget gewesen und die Mutter-Sprache
dem gemeinen Lauff überlassen, welche nichts desto weniger auch
von den so genandten Ungelehrten nach Lehre der Natur gar wohl
getrieben worden. Und halt ich dafür, dass keine Sprache in der
Welt sey, die (zum Exempel) von Ertz und Bergwercken reicher und
nachdrücklicher rede als die Teutsche. Dergleichen kan man von
allen andern gemeinen Lebens-Arten und Professionen sagen, als von
Jagt- und Wäid-Werck, von der Schiffahrt und dergleichen. Wie
dann alle die Europäer so auffm grossen Welt-Meer fahren, die Nahmen
der Winde und viel andere Seeworte von den Teutschen, nehmlich
von den Sachsen, Normannen, Osterlingen und Niederländern entlehnet.
10. Es ereignet sich aber einiger Abgang bey unserer Sprache in
denen Dingen, so man weder sehen noch fühlen, sondern allein durch
Betrachtung erreichen kan; als bey Ausdrückung der Gemüths-Be-
wegungen, auch der Tugenden und Laster und vieler Beschaffen-
heiten, so zur Sitten-Lehr und Regierungs-Kunst gehören; dann
ferner bey denen noch mehr abgezogenen und abgefeimten Erkänt-
nissen, so die Liebhaber der Weissheit in ihrer Denck-Kunst, und in
der allgemeinen Lehre von den Dingen unter dem Nahmen der Logick
und Metaphysick auff die Bahne bringen. Welches alles dem gemeinen
Teutschen Mann etwas entlegen und nicht so üblich, da hingegen der
Gelehrte und Hoffmann sich des Lateins oder anderer fremden Sprachen
in dergleichen fast allein und in so weit zu viel beflissen; also dass
es denen Teutschen nicht am Vermögen, sondern am Willen gefehlet,
ihre Sprache durchgehends zu erheben. Denn weil alles was der
gemeine Mann treibet, wohl in Teutsch gegeben, so ist kein Zweiffel,
dass dasjenige, so vornehmen und gelehrten Leuten mehr fürkommt,
von diesen, wenn sie gewolt, auch sehr wohl, wo nicht besser in
reinem Teutsch gegeben werden können..
11. Nun wäre zwar dieser Mangel bey denen Logischen und Meta-
physischen Kunst-Wörtern noch in etwas zu verschmertzen, ja ich
habe es zu Zeiten unser ansehnlichen Haupt-Sprache zum Lobe an-
gezogen, dass sie nichts als rechtschaffene Dinge sage und ungegründete
Grillen nicht einmahl nenne (ignorat inepta). Daher ich bey denen Ita-
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(2013-10-05T14:54:07Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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(2013-10-05T14:54:07Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
Die Transkription beruht auf dem Abdruck in Pietsch, Paul (Hg.): Leibniz und die deutsche Sprache. Berlin, 1908 (= Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, Vierte Reihe), S. 327-356. Pietsch stützte sich vor allem auf den Druck von 1717, zog für die Textherstellung aber auch die drei Handschriften A, B, C, alle in Hannover,heran. Der abweichende Schluß der ältesten Handschrift A wird unten in den Paragraphen A114 bis A119 wiedergegeben. Digitale Fassung bearbeitet von Thomas Gloning, Stand 22.7.2000. Korrekturhinweis 20.9.2013: hospes korr. zu hostes (freundlicher Hinweis von Dieter Maue). In A118, Z. 2 wurde "uach" zu "auch" korrigiert, in A119,4 "vermitttelst" zu "vermittelst" (Druckfehler).
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