Lenau, Nikolaus: Gedichte. Stuttgart, 1832.Der goldnen Frucht erquickend Süß zu trinken; Da sprach es aus der Blätternacht hervor: "Wohl siehst du hier die goldnen Früchte ragen, "Doch zarte, schwanke Zweige halten sie, "Die deines Leibes Schwere nicht ertragen, "D'rum klimme nicht, du pflückst die Früchte nie!" Und trauernd wandt' ich meinen Schritt von dannen, Nun fiel mein Blick auf meine liebe Braut, Und meines Schmerzes erste Thränen rannen, Als ich in's bleiche Antlitz ihr geschaut; Am Fußgesträuch des Baumes blieb er hangen Der Schleier, der so lieblich sie umfangen, Und ihr entsanken alle Reize, todt, Wie, frostverhaucht, der Ros' ihr welkes Roth. "Zurück, zurück, mein Liebchen, laß uns fliehen," -- So rief ich, -- "wo die Wunderblume blüht, "Wir wollen fromm vor ihr im Staube knieen, "Vielleicht, daß dort dein Auge wieder glüht, "Daß, auferweckt von ihrem Wunderhauche, "Die Schönheit frisch auf deiner Wange keimt, "Die du verlorst am unheilvollen Strauche!" Doch all' der Trost war leider nur geträumt; Denn wie wir auch im Labyrinthe suchten, Wir fanden nimmermehr den Weg zurück. -- -- Der goldnen Frucht erquickend Suͤß zu trinken; Da ſprach es aus der Blaͤtternacht hervor: „Wohl ſiehſt du hier die goldnen Fruͤchte ragen, „Doch zarte, ſchwanke Zweige halten ſie, „Die deines Leibes Schwere nicht ertragen, „D'rum klimme nicht, du pfluͤckſt die Fruͤchte nie!“ Und trauernd wandt' ich meinen Schritt von dannen, Nun fiel mein Blick auf meine liebe Braut, Und meines Schmerzes erſte Thraͤnen rannen, Als ich in's bleiche Antlitz ihr geſchaut; Am Fußgeſtraͤuch des Baumes blieb er hangen Der Schleier, der ſo lieblich ſie umfangen, Und ihr entſanken alle Reize, todt, Wie, froſtverhaucht, der Roſ' ihr welkes Roth. „Zuruͤck, zuruͤck, mein Liebchen, laß uns fliehen,“ — So rief ich, — „wo die Wunderblume bluͤht, „Wir wollen fromm vor ihr im Staube knieen, „Vielleicht, daß dort dein Auge wieder gluͤht, „Daß, auferweckt von ihrem Wunderhauche, „Die Schoͤnheit friſch auf deiner Wange keimt, „Die du verlorſt am unheilvollen Strauche!“ Doch all' der Troſt war leider nur getraͤumt; Denn wie wir auch im Labyrinthe ſuchten, Wir fanden nimmermehr den Weg zuruͤck. — — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0190" n="176"/> <l>Der goldnen Frucht erquickend Suͤß zu trinken;</l><lb/> <l>Da ſprach es aus der Blaͤtternacht hervor:</l><lb/> <l>„Wohl ſiehſt du hier die goldnen Fruͤchte ragen,</l><lb/> <l>„Doch zarte, ſchwanke Zweige halten ſie,</l><lb/> <l>„Die deines Leibes Schwere nicht ertragen,</l><lb/> <l>„D'rum klimme nicht, du pfluͤckſt die Fruͤchte nie!“</l><lb/> <l>Und trauernd wandt' ich meinen Schritt von dannen,</l><lb/> <l>Nun fiel mein Blick auf meine liebe Braut,</l><lb/> <l>Und meines Schmerzes erſte Thraͤnen rannen,</l><lb/> <l>Als ich in's bleiche Antlitz ihr geſchaut;</l><lb/> <l>Am Fußgeſtraͤuch des Baumes blieb er hangen</l><lb/> <l>Der Schleier, der ſo lieblich ſie umfangen,</l><lb/> <l>Und ihr entſanken alle Reize, todt,</l><lb/> <l>Wie, froſtverhaucht, der Roſ' ihr welkes Roth.</l><lb/> <l>„Zuruͤck, zuruͤck, mein Liebchen, laß uns fliehen,“</l><lb/> <l>— So rief ich, — „wo die Wunderblume bluͤht,</l><lb/> <l>„Wir wollen fromm vor ihr im Staube knieen,</l><lb/> <l>„Vielleicht, daß dort dein Auge wieder gluͤht,</l><lb/> <l>„Daß, auferweckt von ihrem Wunderhauche,</l><lb/> <l>„Die Schoͤnheit friſch auf deiner Wange keimt,</l><lb/> <l>„Die du verlorſt am unheilvollen Strauche!“</l><lb/> <l>Doch all' der Troſt war leider nur getraͤumt;</l><lb/> <l>Denn wie wir auch im Labyrinthe ſuchten,</l><lb/> <l>Wir fanden nimmermehr den Weg zuruͤck. — —</l><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [176/0190]
Der goldnen Frucht erquickend Suͤß zu trinken;
Da ſprach es aus der Blaͤtternacht hervor:
„Wohl ſiehſt du hier die goldnen Fruͤchte ragen,
„Doch zarte, ſchwanke Zweige halten ſie,
„Die deines Leibes Schwere nicht ertragen,
„D'rum klimme nicht, du pfluͤckſt die Fruͤchte nie!“
Und trauernd wandt' ich meinen Schritt von dannen,
Nun fiel mein Blick auf meine liebe Braut,
Und meines Schmerzes erſte Thraͤnen rannen,
Als ich in's bleiche Antlitz ihr geſchaut;
Am Fußgeſtraͤuch des Baumes blieb er hangen
Der Schleier, der ſo lieblich ſie umfangen,
Und ihr entſanken alle Reize, todt,
Wie, froſtverhaucht, der Roſ' ihr welkes Roth.
„Zuruͤck, zuruͤck, mein Liebchen, laß uns fliehen,“
— So rief ich, — „wo die Wunderblume bluͤht,
„Wir wollen fromm vor ihr im Staube knieen,
„Vielleicht, daß dort dein Auge wieder gluͤht,
„Daß, auferweckt von ihrem Wunderhauche,
„Die Schoͤnheit friſch auf deiner Wange keimt,
„Die du verlorſt am unheilvollen Strauche!“
Doch all' der Troſt war leider nur getraͤumt;
Denn wie wir auch im Labyrinthe ſuchten,
Wir fanden nimmermehr den Weg zuruͤck. — —
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |