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Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774.

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ter an den Stellen zusammenhalten, wo sie
eine und dieselbe Person in einer und dersel-
ben Situation sprechen lassen, um zu zeigen,
lorsque Racine et Pradon pensent de meme qu'ils
sont les plus differens.

Es sey der Monologe des Brutus als die
grosse That noch ein Embryo in seinem Ge-
hirn lag, durchs Schicksal gereift ward, dann
durch alle Hindernisse brach und wie Miner-
va in völliger Rüstung geboren ward. Die-
sen Gang eines grossen Entschlusses in der
Seele hat V. -- vielleicht nicht gesehen.
Erst zum Shakespear, meine Herren! Sein
Brutus spaziert in einer Nacht, wo Him-
mel und Erde im Sturm untergehen wol-
len, gelassen in seinem Garten. Räth aus
dem Lauf der Sterne, wie nah der Tag ist.
Kann ihn nicht erwarten, befiehlt seinem
Buben, ein Licht anzuzünden. "Es muß
durch seinen Tod geschehen: dafür hab ich
für mein Theil nicht die geringste Ursache,
aber um des Ganzen willen" -- Philosophirt
noch, berathschlagt noch ruhig und kalt, der-
weile die ganze Natur der bevorstehenden
Symfonie seiner Gemüthsbewegungen prä-
ambulirt. Lucius bringt ihm Zettel, die er
auf seinem Fenster gefunden. Er dechiffrirt
sie beym Schein der Blitze. "Rede -- schla-
ge -- verbeßre -- du schläfst" -- ha er
reift, er reift der fürchterliche Entschluß

"Rom!



ter an den Stellen zuſammenhalten, wo ſie
eine und dieſelbe Perſon in einer und derſel-
ben Situation ſprechen laſſen, um zu zeigen,
lorſque Racine et Pradon penſent de même qu’ils
ſont les plus differens.

Es ſey der Monologe des Brutus als die
groſſe That noch ein Embryo in ſeinem Ge-
hirn lag, durchs Schickſal gereift ward, dann
durch alle Hinderniſſe brach und wie Miner-
va in voͤlliger Ruͤſtung geboren ward. Die-
ſen Gang eines groſſen Entſchluſſes in der
Seele hat V. — vielleicht nicht geſehen.
Erſt zum Shakeſpear, meine Herren! Sein
Brutus ſpaziert in einer Nacht, wo Him-
mel und Erde im Sturm untergehen wol-
len, gelaſſen in ſeinem Garten. Raͤth aus
dem Lauf der Sterne, wie nah der Tag iſt.
Kann ihn nicht erwarten, befiehlt ſeinem
Buben, ein Licht anzuzuͤnden. „Es muß
durch ſeinen Tod geſchehen: dafuͤr hab ich
fuͤr mein Theil nicht die geringſte Urſache,
aber um des Ganzen willen‟ — Philoſophirt
noch, berathſchlagt noch ruhig und kalt, der-
weile die ganze Natur der bevorſtehenden
Symfonie ſeiner Gemuͤthsbewegungen praͤ-
ambulirt. Lucius bringt ihm Zettel, die er
auf ſeinem Fenſter gefunden. Er dechiffrirt
ſie beym Schein der Blitze. „Rede — ſchla-
ge — verbeßre — du ſchlaͤfſt‟ — ha er
reift, er reift der fuͤrchterliche Entſchluß

„Rom!
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[45/0051] ter an den Stellen zuſammenhalten, wo ſie eine und dieſelbe Perſon in einer und derſel- ben Situation ſprechen laſſen, um zu zeigen, lorſque Racine et Pradon penſent de même qu’ils ſont les plus differens. Es ſey der Monologe des Brutus als die groſſe That noch ein Embryo in ſeinem Ge- hirn lag, durchs Schickſal gereift ward, dann durch alle Hinderniſſe brach und wie Miner- va in voͤlliger Ruͤſtung geboren ward. Die- ſen Gang eines groſſen Entſchluſſes in der Seele hat V. — vielleicht nicht geſehen. Erſt zum Shakeſpear, meine Herren! Sein Brutus ſpaziert in einer Nacht, wo Him- mel und Erde im Sturm untergehen wol- len, gelaſſen in ſeinem Garten. Raͤth aus dem Lauf der Sterne, wie nah der Tag iſt. Kann ihn nicht erwarten, befiehlt ſeinem Buben, ein Licht anzuzuͤnden. „Es muß durch ſeinen Tod geſchehen: dafuͤr hab ich fuͤr mein Theil nicht die geringſte Urſache, aber um des Ganzen willen‟ — Philoſophirt noch, berathſchlagt noch ruhig und kalt, der- weile die ganze Natur der bevorſtehenden Symfonie ſeiner Gemuͤthsbewegungen praͤ- ambulirt. Lucius bringt ihm Zettel, die er auf ſeinem Fenſter gefunden. Er dechiffrirt ſie beym Schein der Blitze. „Rede — ſchla- ge — verbeßre — du ſchlaͤfſt‟ — ha er reift, er reift der fuͤrchterliche Entſchluß „Rom!

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Zitationshilfe: Lenz, Jakob Michael Reinhold: Anmerkungen übers Theater, nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Leipzig, 1774, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lenz_anmerkungen_1774/51>, abgerufen am 04.12.2024.