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Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876.

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a. Declination der Nomina.

Die dabei in Betracht kommenden Thatsachen sind folgende: das Germa-
nische hat eine zwiefache Behandlung des ursprünglichen a: in einer gewissen
Anzahl von Fällen erscheint es in allen Dialekten als o (oder dessen Vertreter uo
u. s. w.), in einer anderen bestimmten Anzahl hat das Gotische e, Althochd. a,
Alts. a, daneben auch e, Angelsächs. oe Altnord. a. Es kann hier ununter-
sucht bleiben, ob z. B. im Althochdeutschen das a erst secundäre Entwicklung
aus e ist, wofür manches spricht, da wir es hier nur mit der Differenz in der
Behandlung von altem a überhaupt zu thun haben. Woher diese Differenz rührt,
ist nicht auszumachen, nur, worauf es hier ankommt, ist durchaus kein Grund
zu finden für eine etwaige Annahme, dass wir in brothar = bhratar- und deds
= * dhati-
Vocale von ursprünglich verschiedener Qualität zu sehen hätten. Die
beiden Entwicklungen, zu o und nicht zu o, stimmen nun durchweg in den ger-
manischen Sprachen überein; es kommen aber einzelne Abweichungen, und
zwar nur in Endsilben vor, wo das Gotische e, das Althochdeutsche-altsächsische
aber o (o) zeigen (Angelsächsisch und Altnordisch kommen nicht in Betracht, weil
sie überhaupt in den Flexionssilben kein o mehr haben): es sind 2. sg. praet.
nasides, althd. neritos, got. sve, alth. so, got. vulfe, althd. wolfo(-o); ferner, aber
ebenfalls nur in Endsilben, giebt es Fälle, wo das got. a mit unentschiedener
Quantität, aber sicher einst lang, das Althochdeutsche dagegen o oder u hat,
z. B. hana -- hano; thamma (vgl. hvamme-h) -- demu u. s. w. Es sind daraus,
wie mir scheint, folgende Regeln zu entnehmen:

1. Das lange a der Endsilben (sei es ein ursprüngliches, sei es durch Er-
satzdehnung entstandenes) ist in den Fällen, wo Gotisch und Hochdeutsch in
der Qualität des Vocals differiren, als a im Urgermanischen anzusetzen.

2. Das Gotische kennt keine weitere Entwicklung des a zu o als die sich
bereits allgemein germanisch vollzogen hatte, im Althochdeutschen setzte sich
die Entwicklung von a fort und führte bald zu o (o), bald zu u; ihr verfielen
die in 1. bestimmten a: daher neritos, hano, demu.

3. Im Gotischen wurden dieselben a, wenn sie im Auslaut standen zu a,
daher hvamma, wenn in einsilbigen Worten oder vor Consonanten zu e, daher
hve, the, hvamme-h (eine Verbindung, die zu einer Zeit fest geworden sein
muss, als das a noch lang war).

Ehe wir dies auf den gen. plur. anwenden, ist noch daran zu erinnern, dass
das consonantische Auslautsgesetz in seiner gewöhnlichen Fassung nicht richtig
ist, dass vielmehr die Nasale nach ursprünglichem langen a später abfielen, dieser
Abfall überhaupt die letzte Phase des ganzen Auslautsgesetzes ist, dass also die
Fälle, wo ursprünglich m nach a im Auslaut stand, nicht unter vocalischen Aus-
laut zu zählen sind.

Betrachten wir davon aus den gen. plur., so ist für das msc. als urgerma-
nisch * vulfan, für das fem. * gibon anzusetzen, die weitere Entwicklung ergiebt
sich aus den angeführten Punkten: beim msc. folgte im Hochdeutschen das a der
fortgezetzten Umbildung zu o (o), daher wolfo(-o), wurde im Gotischen als nicht
im Auslaut stehend zu e, später fielen die Nasale ab. Die Erklärung aber, warum
das -an des msc. nicht ebenfalls im Urgermanischen zu -on ward, wird sich nun

a. Declination der Nomina.

Die dabei in Betracht kommenden Thatsachen sind folgende: das Germa-
nische hat eine zwiefache Behandlung des ursprünglichen ā: in einer gewissen
Anzahl von Fällen erscheint es in allen Dialekten als ō (oder dessen Vertreter uo
u. s. w.), in einer anderen bestimmten Anzahl hat das Gotische ē, Althochd. ā,
Alts. ā, daneben auch e, Angelsächs. œ Altnord. ā. Es kann hier ununter-
sucht bleiben, ob z. B. im Althochdeutschen das ā erst secundäre Entwicklung
aus ē ist, wofür manches spricht, da wir es hier nur mit der Differenz in der
Behandlung von altem ā überhaupt zu thun haben. Woher diese Differenz rührt,
ist nicht auszumachen, nur, worauf es hier ankommt, ist durchaus kein Grund
zu finden für eine etwaige Annahme, dass wir in brōþar = bhrātar- und dēds
= * dhāti-
Vocale von ursprünglich verschiedener Qualität zu sehen hätten. Die
beiden Entwicklungen, zu ō und nicht zu ō, stimmen nun durchweg in den ger-
manischen Sprachen überein; es kommen aber einzelne Abweichungen, und
zwar nur in Endsilben vor, wo das Gotische ē, das Althochdeutsche-altsächsische
aber ō (o) zeigen (Angelsächsisch und Altnordisch kommen nicht in Betracht, weil
sie überhaupt in den Flexionssilben kein o mehr haben): es sind 2. sg. praet.
nasidēs, althd. neritôs, got. svē, alth. , got. vulfê, althd. wolfô(-o); ferner, aber
ebenfalls nur in Endsilben, giebt es Fälle, wo das got. a mit unentschiedener
Quantität, aber sicher einst lang, das Althochdeutsche dagegen o oder u hat,
z. B. hana — hano; þamma (vgl. hvammê-h) — dëmu u. s. w. Es sind daraus,
wie mir scheint, folgende Regeln zu entnehmen:

1. Das lange ā der Endsilben (sei es ein ursprüngliches, sei es durch Er-
satzdehnung entstandenes) ist in den Fällen, wo Gotisch und Hochdeutsch in
der Qualität des Vocals differiren, als ā im Urgermanischen anzusetzen.

2. Das Gotische kennt keine weitere Entwicklung des ā zu ō als die sich
bereits allgemein germanisch vollzogen hatte, im Althochdeutschen setzte sich
die Entwicklung von ā fort und führte bald zu ô (o), bald zu u; ihr verfielen
die in 1. bestimmten ā: daher neritôs, hano, demu.

3. Im Gotischen wurden dieselben ā, wenn sie im Auslaut standen zu a,
daher hvamma, wenn in einsilbigen Worten oder vor Consonanten zu ē, daher
hvē, þē, hvammē-h (eine Verbindung, die zu einer Zeit fest geworden sein
muss, als das ā noch lang war).

Ehe wir dies auf den gen. plur. anwenden, ist noch daran zu erinnern, dass
das consonantische Auslautsgesetz in seiner gewöhnlichen Fassung nicht richtig
ist, dass vielmehr die Nasale nach ursprünglichem langen ā später abfielen, dieser
Abfall überhaupt die letzte Phase des ganzen Auslautsgesetzes ist, dass also die
Fälle, wo ursprünglich m nach ā im Auslaut stand, nicht unter vocalischen Aus-
laut zu zählen sind.

Betrachten wir davon aus den gen. plur., so ist für das msc. als urgerma-
nisch * vulfān, für das fem. * gibōn anzusetzen, die weitere Entwicklung ergiebt
sich aus den angeführten Punkten: beim msc. folgte im Hochdeutschen das ā der
fortgezetzten Umbildung zu ō (o), daher wolfô(-o), wurde im Gotischen als nicht
im Auslaut stehend zu ē, später fielen die Nasale ab. Die Erklärung aber, warum
das -ān des msc. nicht ebenfalls im Urgermanischen zu -ōn ward, wird sich nun

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[86/0122] a. Declination der Nomina. Die dabei in Betracht kommenden Thatsachen sind folgende: das Germa- nische hat eine zwiefache Behandlung des ursprünglichen ā: in einer gewissen Anzahl von Fällen erscheint es in allen Dialekten als ō (oder dessen Vertreter uo u. s. w.), in einer anderen bestimmten Anzahl hat das Gotische ē, Althochd. ā, Alts. ā, daneben auch e, Angelsächs. œ Altnord. ā. Es kann hier ununter- sucht bleiben, ob z. B. im Althochdeutschen das ā erst secundäre Entwicklung aus ē ist, wofür manches spricht, da wir es hier nur mit der Differenz in der Behandlung von altem ā überhaupt zu thun haben. Woher diese Differenz rührt, ist nicht auszumachen, nur, worauf es hier ankommt, ist durchaus kein Grund zu finden für eine etwaige Annahme, dass wir in brōþar = bhrātar- und dēds = * dhāti- Vocale von ursprünglich verschiedener Qualität zu sehen hätten. Die beiden Entwicklungen, zu ō und nicht zu ō, stimmen nun durchweg in den ger- manischen Sprachen überein; es kommen aber einzelne Abweichungen, und zwar nur in Endsilben vor, wo das Gotische ē, das Althochdeutsche-altsächsische aber ō (o) zeigen (Angelsächsisch und Altnordisch kommen nicht in Betracht, weil sie überhaupt in den Flexionssilben kein o mehr haben): es sind 2. sg. praet. nasidēs, althd. neritôs, got. svē, alth. sô, got. vulfê, althd. wolfô(-o); ferner, aber ebenfalls nur in Endsilben, giebt es Fälle, wo das got. a mit unentschiedener Quantität, aber sicher einst lang, das Althochdeutsche dagegen o oder u hat, z. B. hana — hano; þamma (vgl. hvammê-h) — dëmu u. s. w. Es sind daraus, wie mir scheint, folgende Regeln zu entnehmen: 1. Das lange ā der Endsilben (sei es ein ursprüngliches, sei es durch Er- satzdehnung entstandenes) ist in den Fällen, wo Gotisch und Hochdeutsch in der Qualität des Vocals differiren, als ā im Urgermanischen anzusetzen. 2. Das Gotische kennt keine weitere Entwicklung des ā zu ō als die sich bereits allgemein germanisch vollzogen hatte, im Althochdeutschen setzte sich die Entwicklung von ā fort und führte bald zu ô (o), bald zu u; ihr verfielen die in 1. bestimmten ā: daher neritôs, hano, demu. 3. Im Gotischen wurden dieselben ā, wenn sie im Auslaut standen zu a, daher hvamma, wenn in einsilbigen Worten oder vor Consonanten zu ē, daher hvē, þē, hvammē-h (eine Verbindung, die zu einer Zeit fest geworden sein muss, als das ā noch lang war). Ehe wir dies auf den gen. plur. anwenden, ist noch daran zu erinnern, dass das consonantische Auslautsgesetz in seiner gewöhnlichen Fassung nicht richtig ist, dass vielmehr die Nasale nach ursprünglichem langen ā später abfielen, dieser Abfall überhaupt die letzte Phase des ganzen Auslautsgesetzes ist, dass also die Fälle, wo ursprünglich m nach ā im Auslaut stand, nicht unter vocalischen Aus- laut zu zählen sind. Betrachten wir davon aus den gen. plur., so ist für das msc. als urgerma- nisch * vulfān, für das fem. * gibōn anzusetzen, die weitere Entwicklung ergiebt sich aus den angeführten Punkten: beim msc. folgte im Hochdeutschen das ā der fortgezetzten Umbildung zu ō (o), daher wolfô(-o), wurde im Gotischen als nicht im Auslaut stehend zu ē, später fielen die Nasale ab. Die Erklärung aber, warum das -ān des msc. nicht ebenfalls im Urgermanischen zu -ōn ward, wird sich nun

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Zitationshilfe: Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leskien_declination_1876/122>, abgerufen am 21.11.2024.