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Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876.

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Einleitung.
den, und diese können die Grenznachbarn von Kelten oder Germanen oder
Slaven oder allen dreien sein. Dass diese geographische Lage auch schon vor
dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bestanden hat, kann nicht
zweifelhaft sein, wie lange sie so oder ungefähr so zurückreicht, lässt sich frei-
lich nicht bestimmen. Betrachtet man nun den ungeheuren Umfang des Gebietes,
die Culturzustände, in denen wir die meisten indogermanischen Völker zur Zeit
ihres ersten geschichtlichen Auftretens finden, die allgemeinen geographischen
Verhältnisse Europas, die äussere Beschaffenheit des Landes, wie wir sie für das
alte Nord- und Mitteleuropa kennen, so scheint es mir aller historischen Wahr-
scheinlichkeit zu widersprechen, dass die Lage der Völker zu der angegebenen
Zeit die unmittelbare Folge einer continuirlichen Ausbreitung sei, dass in dem
langen Zeitraume, der bis zur vollendeten Occupation des genannten Gebietes
verlaufen sein muss, niemals wirkliche geographische Trennungen stattgefunden
haben. Ich muss wenigstens gestehen, dass ich ohne dieselben mir die Aus-
breitung der Indogermanen nicht vorstellen kann. Sind aber solche Trennungen
vorauszusetzen, so bleibt es möglich, dass jede der angeführten geographischen
Berührungen nach einer langen Periode der Trennung erst durch Annäherung
von verschiedenen Seiten her wieder neu erfolgt, dass z. B. die Nachbarschaft
der Germanen und Kelten an Rhein und Donau durch zufällige äussere Umstände,
die mit dem Verhältniss der Sprachen gar nichts zu schaffen haben, hervorge-
bracht ist, so gut wie das Zusammenwohnen von Griechen und Italikern auf der
italischen Halbinsel durch Einwanderung von Griechen in den südlichen Theil
derselben.

Wenn man aber die Wahrscheinlichkeit einer Anzahl von Trennungen zu-
gibt, so muss man bei der Voraussetzung, die bestehenden Verhältnisse der
indogermanischen Sprachen zu einander erklärten sich nur aus Uebergangsstufen
und könnten sich nur innerhalb einer geographischen Continuität ausgebildet
haben, diese Continuität vor jede Ausbreitung verlegen, in ein verhältnissmässig,
d. h. mit der späteren Ausdehnung verglichen, enges Gebiet. Und wer von jener
Voraussetzung ausgeht, wird eben antworten, dass kein Hinderniss bestehe, die
Herausbildung der sprachlichen Eigenthümlichkeiten, durch welche sich die ent-
fernter von einander wohnenden Stämme unterscheiden, und der zwischen ihnen
liegenden Mittelstufen in jenes Gebiet und jene Zeit zu verlegen. Dagegen ist
auch principiell von Seiten der Sprache nichts einzuwenden: jedes einigermassen
ausgedehnte Volk zeigt dialektische Differenzen der trotzdem als einheitlich ange-
sehenen Sprache. Aber sobald man diese Anschauungsweise combinirt mit der
Wahrscheinlichkeit der Wanderungen und geographischen Trennungen, so er-
gibt sich eine Möglichkeit, die den Werth von Schmidts Hypothese nicht auf-
hebt, aber die Consequenzen wesentlich modificirt. Wenn man innerhalb der
indogermanischen Einheit z. B. die Vorfahren der Germanen mit a bezeichnet, die
der Arier mit c, beide in der Zeit der geographischen Continuität durch gewisse
dialektische Eigenthümlichkeiten sprachlich unterschieden, ferner die zwischen
beiden wohnenden Vorfahren der Slaven und Litauer mit b, deren Dialekt weder
von a noch von c getrennt werden konnte und die Vermittelung beider bildete,

Einleitung.
den, und diese können die Grenznachbarn von Kelten oder Germanen oder
Slaven oder allen dreien sein. Dass diese geographische Lage auch schon vor
dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bestanden hat, kann nicht
zweifelhaft sein, wie lange sie so oder ungefähr so zurückreicht, lässt sich frei-
lich nicht bestimmen. Betrachtet man nun den ungeheuren Umfang des Gebietes,
die Culturzustände, in denen wir die meisten indogermanischen Völker zur Zeit
ihres ersten geschichtlichen Auftretens finden, die allgemeinen geographischen
Verhältnisse Europas, die äussere Beschaffenheit des Landes, wie wir sie für das
alte Nord- und Mitteleuropa kennen, so scheint es mir aller historischen Wahr-
scheinlichkeit zu widersprechen, dass die Lage der Völker zu der angegebenen
Zeit die unmittelbare Folge einer continuirlichen Ausbreitung sei, dass in dem
langen Zeitraume, der bis zur vollendeten Occupation des genannten Gebietes
verlaufen sein muss, niemals wirkliche geographische Trennungen stattgefunden
haben. Ich muss wenigstens gestehen, dass ich ohne dieselben mir die Aus-
breitung der Indogermanen nicht vorstellen kann. Sind aber solche Trennungen
vorauszusetzen, so bleibt es möglich, dass jede der angeführten geographischen
Berührungen nach einer langen Periode der Trennung erst durch Annäherung
von verschiedenen Seiten her wieder neu erfolgt, dass z. B. die Nachbarschaft
der Germanen und Kelten an Rhein und Donau durch zufällige äussere Umstände,
die mit dem Verhältniss der Sprachen gar nichts zu schaffen haben, hervorge-
bracht ist, so gut wie das Zusammenwohnen von Griechen und Italikern auf der
italischen Halbinsel durch Einwanderung von Griechen in den südlichen Theil
derselben.

Wenn man aber die Wahrscheinlichkeit einer Anzahl von Trennungen zu-
gibt, so muss man bei der Voraussetzung, die bestehenden Verhältnisse der
indogermanischen Sprachen zu einander erklärten sich nur aus Uebergangsstufen
und könnten sich nur innerhalb einer geographischen Continuität ausgebildet
haben, diese Continuität vor jede Ausbreitung verlegen, in ein verhältnissmässig,
d. h. mit der späteren Ausdehnung verglichen, enges Gebiet. Und wer von jener
Voraussetzung ausgeht, wird eben antworten, dass kein Hinderniss bestehe, die
Herausbildung der sprachlichen Eigenthümlichkeiten, durch welche sich die ent-
fernter von einander wohnenden Stämme unterscheiden, und der zwischen ihnen
liegenden Mittelstufen in jenes Gebiet und jene Zeit zu verlegen. Dagegen ist
auch principiell von Seiten der Sprache nichts einzuwenden: jedes einigermassen
ausgedehnte Volk zeigt dialektische Differenzen der trotzdem als einheitlich ange-
sehenen Sprache. Aber sobald man diese Anschauungsweise combinirt mit der
Wahrscheinlichkeit der Wanderungen und geographischen Trennungen, so er-
gibt sich eine Möglichkeit, die den Werth von Schmidts Hypothese nicht auf-
hebt, aber die Consequenzen wesentlich modificirt. Wenn man innerhalb der
indogermanischen Einheit z. B. die Vorfahren der Germanen mit a bezeichnet, die
der Arier mit c, beide in der Zeit der geographischen Continuität durch gewisse
dialektische Eigenthümlichkeiten sprachlich unterschieden, ferner die zwischen
beiden wohnenden Vorfahren der Slaven und Litauer mit b, deren Dialekt weder
von a noch von c getrennt werden konnte und die Vermittelung beider bildete,

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[XI/0017] Einleitung. den, und diese können die Grenznachbarn von Kelten oder Germanen oder Slaven oder allen dreien sein. Dass diese geographische Lage auch schon vor dem ersten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bestanden hat, kann nicht zweifelhaft sein, wie lange sie so oder ungefähr so zurückreicht, lässt sich frei- lich nicht bestimmen. Betrachtet man nun den ungeheuren Umfang des Gebietes, die Culturzustände, in denen wir die meisten indogermanischen Völker zur Zeit ihres ersten geschichtlichen Auftretens finden, die allgemeinen geographischen Verhältnisse Europas, die äussere Beschaffenheit des Landes, wie wir sie für das alte Nord- und Mitteleuropa kennen, so scheint es mir aller historischen Wahr- scheinlichkeit zu widersprechen, dass die Lage der Völker zu der angegebenen Zeit die unmittelbare Folge einer continuirlichen Ausbreitung sei, dass in dem langen Zeitraume, der bis zur vollendeten Occupation des genannten Gebietes verlaufen sein muss, niemals wirkliche geographische Trennungen stattgefunden haben. Ich muss wenigstens gestehen, dass ich ohne dieselben mir die Aus- breitung der Indogermanen nicht vorstellen kann. Sind aber solche Trennungen vorauszusetzen, so bleibt es möglich, dass jede der angeführten geographischen Berührungen nach einer langen Periode der Trennung erst durch Annäherung von verschiedenen Seiten her wieder neu erfolgt, dass z. B. die Nachbarschaft der Germanen und Kelten an Rhein und Donau durch zufällige äussere Umstände, die mit dem Verhältniss der Sprachen gar nichts zu schaffen haben, hervorge- bracht ist, so gut wie das Zusammenwohnen von Griechen und Italikern auf der italischen Halbinsel durch Einwanderung von Griechen in den südlichen Theil derselben. Wenn man aber die Wahrscheinlichkeit einer Anzahl von Trennungen zu- gibt, so muss man bei der Voraussetzung, die bestehenden Verhältnisse der indogermanischen Sprachen zu einander erklärten sich nur aus Uebergangsstufen und könnten sich nur innerhalb einer geographischen Continuität ausgebildet haben, diese Continuität vor jede Ausbreitung verlegen, in ein verhältnissmässig, d. h. mit der späteren Ausdehnung verglichen, enges Gebiet. Und wer von jener Voraussetzung ausgeht, wird eben antworten, dass kein Hinderniss bestehe, die Herausbildung der sprachlichen Eigenthümlichkeiten, durch welche sich die ent- fernter von einander wohnenden Stämme unterscheiden, und der zwischen ihnen liegenden Mittelstufen in jenes Gebiet und jene Zeit zu verlegen. Dagegen ist auch principiell von Seiten der Sprache nichts einzuwenden: jedes einigermassen ausgedehnte Volk zeigt dialektische Differenzen der trotzdem als einheitlich ange- sehenen Sprache. Aber sobald man diese Anschauungsweise combinirt mit der Wahrscheinlichkeit der Wanderungen und geographischen Trennungen, so er- gibt sich eine Möglichkeit, die den Werth von Schmidts Hypothese nicht auf- hebt, aber die Consequenzen wesentlich modificirt. Wenn man innerhalb der indogermanischen Einheit z. B. die Vorfahren der Germanen mit a bezeichnet, die der Arier mit c, beide in der Zeit der geographischen Continuität durch gewisse dialektische Eigenthümlichkeiten sprachlich unterschieden, ferner die zwischen beiden wohnenden Vorfahren der Slaven und Litauer mit b, deren Dialekt weder von a noch von c getrennt werden konnte und die Vermittelung beider bildete,

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Zitationshilfe: Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876, S. XI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leskien_declination_1876/17>, abgerufen am 21.11.2024.