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Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876.

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Einleitung.
schen * orolija oder * orolja erhalten sein (vgl. korova), im Cechischen * ralja
stehen (vgl. krava), nur das polnisch-sorbische rola entspricht der Regel, indem
nach Schmidt in diesen Sprachen der erste Vocal der Svarabhakti verloren geht
(krova). Schmidt kann also die russische Form nur erklären durch den Ver-
lust des ersten o von * orolija (S. 197) und beruft sich auf die Abneigung aller
Slaven gegen vocalischen Anlaut. Sievers in seiner Besprechung des Werkes (Jen.
Lit. 1876, Art. 79) hebt die Unwahrscheinlichkeit dieses Vorganges hervor, zu-
mal "ja die Wörter mit gemeinslavischer Svarabhakti ihren anlautenden Vocal
ruhig behalten (russ. oleni, olovo)". Es kommt aber vor allem in Betracht, dass
eine Abneigung gegen anlautendes o im Russischen nicht besteht, das Gross-
russische bewahrt es im Anlaut überall, und diejenigen slavischen Sprachen,
welche es vermeiden, denen man also jene Abneigung zuschreiben kann, setzen
v vor, aber auch in diesen ist der consonantische Vorschlag verhältnissmässig
jungen Datums. Man kann also nicht mit Schmidt sagen, jene Abneigung habe
die Ausbreitung der von den Nachbarn herüberdringenden Vereinfachung (der
von den Westslaven herüberkommenden des oro zu ro) begünstigt; die Abnei-
gung existirte eben nicht. Für das Russische kann man nur annehmen, dass
ro unmittelbar, ohne die Mittelstufe der Svarabhakti aus or umgestellt sei. Nur
im Vorbeigehen füge ich hinzu, dass dieser eine Fall schon es überhaupt sehr
zweifelhaft macht, ob irgendwo zur Erklärung des r, l + voc. statt ursprüng-
lichem voc. + r, l, die sogenannte Metathesis, Annahme von Svarabhakti erfor-
derlich ist.

Der zweite Fall, wo die Sprachen im Vocal als a übereinstimmen, ist folgender:

Grundform * ar-lra-m, * artlam (Pflug, W. ar)
ursl. * ardlo
ursl. * aradlo
überall radlo, ralo.

Dagegen wäre zu erwarten gewesen nach der Analogie von * arlija west-
slavisch und russisch * orodlo, * rodlo, * rolo, oder lassen wir diese Analogie fallen
und stellen uns vor, die Regel des Inlauts wäre befolgt, so hätte entstehen müssen
russ. * orolo, poln. und sorbisch * rodlo, cechisch und südslavisch radlo, ralo.
Da nun das südslavische ralo bei beiden Voraussetzungen, nach dem Entwick-
lungsgange von * arlija wie nach dem des Inlauts, im regelmässigen Laufe der
Entwicklung liegt, und man sich nach Schmidt vorstellen soll, dass im Russischen
rolja durch Hinüberdringen des Einflusses von Seiten der Vorfahren der West-
slaven aus * orolija entstanden sei, muss man consequenter Weise annehmen,
dass a im westslavischen und russischen radlo, ralo auf einem Uebergreifen der
bei den Vorfahren der Südslaven einheimischen Wandlung von oro (ara) in ra
beruhe. Also muss man zu der Anschauung kommen, dass innerhalb einer An-
zahl ursprünglich gleich geformter Worte, und es handelt sich hier um eine ge-
ringe Anzahl, das eine von dieser, das andere von jener Seite her seine Gestalt
bekommen habe. Schmidt drückt sich zwar S. 196 etwas allgemeiner aus: im
Anlaute "erlitten einige Worte auf dem ganzen Slavengebiete, also auch bei den
Vorfahren der Russen, Polen, Sorben, Polaben Contraction zu ra, la". Allein da

Einleitung.
schen * orolĭja oder * orolja erhalten sein (vgl. koróva), im Čechischen * rālja
stehen (vgl. kráva), nur das polnisch-sorbische rola entspricht der Regel, indem
nach Schmidt in diesen Sprachen der erste Vocal der Svarabhakti verloren geht
(krova). Schmidt kann also die russische Form nur erklären durch den Ver-
lust des ersten o von * orolĭja (S. 197) und beruft sich auf die Abneigung aller
Slaven gegen vocalischen Anlaut. Sievers in seiner Besprechung des Werkes (Jen.
Lit. 1876, Art. 79) hebt die Unwahrscheinlichkeit dieses Vorganges hervor, zu-
mal «ja die Wörter mit gemeinslavischer Svarabhakti ihren anlautenden Vocal
ruhig behalten (russ. olénĭ, ólovo)». Es kommt aber vor allem in Betracht, dass
eine Abneigung gegen anlautendes o im Russischen nicht besteht, das Gross-
russische bewahrt es im Anlaut überall, und diejenigen slavischen Sprachen,
welche es vermeiden, denen man also jene Abneigung zuschreiben kann, setzen
v vor, aber auch in diesen ist der consonantische Vorschlag verhältnissmässig
jungen Datums. Man kann also nicht mit Schmidt sagen, jene Abneigung habe
die Ausbreitung der von den Nachbarn herüberdringenden Vereinfachung (der
von den Westslaven herüberkommenden des oro zu ro) begünstigt; die Abnei-
gung existirte eben nicht. Für das Russische kann man nur annehmen, dass
ro unmittelbar, ohne die Mittelstufe der Svarabhakti aus or umgestellt sei. Nur
im Vorbeigehen füge ich hinzu, dass dieser eine Fall schon es überhaupt sehr
zweifelhaft macht, ob irgendwo zur Erklärung des r, l + voc. statt ursprüng-
lichem voc. + r, l, die sogenannte Metathesis, Annahme von Svarabhakti erfor-
derlich ist.

Der zweite Fall, wo die Sprachen im Vocal als a übereinstimmen, ist folgender:

Grundform * ar-lra-m, * artlam (Pflug, W. ar)
ursl. * årdlo
ursl. * årådlo
überall rādlo, rālo.

Dagegen wäre zu erwarten gewesen nach der Analogie von * arlija west-
slavisch und russisch * orodlo, * rodlo, * rolo, oder lassen wir diese Analogie fallen
und stellen uns vor, die Regel des Inlauts wäre befolgt, so hätte entstehen müssen
russ. * orolo, poln. und sorbisch * rodlo, čechisch und südslavisch radlo, ralo.
Da nun das südslavische ralo bei beiden Voraussetzungen, nach dem Entwick-
lungsgange von * arlija wie nach dem des Inlauts, im regelmässigen Laufe der
Entwicklung liegt, und man sich nach Schmidt vorstellen soll, dass im Russischen
rolja durch Hinüberdringen des Einflusses von Seiten der Vorfahren der West-
slaven aus * orolĭja entstanden sei, muss man consequenter Weise annehmen,
dass a im westslavischen und russischen radlo, ralo auf einem Uebergreifen der
bei den Vorfahren der Südslaven einheimischen Wandlung von oro (årå) in
beruhe. Also muss man zu der Anschauung kommen, dass innerhalb einer An-
zahl ursprünglich gleich geformter Worte, und es handelt sich hier um eine ge-
ringe Anzahl, das eine von dieser, das andere von jener Seite her seine Gestalt
bekommen habe. Schmidt drückt sich zwar S. 196 etwas allgemeiner aus: im
Anlaute «erlitten einige Worte auf dem ganzen Slavengebiete, also auch bei den
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[XIX/0025] Einleitung. schen * orolĭja oder * orolja erhalten sein (vgl. koróva), im Čechischen * rālja stehen (vgl. kráva), nur das polnisch-sorbische rola entspricht der Regel, indem nach Schmidt in diesen Sprachen der erste Vocal der Svarabhakti verloren geht (krova). Schmidt kann also die russische Form nur erklären durch den Ver- lust des ersten o von * orolĭja (S. 197) und beruft sich auf die Abneigung aller Slaven gegen vocalischen Anlaut. Sievers in seiner Besprechung des Werkes (Jen. Lit. 1876, Art. 79) hebt die Unwahrscheinlichkeit dieses Vorganges hervor, zu- mal «ja die Wörter mit gemeinslavischer Svarabhakti ihren anlautenden Vocal ruhig behalten (russ. olénĭ, ólovo)». Es kommt aber vor allem in Betracht, dass eine Abneigung gegen anlautendes o im Russischen nicht besteht, das Gross- russische bewahrt es im Anlaut überall, und diejenigen slavischen Sprachen, welche es vermeiden, denen man also jene Abneigung zuschreiben kann, setzen v vor, aber auch in diesen ist der consonantische Vorschlag verhältnissmässig jungen Datums. Man kann also nicht mit Schmidt sagen, jene Abneigung habe die Ausbreitung der von den Nachbarn herüberdringenden Vereinfachung (der von den Westslaven herüberkommenden des oro zu ro) begünstigt; die Abnei- gung existirte eben nicht. Für das Russische kann man nur annehmen, dass ro unmittelbar, ohne die Mittelstufe der Svarabhakti aus or umgestellt sei. Nur im Vorbeigehen füge ich hinzu, dass dieser eine Fall schon es überhaupt sehr zweifelhaft macht, ob irgendwo zur Erklärung des r, l + voc. statt ursprüng- lichem voc. + r, l, die sogenannte Metathesis, Annahme von Svarabhakti erfor- derlich ist. Der zweite Fall, wo die Sprachen im Vocal als a übereinstimmen, ist folgender: Grundform * ar-lra-m, * artlam (Pflug, W. ar) ursl. * årdlo ursl. * årådlo überall rādlo, rālo. Dagegen wäre zu erwarten gewesen nach der Analogie von * arlija west- slavisch und russisch * orodlo, * rodlo, * rolo, oder lassen wir diese Analogie fallen und stellen uns vor, die Regel des Inlauts wäre befolgt, so hätte entstehen müssen russ. * orolo, poln. und sorbisch * rodlo, čechisch und südslavisch radlo, ralo. Da nun das südslavische ralo bei beiden Voraussetzungen, nach dem Entwick- lungsgange von * arlija wie nach dem des Inlauts, im regelmässigen Laufe der Entwicklung liegt, und man sich nach Schmidt vorstellen soll, dass im Russischen rolja durch Hinüberdringen des Einflusses von Seiten der Vorfahren der West- slaven aus * orolĭja entstanden sei, muss man consequenter Weise annehmen, dass a im westslavischen und russischen radlo, ralo auf einem Uebergreifen der bei den Vorfahren der Südslaven einheimischen Wandlung von oro (årå) in rā beruhe. Also muss man zu der Anschauung kommen, dass innerhalb einer An- zahl ursprünglich gleich geformter Worte, und es handelt sich hier um eine ge- ringe Anzahl, das eine von dieser, das andere von jener Seite her seine Gestalt bekommen habe. Schmidt drückt sich zwar S. 196 etwas allgemeiner aus: im Anlaute «erlitten einige Worte auf dem ganzen Slavengebiete, also auch bei den Vorfahren der Russen, Polen, Sorben, Polaben Contraction zu rā, lā». Allein da

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Zitationshilfe: Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876, S. XIX. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leskien_declination_1876/25>, abgerufen am 24.11.2024.