Leskien, August: Die Declination im Slavisch-Litauischen und Germanischen. Leipzig, 1876.i. Die Casus des Singulars. in dem ganzen uns historisch bekannten Verlauf zwar sehr häufig die Schwächungund Verkürzung eines ursprünglich vollen und langen i zu i vorkommt, ja das- selbe ganz, wenigstens in seiner Geltung als Vocal verloren geht, z. B. inf. ab. delati, russ. delati, sprich delat, während die gleiche Erscheinung bei y ganz fehlt, aus diesem wird nie das dem i entsprechende u. Dieser Unterschied in der Behandlung des i und y stimmt wieder zu dem allgemein beobachteten Gesetz von der grösseren Widerstandsfähigkeit der u-Vocale gegen Schwächungen und Ausstossungen gegenüber den a- und i-Vocalen (vgl. das gotische und lettische Auslautsgesetz). Es ist demnach die Vorstufe eines -y für den gen. plur. durch- aus unwahrscheinlich, und die Erklärung des -u kann nur ausgehen von der Annahme einer Verkürzung des noch intact bestehenden -am (-an) zu -am (-an), aus dem weiterhin nothwendig -u wird, oder aus der Verkürzung eines bereits aus -am (-an) gewordenen -um (-un) zu -um (-un), aus dem wieder u werden muss, vor dem Eintritt der Wandlung aller langen u zu y. Mir ist das erstere eben wegen der grösseren Nachgiebigkeit der a-vocale gegen Kürzungen wahr- scheinlicher; im Litauischen z. B., um einen analogen Fall anzuführen, hat der gen. plur. sein langes u bis auf den heutigen Tag bewahrt, mergu, während der acc. sg. fem. auf -am seit alter Zeit verkürzt auftritt, merga. Um hier ein für allemal für die Behandlung der in der Flexion so häufigen 1. ein Nasalvocal (a, e) entsteht nur in einer (natura oder positione) langen 2. Nasalvocal kann nur aus ursprünglichem a-vocal entstehen, aus a + nas. 3. Wo ein y = u einer ursprünglich nasalen Silbe mit ursprünglichem a i. Die Casus des Singulars. in dem ganzen uns historisch bekannten Verlauf zwar sehr häufig die Schwächungund Verkürzung eines ursprünglich vollen und langen ī zu ĭ vorkommt, ja das- selbe ganz, wenigstens in seiner Geltung als Vocal verloren geht, z. B. inf. ab. dělati, russ. dęłatĭ, sprich dělat́, während die gleiche Erscheinung bei y ganz fehlt, aus diesem wird nie das dem ĭ entsprechende ŭ. Dieser Unterschied in der Behandlung des i und y stimmt wieder zu dem allgemein beobachteten Gesetz von der grösseren Widerstandsfähigkeit der u-Vocale gegen Schwächungen und Ausstossungen gegenüber den a- und i-Vocalen (vgl. das gotische und lettische Auslautsgesetz). Es ist demnach die Vorstufe eines -y für den gen. plur. durch- aus unwahrscheinlich, und die Erklärung des -ŭ kann nur ausgehen von der Annahme einer Verkürzung des noch intact bestehenden -ām (-ān) zu -am (-an), aus dem weiterhin nothwendig -ŭ wird, oder aus der Verkürzung eines bereits aus -ām (-ān) gewordenen -ūm (-ūn) zu -um (-un), aus dem wieder ŭ werden muss, vor dem Eintritt der Wandlung aller langen ū zu y. Mir ist das erstere eben wegen der grösseren Nachgiebigkeit der a-vocale gegen Kürzungen wahr- scheinlicher; im Litauischen z. B., um einen analogen Fall anzuführen, hat der gen. plur. sein langes ū bis auf den heutigen Tag bewahrt, mergū́, während der acc. sg. fem. auf -ām seit alter Zeit verkürzt auftritt, mérgą̨̆. Um hier ein für allemal für die Behandlung der in der Flexion so häufigen 1. ein Nasalvocal (ą, ę) entsteht nur in einer (natura oder positione) langen 2. Nasalvocal kann nur aus ursprünglichem a-vocal entstehen, aus ā + nas. 3. Wo ein y = ū einer ursprünglich nasalen Silbe mit ursprünglichem a <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <div n="6"> <p><pb facs="#f0051" n="15"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">i. Die Casus des Singulars</hi>.</fw><lb/> in dem ganzen uns historisch bekannten Verlauf zwar sehr häufig die Schwächung<lb/> und Verkürzung eines ursprünglich vollen und langen <hi rendition="#i">ī</hi> zu <hi rendition="#i">ĭ</hi> vorkommt, ja das-<lb/> selbe ganz, wenigstens in seiner Geltung als Vocal verloren geht, z. B. inf. ab.<lb/><hi rendition="#i">dělati</hi>, russ. <hi rendition="#i">dęłatĭ</hi>, sprich <hi rendition="#i">dělat́</hi>, während die gleiche Erscheinung bei <hi rendition="#i">y</hi> ganz fehlt,<lb/> aus diesem wird nie das dem <hi rendition="#i">ĭ</hi> entsprechende <hi rendition="#i">ŭ</hi>. 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B., um einen analogen Fall anzuführen, hat der<lb/> gen. plur. sein langes <hi rendition="#i">ū</hi> bis auf den heutigen Tag bewahrt, <hi rendition="#i">mergū́</hi>, während der<lb/> acc. sg. fem. auf -<hi rendition="#i">ām</hi> seit alter Zeit verkürzt auftritt, <hi rendition="#i">mérgą̨̆</hi>.</p><lb/> <p>Um hier ein für allemal für die Behandlung der in der Flexion so häufigen<lb/><hi rendition="#i">y</hi> und der nasalen Silben die Richtschnur zu geben und nicht jedesmal die betref-<lb/> fenden Regeln wiederholen zu müssen, fasse ich sie sogleich zusammen:</p><lb/> <p>1. ein Nasalvocal (<hi rendition="#i">ą, ę</hi>) entsteht nur in einer (natura oder positione) langen<lb/> Silbe; daher 1. sg. praes. <hi rendition="#i">nesą</hi> = <hi rendition="#i">ām</hi> (<hi rendition="#i">i</hi>), aber 1. sg. aor. <hi rendition="#i">nesŭ</hi> = -<hi rendition="#i">am;</hi> acc. sg.<lb/> fem. <hi rendition="#i">ženą</hi> = -<hi rendition="#i">ām</hi>, aber acc. sg. msc. <hi rendition="#i">vlŭkŭ</hi> = -<hi rendition="#i">am</hi>.</p><lb/> <p>2. 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Dass diese Chronologie richtig ist,<lb/> beweist unwiderleglich die Parallelität der acc. plur. wie <hi rendition="#i">ženy</hi> — <hi rendition="#i">dušę</hi>, der<lb/> Participien wie <hi rendition="#i">nesy</hi> — <hi rendition="#i">pišę</hi> (vgl. auch <hi rendition="#i">kamy</hi> — <hi rendition="#i">korę</hi>). 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i. Die Casus des Singulars.
in dem ganzen uns historisch bekannten Verlauf zwar sehr häufig die Schwächung
und Verkürzung eines ursprünglich vollen und langen ī zu ĭ vorkommt, ja das-
selbe ganz, wenigstens in seiner Geltung als Vocal verloren geht, z. B. inf. ab.
dělati, russ. dęłatĭ, sprich dělat́, während die gleiche Erscheinung bei y ganz fehlt,
aus diesem wird nie das dem ĭ entsprechende ŭ. Dieser Unterschied in der
Behandlung des i und y stimmt wieder zu dem allgemein beobachteten Gesetz
von der grösseren Widerstandsfähigkeit der u-Vocale gegen Schwächungen und
Ausstossungen gegenüber den a- und i-Vocalen (vgl. das gotische und lettische
Auslautsgesetz). Es ist demnach die Vorstufe eines -y für den gen. plur. durch-
aus unwahrscheinlich, und die Erklärung des -ŭ kann nur ausgehen von der
Annahme einer Verkürzung des noch intact bestehenden -ām (-ān) zu -am (-an),
aus dem weiterhin nothwendig -ŭ wird, oder aus der Verkürzung eines bereits
aus -ām (-ān) gewordenen -ūm (-ūn) zu -um (-un), aus dem wieder ŭ werden
muss, vor dem Eintritt der Wandlung aller langen ū zu y. Mir ist das erstere
eben wegen der grösseren Nachgiebigkeit der a-vocale gegen Kürzungen wahr-
scheinlicher; im Litauischen z. B., um einen analogen Fall anzuführen, hat der
gen. plur. sein langes ū bis auf den heutigen Tag bewahrt, mergū́, während der
acc. sg. fem. auf -ām seit alter Zeit verkürzt auftritt, mérgą̨̆.
Um hier ein für allemal für die Behandlung der in der Flexion so häufigen
y und der nasalen Silben die Richtschnur zu geben und nicht jedesmal die betref-
fenden Regeln wiederholen zu müssen, fasse ich sie sogleich zusammen:
1. ein Nasalvocal (ą, ę) entsteht nur in einer (natura oder positione) langen
Silbe; daher 1. sg. praes. nesą = ām (i), aber 1. sg. aor. nesŭ = -am; acc. sg.
fem. ženą = -ām, aber acc. sg. msc. vlŭkŭ = -am.
2. Nasalvocal kann nur aus ursprünglichem a-vocal entstehen, aus ā + nas.
oder aus ă + nas. + cons., und zwar ist ą = ā + nas., ę = ē + nas.; nie
wird aus i oder u + nas. ein Nasalvocal, sondern stets ī, ū (d. h. slav. y), da-
her acc. plur. noštī = naktins, syny = sūnuns.
3. Wo ein y = ū einer ursprünglich nasalen Silbe mit ursprünglichem a
entspricht, folgte nach der früheren Auseinandersetzung stets nas. + cons.; da
nach 2. aus jedem als a verbliebenen a-Vocal + nas. vor anderen Consonanten
ą geworden wäre, muss zu der Zeit, als im Slavischen die Nasalvocale ent-
standen, in den betreffenden Silben bereits ein Vocal gestanden haben, der
nicht mit dem Nasal zum Nasalvocal werden konnte, d. h. hier die nächste Vor-
stufe des y, nämlich un, hervorgegangen aus an durch verdumpfende Einwirkung
des nasalen Consonanten (oder ūn aus ān, wenn wie z. B. im acc. pl. fem. auf
ursprüngliches -ā-ns das ā bereis lang war). Dass diese Chronologie richtig ist,
beweist unwiderleglich die Parallelität der acc. plur. wie ženy — dušę, der
Participien wie nesy — pišę (vgl. auch kamy — korę). Das j hindert die Ver-
dumpfung des a (ā) zu u (ū), der a-vocal blieb, sei es als a oder e, daher die
Nasalvocale nach dem j; hätte zu derselben Zeit bei den a-stämmen ohne j noch
das a (ā) bestanden, so wäre nothwendig parallel den ja- (jā-) stämmen die
Endung ą entstanden; es gab also, an Beispielen ausgedrückt, im Slavischen eine
Zeit, wo ein acc. pl. *ženūn(s) neben einem *dusjān(s) oder dusjēn(s) stand.
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