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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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so fließende als zierliche Versification, und es
war ein Glück für seine Nachfolger, daß er seine
größern Komödien nicht auch in Versen schrieb.
Er hätte ihnen leicht das Publikum verwöhnen
können, und so würden sie nicht allein seine Lehre,
sondern auch sein Beyspiel wider sich gehabt ha-
ben. Er hatte sich ehedem der gereimten Ko-
mödie sehr lebhaft angenommen; und je glückli-
cher er die Schwierigkeiten derselben überstiegen
hätte, desto unwiderleglicher würden seine
Gründe geschienen haben. Doch, als er selbst
Hand an das Werk legte, fand er ohne Zweifel,
wie unsägliche Mühe es koste, nur einen Theil
derselben zu übersteigen, und wie wenig das
Vergnügen, welches aus diesen überstiegenen
Schwierigkeiten entstehet, für die Menge klei-
ner Schönheiten, die man ihnen aufopfern müs-
se, schadlos halte. Die Franzosen waren ehe-
dem so eckel, daß man ihnen die prosaischen
Stücke des Moliere, nach seinem Tode, in
Verse bringen mußte; und noch itzt hören sie ein
prosaisches Lustspiel als ein Ding an, das ein
jeder von ihnen machen könne. Den Engländer
hingegen würde eine gereimte Komödie aus dem
Theater jagen. Nur die Deutschen sind auch
hierinn, soll ich sagen billiger, oder gleichgül-
tiger? Sie nehmen an, was ihnen der Dichter
vorsetzt. Was wäre es auch, wenn sie itzt schon
wählen und ausmustern wollten?

Die

ſo fließende als zierliche Verſification, und es
war ein Gluͤck fuͤr ſeine Nachfolger, daß er ſeine
groͤßern Komoͤdien nicht auch in Verſen ſchrieb.
Er haͤtte ihnen leicht das Publikum verwoͤhnen
koͤnnen, und ſo wuͤrden ſie nicht allein ſeine Lehre,
ſondern auch ſein Beyſpiel wider ſich gehabt ha-
ben. Er hatte ſich ehedem der gereimten Ko-
moͤdie ſehr lebhaft angenommen; und je gluͤckli-
cher er die Schwierigkeiten derſelben uͤberſtiegen
haͤtte, deſto unwiderleglicher wuͤrden ſeine
Gruͤnde geſchienen haben. Doch, als er ſelbſt
Hand an das Werk legte, fand er ohne Zweifel,
wie unſaͤgliche Muͤhe es koſte, nur einen Theil
derſelben zu uͤberſteigen, und wie wenig das
Vergnuͤgen, welches aus dieſen uͤberſtiegenen
Schwierigkeiten entſtehet, fuͤr die Menge klei-
ner Schoͤnheiten, die man ihnen aufopfern muͤſ-
ſe, ſchadlos halte. Die Franzoſen waren ehe-
dem ſo eckel, daß man ihnen die proſaiſchen
Stuͤcke des Moliere, nach ſeinem Tode, in
Verſe bringen mußte; und noch itzt hoͤren ſie ein
proſaiſches Luſtſpiel als ein Ding an, das ein
jeder von ihnen machen koͤnne. Den Englaͤnder
hingegen wuͤrde eine gereimte Komoͤdie aus dem
Theater jagen. Nur die Deutſchen ſind auch
hierinn, ſoll ich ſagen billiger, oder gleichguͤl-
tiger? Sie nehmen an, was ihnen der Dichter
vorſetzt. Was waͤre es auch, wenn ſie itzt ſchon
waͤhlen und ausmuſtern wollten?

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[100/0114] ſo fließende als zierliche Verſification, und es war ein Gluͤck fuͤr ſeine Nachfolger, daß er ſeine groͤßern Komoͤdien nicht auch in Verſen ſchrieb. Er haͤtte ihnen leicht das Publikum verwoͤhnen koͤnnen, und ſo wuͤrden ſie nicht allein ſeine Lehre, ſondern auch ſein Beyſpiel wider ſich gehabt ha- ben. Er hatte ſich ehedem der gereimten Ko- moͤdie ſehr lebhaft angenommen; und je gluͤckli- cher er die Schwierigkeiten derſelben uͤberſtiegen haͤtte, deſto unwiderleglicher wuͤrden ſeine Gruͤnde geſchienen haben. Doch, als er ſelbſt Hand an das Werk legte, fand er ohne Zweifel, wie unſaͤgliche Muͤhe es koſte, nur einen Theil derſelben zu uͤberſteigen, und wie wenig das Vergnuͤgen, welches aus dieſen uͤberſtiegenen Schwierigkeiten entſtehet, fuͤr die Menge klei- ner Schoͤnheiten, die man ihnen aufopfern muͤſ- ſe, ſchadlos halte. Die Franzoſen waren ehe- dem ſo eckel, daß man ihnen die proſaiſchen Stuͤcke des Moliere, nach ſeinem Tode, in Verſe bringen mußte; und noch itzt hoͤren ſie ein proſaiſches Luſtſpiel als ein Ding an, das ein jeder von ihnen machen koͤnne. Den Englaͤnder hingegen wuͤrde eine gereimte Komoͤdie aus dem Theater jagen. Nur die Deutſchen ſind auch hierinn, ſoll ich ſagen billiger, oder gleichguͤl- tiger? Sie nehmen an, was ihnen der Dichter vorſetzt. Was waͤre es auch, wenn ſie itzt ſchon waͤhlen und ausmuſtern wollten? Die

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/114>, abgerufen am 24.11.2024.