Den sechszehnten Abend (Mittewochs, den 13ten May,) ward die Zayre des Herrn von Voltaire aufgeführt.
"Den Liebhabern der gelehrten Geschichte, sagt der Hr. von Voltaire, wird es nicht unan- genehm seyn, zu wissen, wie dieses Stück ent- standen. Verschiedene Damen hatten dem Ver- fasser vorgeworfen, daß in seinen Tragödien nicht genug Liebe wäre. Er antwortete ihnen, daß, seiner Meynung nach, die Tragödie auch eben nicht der schicklichste Ort für die Liebe sey; wenn sie aber doch mit aller Gewalt verliebte Helden haben müßten, so wolle er ihnen welche machen, so gut als ein anderer. Das Stück ward in acht- zehn Tagen vollendet, und fand großen Beyfall. Man nennt es zu Paris ein christliches Trauer-
spiel,
P
Hamburgiſche Dramaturgie. Funfzehntes Stuͤck.
Den 19ten Junius, 1767.
Den ſechszehnten Abend (Mittewochs, den 13ten May,) ward die Zayre des Herrn von Voltaire aufgefuͤhrt.
„Den Liebhabern der gelehrten Geſchichte, ſagt der Hr. von Voltaire, wird es nicht unan- genehm ſeyn, zu wiſſen, wie dieſes Stuͤck ent- ſtanden. Verſchiedene Damen hatten dem Ver- faſſer vorgeworfen, daß in ſeinen Tragoͤdien nicht genug Liebe waͤre. Er antwortete ihnen, daß, ſeiner Meynung nach, die Tragoͤdie auch eben nicht der ſchicklichſte Ort fuͤr die Liebe ſey; wenn ſie aber doch mit aller Gewalt verliebte Helden haben muͤßten, ſo wolle er ihnen welche machen, ſo gut als ein anderer. Das Stuͤck ward in acht- zehn Tagen vollendet, und fand großen Beyfall. Man nennt es zu Paris ein chriſtliches Trauer-
ſpiel,
P
<TEI><text><body><pbfacs="#f0127"n="[113]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Hamburgiſche<lb/><hirendition="#g">Dramaturgie.</hi><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Funfzehntes Stuͤck.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><dateline><hirendition="#c">Den 19ten Junius, 1767.</hi></dateline><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p><hirendition="#in">D</hi>en ſechszehnten Abend (Mittewochs, den<lb/>
13ten May,) ward die Zayre des Herrn<lb/>
von Voltaire aufgefuͤhrt.</p><lb/><p><cit><quote>„Den Liebhabern der gelehrten Geſchichte,</quote></cit><lb/>ſagt der Hr. von Voltaire, <cit><quote>wird es nicht unan-<lb/>
genehm ſeyn, zu wiſſen, wie dieſes Stuͤck ent-<lb/>ſtanden. Verſchiedene Damen hatten dem Ver-<lb/>
faſſer vorgeworfen, daß in ſeinen Tragoͤdien nicht<lb/>
genug Liebe waͤre. Er antwortete ihnen, daß,<lb/>ſeiner Meynung nach, die Tragoͤdie auch eben<lb/>
nicht der ſchicklichſte Ort fuͤr die Liebe ſey; wenn<lb/>ſie aber doch mit aller Gewalt verliebte Helden<lb/>
haben muͤßten, ſo wolle er ihnen welche machen,<lb/>ſo gut als ein anderer. Das Stuͤck ward in acht-<lb/>
zehn Tagen vollendet, und fand großen Beyfall.<lb/>
Man nennt es zu Paris ein chriſtliches Trauer-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">P</fw><fwplace="bottom"type="catch">ſpiel,</fw><lb/></quote></cit></p></div></body></text></TEI>
[[113]/0127]
Hamburgiſche
Dramaturgie.
Funfzehntes Stuͤck.
Den 19ten Junius, 1767.
Den ſechszehnten Abend (Mittewochs, den
13ten May,) ward die Zayre des Herrn
von Voltaire aufgefuͤhrt.
„Den Liebhabern der gelehrten Geſchichte,
ſagt der Hr. von Voltaire, wird es nicht unan-
genehm ſeyn, zu wiſſen, wie dieſes Stuͤck ent-
ſtanden. Verſchiedene Damen hatten dem Ver-
faſſer vorgeworfen, daß in ſeinen Tragoͤdien nicht
genug Liebe waͤre. Er antwortete ihnen, daß,
ſeiner Meynung nach, die Tragoͤdie auch eben
nicht der ſchicklichſte Ort fuͤr die Liebe ſey; wenn
ſie aber doch mit aller Gewalt verliebte Helden
haben muͤßten, ſo wolle er ihnen welche machen,
ſo gut als ein anderer. Das Stuͤck ward in acht-
zehn Tagen vollendet, und fand großen Beyfall.
Man nennt es zu Paris ein chriſtliches Trauer-
ſpiel,
P
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. [113]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/127>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.