und so wie sein Herz keinen Unterschied darunter kennet, so weiß auch sein Mund keinen darunter zu machen; er spricht, als ob er das nehmliche zweymal spräche, als ob beide Sätze wahre tav- tologische Sätze, vollkommen identische Sätze wären; ohne das geringste Verbindungswort. O des Elenden, der die Verbindung nicht fühlt, dem sie eine Partikel erst fühlbar machen soll! Und dennoch, wie glaubt man wohl, daß die Gottschedinn jene acht Worte übersetzt hat? "Alsdenn werde ich meiner Güter erst recht ge- nießen, wenn ich euch beide dadurch werde glück- lich gemacht haben." Unerträglich! Der Sinn ist vollkommen übergetragen, aber der Geist ist verflogen; ein Schwall von Worten hat ihn er- stickt. Dieses Alsdenn, mit seinem Schwanze von Wenn; dieses Erst; dieses Recht; dieses Dadurch: lauter Bestimmungen, die dem Aus- bruche des Herzens alle Bedenklichkeiten der Ueberlegung geben, und eine warme Empfin- dung in eine frostige Schlußrede verwandeln.
Denen, die mich verstehen, darf ich nur sa- gen, daß ungefehr auf diesen Schlag das ganze Stück übersetzt ist. Jede feinere Gesinnung ist in ihren gesunden Menschenverstand paraphra- sirt, jeder affektvolle Ausdruck in die todten Be- standtheile seiner Bedeutung aufgelöset worden. Hierzu kömmt in vielen Stellen der häßliche Ton des Ceremoniels; verabredete Ehrenbenennun-
gen
U 2
und ſo wie ſein Herz keinen Unterſchied darunter kennet, ſo weiß auch ſein Mund keinen darunter zu machen; er ſpricht, als ob er das nehmliche zweymal ſpraͤche, als ob beide Saͤtze wahre tav- tologiſche Saͤtze, vollkommen identiſche Saͤtze waͤren; ohne das geringſte Verbindungswort. O des Elenden, der die Verbindung nicht fuͤhlt, dem ſie eine Partikel erſt fuͤhlbar machen ſoll! Und dennoch, wie glaubt man wohl, daß die Gottſchedinn jene acht Worte uͤberſetzt hat? „Alsdenn werde ich meiner Guͤter erſt recht ge- nießen, wenn ich euch beide dadurch werde gluͤck- lich gemacht haben.„ Unertraͤglich! Der Sinn iſt vollkommen uͤbergetragen, aber der Geiſt iſt verflogen; ein Schwall von Worten hat ihn er- ſtickt. Dieſes Alsdenn, mit ſeinem Schwanze von Wenn; dieſes Erſt; dieſes Recht; dieſes Dadurch: lauter Beſtimmungen, die dem Aus- bruche des Herzens alle Bedenklichkeiten der Ueberlegung geben, und eine warme Empfin- dung in eine froſtige Schlußrede verwandeln.
Denen, die mich verſtehen, darf ich nur ſa- gen, daß ungefehr auf dieſen Schlag das ganze Stuͤck uͤberſetzt iſt. Jede feinere Geſinnung iſt in ihren geſunden Menſchenverſtand paraphra- ſirt, jeder affektvolle Ausdruck in die todten Be- ſtandtheile ſeiner Bedeutung aufgeloͤſet worden. Hierzu koͤmmt in vielen Stellen der haͤßliche Ton des Ceremoniels; verabredete Ehrenbenennun-
gen
U 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0169"n="155"/>
und ſo wie ſein Herz keinen Unterſchied darunter<lb/>
kennet, ſo weiß auch ſein Mund keinen darunter<lb/>
zu machen; er ſpricht, als ob er das nehmliche<lb/>
zweymal ſpraͤche, als ob beide Saͤtze wahre tav-<lb/>
tologiſche Saͤtze, vollkommen identiſche Saͤtze<lb/>
waͤren; ohne das geringſte Verbindungswort.<lb/>
O des Elenden, der die Verbindung nicht fuͤhlt,<lb/>
dem ſie eine Partikel erſt fuͤhlbar machen ſoll!<lb/>
Und dennoch, wie glaubt man wohl, daß die<lb/>
Gottſchedinn jene acht Worte uͤberſetzt hat?<lb/><cit><quote>„Alsdenn werde ich meiner Guͤter erſt recht ge-<lb/>
nießen, wenn ich euch beide dadurch werde gluͤck-<lb/>
lich gemacht haben.„</quote></cit> Unertraͤglich! Der Sinn<lb/>
iſt vollkommen uͤbergetragen, aber der Geiſt iſt<lb/>
verflogen; ein Schwall von Worten hat ihn er-<lb/>ſtickt. Dieſes Alsdenn, mit ſeinem Schwanze<lb/>
von Wenn; dieſes Erſt; dieſes Recht; dieſes<lb/>
Dadurch: lauter Beſtimmungen, die dem Aus-<lb/>
bruche des Herzens alle Bedenklichkeiten der<lb/>
Ueberlegung geben, und eine warme Empfin-<lb/>
dung in eine froſtige Schlußrede verwandeln.</p><lb/><p>Denen, die mich verſtehen, darf ich nur ſa-<lb/>
gen, daß ungefehr auf dieſen Schlag das ganze<lb/>
Stuͤck uͤberſetzt iſt. Jede feinere Geſinnung iſt<lb/>
in ihren geſunden Menſchenverſtand paraphra-<lb/>ſirt, jeder affektvolle Ausdruck in die todten Be-<lb/>ſtandtheile ſeiner Bedeutung aufgeloͤſet worden.<lb/>
Hierzu koͤmmt in vielen Stellen der haͤßliche Ton<lb/>
des Ceremoniels; verabredete Ehrenbenennun-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">U 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">gen</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[155/0169]
und ſo wie ſein Herz keinen Unterſchied darunter
kennet, ſo weiß auch ſein Mund keinen darunter
zu machen; er ſpricht, als ob er das nehmliche
zweymal ſpraͤche, als ob beide Saͤtze wahre tav-
tologiſche Saͤtze, vollkommen identiſche Saͤtze
waͤren; ohne das geringſte Verbindungswort.
O des Elenden, der die Verbindung nicht fuͤhlt,
dem ſie eine Partikel erſt fuͤhlbar machen ſoll!
Und dennoch, wie glaubt man wohl, daß die
Gottſchedinn jene acht Worte uͤberſetzt hat?
„Alsdenn werde ich meiner Guͤter erſt recht ge-
nießen, wenn ich euch beide dadurch werde gluͤck-
lich gemacht haben.„ Unertraͤglich! Der Sinn
iſt vollkommen uͤbergetragen, aber der Geiſt iſt
verflogen; ein Schwall von Worten hat ihn er-
ſtickt. Dieſes Alsdenn, mit ſeinem Schwanze
von Wenn; dieſes Erſt; dieſes Recht; dieſes
Dadurch: lauter Beſtimmungen, die dem Aus-
bruche des Herzens alle Bedenklichkeiten der
Ueberlegung geben, und eine warme Empfin-
dung in eine froſtige Schlußrede verwandeln.
Denen, die mich verſtehen, darf ich nur ſa-
gen, daß ungefehr auf dieſen Schlag das ganze
Stuͤck uͤberſetzt iſt. Jede feinere Geſinnung iſt
in ihren geſunden Menſchenverſtand paraphra-
ſirt, jeder affektvolle Ausdruck in die todten Be-
ſtandtheile ſeiner Bedeutung aufgeloͤſet worden.
Hierzu koͤmmt in vielen Stellen der haͤßliche Ton
des Ceremoniels; verabredete Ehrenbenennun-
gen
U 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/169>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.