Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

Nase nur immer in der Luft einhertreten, beide
mit Verachtung auf alles, was um sie ist, her-
abblicken lassen, würde die eckelste Einförm gkeit
seyn. Man muß nicht glauben können, daß
Elisabeth, wenn sie an des Essex Stelle wäre,
eben so, wie Essex, handeln würde. Der Aus-
gang weiset es, daß sie nachgebender ist, als er;
sie muß also auch gleich von Anfange nicht so
hoch daherfahren, als er. Wer sich durch
äußere Macht empor zu halten vermag, braucht
weniger Anstrengung, als der es durch eigene
innere Kraft thun muß. Wir wissen darum
doch, daß Elisabeth die Königinn ist, wenn sich
gleich Essex das königlichere Ansehen giebt.

Zweytens ist es in dem Trauerspiele schickli-
cher, daß die Personen in ihren Gesinnungen
steigen, als daß sie fallen. Es ist schicklicher,
daß ein zärtlicher Charakter Augenblicke des
Stolzes hat, als daß ein stolzer von der Zärtlich-
keit sich fortreissen läßt. Jener scheint, sich zu
erheben; dieser, zu sinken. Eine ernsthafte Kö-
niginn, mit gerunzelter Stirne, mit einem Blicke,
der alles scheu und zitternd macht, mit einem Tone
der Stimme, der allein ihr Gehorsam verschaffen
könnte, wenn die zu verliebten Klagen gebracht
wird, und nach den kleinen Bedürfnissen ihrer Lei-
denschaft seufzet, ist fast, fast lächerlich. Eine Ge-
liebte hingegen, die ihre Eifersucht erinnert, daß
sie Königinn ist, erhebt sich über sich selbst, und ihre
Schwachheit wird fürchterlich.

Ham-

Naſe nur immer in der Luft einhertreten, beide
mit Verachtung auf alles, was um ſie iſt, her-
abblicken laſſen, wuͤrde die eckelſte Einfoͤrm gkeit
ſeyn. Man muß nicht glauben koͤnnen, daß
Eliſabeth, wenn ſie an des Eſſex Stelle waͤre,
eben ſo, wie Eſſex, handeln wuͤrde. Der Aus-
gang weiſet es, daß ſie nachgebender iſt, als er;
ſie muß alſo auch gleich von Anfange nicht ſo
hoch daherfahren, als er. Wer ſich durch
aͤußere Macht empor zu halten vermag, braucht
weniger Anſtrengung, als der es durch eigene
innere Kraft thun muß. Wir wiſſen darum
doch, daß Eliſabeth die Koͤniginn iſt, wenn ſich
gleich Eſſex das koͤniglichere Anſehen giebt.

Zweytens iſt es in dem Trauerſpiele ſchickli-
cher, daß die Perſonen in ihren Geſinnungen
ſteigen, als daß ſie fallen. Es iſt ſchicklicher,
daß ein zaͤrtlicher Charakter Augenblicke des
Stolzes hat, als daß ein ſtolzer von der Zaͤrtlich-
keit ſich fortreiſſen laͤßt. Jener ſcheint, ſich zu
erheben; dieſer, zu ſinken. Eine ernſthafte Koͤ-
niginn, mit gerunzelter Stirne, mit einem Blicke,
der alles ſcheu und zitternd macht, mit einem Tone
der Stimme, der allein ihr Gehorſam verſchaffen
koͤnnte, wenn die zu verliebten Klagen gebracht
wird, und nach den kleinen Beduͤrfniſſen ihrer Lei-
denſchaft ſeufzet, iſt faſt, faſt laͤcherlich. Eine Ge-
liebte hingegen, die ihre Eiferſucht erinnert, daß
ſie Koͤniginn iſt, erhebt ſich uͤber ſich ſelbſt, und ihre
Schwachheit wird fuͤrchterlich.

Ham-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0214" n="200"/>
Na&#x017F;e nur immer in der Luft einhertreten, beide<lb/>
mit Verachtung auf alles, was um &#x017F;ie i&#x017F;t, her-<lb/>
abblicken la&#x017F;&#x017F;en, wu&#x0364;rde die eckel&#x017F;te Einfo&#x0364;rm gkeit<lb/>
&#x017F;eyn. Man muß nicht glauben ko&#x0364;nnen, daß<lb/>
Eli&#x017F;abeth, wenn &#x017F;ie an des E&#x017F;&#x017F;ex Stelle wa&#x0364;re,<lb/>
eben &#x017F;o, wie E&#x017F;&#x017F;ex, handeln wu&#x0364;rde. Der Aus-<lb/>
gang wei&#x017F;et es, daß &#x017F;ie nachgebender i&#x017F;t, als er;<lb/>
&#x017F;ie muß al&#x017F;o auch gleich von Anfange nicht &#x017F;o<lb/>
hoch daherfahren, als er. Wer &#x017F;ich durch<lb/>
a&#x0364;ußere Macht empor zu halten vermag, braucht<lb/>
weniger An&#x017F;trengung, als der es durch eigene<lb/>
innere Kraft thun muß. Wir wi&#x017F;&#x017F;en darum<lb/>
doch, daß Eli&#x017F;abeth die Ko&#x0364;niginn i&#x017F;t, wenn &#x017F;ich<lb/>
gleich E&#x017F;&#x017F;ex das ko&#x0364;niglichere An&#x017F;ehen giebt.</p><lb/>
        <p>Zweytens i&#x017F;t es in dem Trauer&#x017F;piele &#x017F;chickli-<lb/>
cher, daß die Per&#x017F;onen in ihren Ge&#x017F;innungen<lb/>
&#x017F;teigen, als daß &#x017F;ie fallen. Es i&#x017F;t &#x017F;chicklicher,<lb/>
daß ein za&#x0364;rtlicher Charakter Augenblicke des<lb/>
Stolzes hat, als daß ein &#x017F;tolzer von der Za&#x0364;rtlich-<lb/>
keit &#x017F;ich fortrei&#x017F;&#x017F;en la&#x0364;ßt. Jener &#x017F;cheint, &#x017F;ich zu<lb/>
erheben; die&#x017F;er, zu &#x017F;inken. Eine ern&#x017F;thafte Ko&#x0364;-<lb/>
niginn, mit gerunzelter Stirne, mit einem Blicke,<lb/>
der alles &#x017F;cheu und zitternd macht, mit einem Tone<lb/>
der Stimme, der allein ihr Gehor&#x017F;am ver&#x017F;chaffen<lb/>
ko&#x0364;nnte, wenn die zu verliebten Klagen gebracht<lb/>
wird, und nach den kleinen Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;en ihrer Lei-<lb/>
den&#x017F;chaft &#x017F;eufzet, i&#x017F;t fa&#x017F;t, fa&#x017F;t la&#x0364;cherlich. Eine Ge-<lb/>
liebte hingegen, die ihre Eifer&#x017F;ucht erinnert, daß<lb/>
&#x017F;ie Ko&#x0364;niginn i&#x017F;t, erhebt &#x017F;ich u&#x0364;ber &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, und ihre<lb/>
Schwachheit wird fu&#x0364;rchterlich.</p>
      </div><lb/>
      <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#b">Ham-</hi> </fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0214] Naſe nur immer in der Luft einhertreten, beide mit Verachtung auf alles, was um ſie iſt, her- abblicken laſſen, wuͤrde die eckelſte Einfoͤrm gkeit ſeyn. Man muß nicht glauben koͤnnen, daß Eliſabeth, wenn ſie an des Eſſex Stelle waͤre, eben ſo, wie Eſſex, handeln wuͤrde. Der Aus- gang weiſet es, daß ſie nachgebender iſt, als er; ſie muß alſo auch gleich von Anfange nicht ſo hoch daherfahren, als er. Wer ſich durch aͤußere Macht empor zu halten vermag, braucht weniger Anſtrengung, als der es durch eigene innere Kraft thun muß. Wir wiſſen darum doch, daß Eliſabeth die Koͤniginn iſt, wenn ſich gleich Eſſex das koͤniglichere Anſehen giebt. Zweytens iſt es in dem Trauerſpiele ſchickli- cher, daß die Perſonen in ihren Geſinnungen ſteigen, als daß ſie fallen. Es iſt ſchicklicher, daß ein zaͤrtlicher Charakter Augenblicke des Stolzes hat, als daß ein ſtolzer von der Zaͤrtlich- keit ſich fortreiſſen laͤßt. Jener ſcheint, ſich zu erheben; dieſer, zu ſinken. Eine ernſthafte Koͤ- niginn, mit gerunzelter Stirne, mit einem Blicke, der alles ſcheu und zitternd macht, mit einem Tone der Stimme, der allein ihr Gehorſam verſchaffen koͤnnte, wenn die zu verliebten Klagen gebracht wird, und nach den kleinen Beduͤrfniſſen ihrer Lei- denſchaft ſeufzet, iſt faſt, faſt laͤcherlich. Eine Ge- liebte hingegen, die ihre Eiferſucht erinnert, daß ſie Koͤniginn iſt, erhebt ſich uͤber ſich ſelbſt, und ihre Schwachheit wird fuͤrchterlich. Ham-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/214
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/214>, abgerufen am 21.11.2024.