sammeln, desto eher können wir sie uns verspre- chen; und ich müßte mich sehr irren, wenn nicht ein großer Schritt dazu durch die Beeiferung der Tonkünstler in dergleichen dramatischen Sympho- nien geschehen könnte. In der Vokalmusik hilft der Text dem Ausdrucke allzusehr nach; der schwächste und schwankendste wird durch die Worte bestimmt und verstärkt: in der Instru- mentalmusik hingegen fällt diese Hülfe weg, und sie sagt gar nichts, wenn sie das, was sie sagen will, nicht rechtschaffen sagt. Der Künstler wird also hier seine äußerste Stärke anwenden müssen; er wird unter den verschiedenen Folgen von Tönen, die eine Empfindung ausdrücken können, nur im- mer diejenigen wählen, die sie am deutlichsten aus- drücken; wir werden diese öfterer hören, wir wer- den sie mit einander öfterer vergleichen, und durch die Bemerkung dessen, was sie beständig gemein ha- ben, hinter das Geheimniß des Ausdrucks kommen.
Welchen Zuwachs unser Vergnügen im Theater da- durch erhalten würde, begreift jeder von selbst. Gleich vom Anfange der neuen Verwaltung unsers Theaters, hat man sich daher nicht nur überhaupt bemüht, das Orchester in einen bessern Stand zu setzen, sondern es haben sich auch würdige Männer bereit finden lassen, die Hand an das Werk zu legen, und Mustere in dieser Art von Komposition zu machen, die über alle Erwar- tung ausgefallen sind. Schon zu Cronegks Oliut und Sophronia hatte Herr Hertel eigue Symphonien ver- fertiget; und bey der zweyten Aufführung der Semira- mis wurden dergleichen, von dem Herrn Agricola in Berlin, aufgeführt.
Ham-
ſammeln, deſto eher koͤnnen wir ſie uns verſpre- chen; und ich muͤßte mich ſehr irren, wenn nicht ein großer Schritt dazu durch die Beeiferung der Tonkuͤnſtler in dergleichen dramatiſchen Sympho- nien geſchehen koͤnnte. In der Vokalmuſik hilft der Text dem Ausdrucke allzuſehr nach; der ſchwaͤchſte und ſchwankendſte wird durch die Worte beſtimmt und verſtaͤrkt: in der Inſtru- mentalmuſik hingegen faͤllt dieſe Huͤlfe weg, und ſie ſagt gar nichts, wenn ſie das, was ſie ſagen will, nicht rechtſchaffen ſagt. Der Kuͤnſtler wird alſo hier ſeine aͤußerſte Staͤrke anwenden muͤſſen; er wird unter den verſchiedenen Folgen von Toͤnen, die eine Empfindung ausdruͤcken koͤnnen, nur im- mer diejenigen waͤhlen, die ſie am deutlichſten aus- druͤcken; wir werden dieſe oͤfterer hoͤren, wir wer- den ſie mit einander oͤfterer vergleichen, und durch die Bemerkung deſſen, was ſie beſtaͤndig gemein ha- ben, hinter das Geheimniß des Ausdrucks kom̃en.
Welchen Zuwachs unſer Vergnuͤgen im Theater da- durch erhalten wuͤrde, begreift jeder von ſelbſt. Gleich vom Anfange der neuen Verwaltung unſers Theaters, hat man ſich daher nicht nur uͤberhaupt bemuͤht, das Orcheſter in einen beſſern Stand zu ſetzen, ſondern es haben ſich auch wuͤrdige Maͤnner bereit finden laſſen, die Hand an das Werk zu legen, und Muſtere in dieſer Art von Kompoſition zu machen, die uͤber alle Erwar- tung ausgefallen ſind. Schon zu Cronegks Oliut und Sophronia hatte Herr Hertel eigue Symphonien ver- fertiget; und bey der zweyten Auffuͤhrung der Semira- mis wurden dergleichen, von dem Herrn Agricola in Berlin, aufgefuͤhrt.
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[208/0222]
ſammeln, deſto eher koͤnnen wir ſie uns verſpre-
chen; und ich muͤßte mich ſehr irren, wenn nicht
ein großer Schritt dazu durch die Beeiferung der
Tonkuͤnſtler in dergleichen dramatiſchen Sympho-
nien geſchehen koͤnnte. In der Vokalmuſik hilft
der Text dem Ausdrucke allzuſehr nach; der
ſchwaͤchſte und ſchwankendſte wird durch die
Worte beſtimmt und verſtaͤrkt: in der Inſtru-
mentalmuſik hingegen faͤllt dieſe Huͤlfe weg, und
ſie ſagt gar nichts, wenn ſie das, was ſie ſagen
will, nicht rechtſchaffen ſagt. Der Kuͤnſtler wird
alſo hier ſeine aͤußerſte Staͤrke anwenden muͤſſen;
er wird unter den verſchiedenen Folgen von Toͤnen,
die eine Empfindung ausdruͤcken koͤnnen, nur im-
mer diejenigen waͤhlen, die ſie am deutlichſten aus-
druͤcken; wir werden dieſe oͤfterer hoͤren, wir wer-
den ſie mit einander oͤfterer vergleichen, und durch
die Bemerkung deſſen, was ſie beſtaͤndig gemein ha-
ben, hinter das Geheimniß des Ausdrucks kom̃en.
Welchen Zuwachs unſer Vergnuͤgen im Theater da-
durch erhalten wuͤrde, begreift jeder von ſelbſt. Gleich
vom Anfange der neuen Verwaltung unſers Theaters,
hat man ſich daher nicht nur uͤberhaupt bemuͤht, das
Orcheſter in einen beſſern Stand zu ſetzen, ſondern es
haben ſich auch wuͤrdige Maͤnner bereit finden laſſen,
die Hand an das Werk zu legen, und Muſtere in dieſer
Art von Kompoſition zu machen, die uͤber alle Erwar-
tung ausgefallen ſind. Schon zu Cronegks Oliut und
Sophronia hatte Herr Hertel eigue Symphonien ver-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 208. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/222>, abgerufen am 21.11.2024.
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