Grundbaß ist durch Fagotte verstärkt. Sein Ausdruck ist ernsthaft; manchmal gar wild und stürmisch; der Zuhörer soll vermuthen, daß er ein Schauspiel ungefehr dieses Inhalts zu er- warten habe. Doch nicht dieses Inhalts allein; Zärtlichkeit, Reue, Gewissensangst, Unter- werfung, nehmen ihr Theil daran; und der zweyte Satz, ein Andante mit gedämpften Vio- linen und concertirenden Fagotten, beschäftiget sich also mit dunkeln und mitleidigen Klagen. In dem dritten Satze vermischen sich die beweg- lichen Tonwendungen mit stolzen; denn die Bühne eröfnet sich mit mehr als gewöhnlicher Pracht; Semiramis nahet sich dem Ende ihrer Herrlichkeit; wie diese Herrlichkeit das Auge spüren muß, soll sie auch das Ohr vernehmen. Der Charakter ist Allegretto, und die Instru- mente sind wie in dem ersten, außer daß die Ho- boen, Flöten und Fagotte mit einander einige besondere kleinere Sätze haben.
Die Musik zwischen den Akten hat durch- gängig nur einen einzigen Satz; dessen Ausdruck sich auf das Vorhergehende beziehet. Einen zweyten, der sich auf das Folgende bezöge, schei- net Herr Agricola also nicht zu billigen. Ich würde hierinn sehr seines Geschmacks seyn. Denn die Musik soll dem Dichter nichts verder- ben; der tragische Dichter liebt das Unerwar- tete, das Ueberraschende, mehr als ein anderer;
er
Grundbaß iſt durch Fagotte verſtaͤrkt. Sein Ausdruck iſt ernſthaft; manchmal gar wild und ſtuͤrmiſch; der Zuhoͤrer ſoll vermuthen, daß er ein Schauſpiel ungefehr dieſes Inhalts zu er- warten habe. Doch nicht dieſes Inhalts allein; Zaͤrtlichkeit, Reue, Gewiſſensangſt, Unter- werfung, nehmen ihr Theil daran; und der zweyte Satz, ein Andante mit gedaͤmpften Vio- linen und concertirenden Fagotten, beſchaͤftiget ſich alſo mit dunkeln und mitleidigen Klagen. In dem dritten Satze vermiſchen ſich die beweg- lichen Tonwendungen mit ſtolzen; denn die Buͤhne eroͤfnet ſich mit mehr als gewoͤhnlicher Pracht; Semiramis nahet ſich dem Ende ihrer Herrlichkeit; wie dieſe Herrlichkeit das Auge ſpuͤren muß, ſoll ſie auch das Ohr vernehmen. Der Charakter iſt Allegretto, und die Inſtru- mente ſind wie in dem erſten, außer daß die Ho- boen, Floͤten und Fagotte mit einander einige beſondere kleinere Saͤtze haben.
Die Muſik zwiſchen den Akten hat durch- gaͤngig nur einen einzigen Satz; deſſen Ausdruck ſich auf das Vorhergehende beziehet. Einen zweyten, der ſich auf das Folgende bezoͤge, ſchei- net Herr Agricola alſo nicht zu billigen. Ich wuͤrde hierinn ſehr ſeines Geſchmacks ſeyn. Denn die Muſik ſoll dem Dichter nichts verder- ben; der tragiſche Dichter liebt das Unerwar- tete, das Ueberraſchende, mehr als ein anderer;
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Grundbaß iſt durch Fagotte verſtaͤrkt. Sein
Ausdruck iſt ernſthaft; manchmal gar wild
und ſtuͤrmiſch; der Zuhoͤrer ſoll vermuthen, daß
er ein Schauſpiel ungefehr dieſes Inhalts zu er-
warten habe. Doch nicht dieſes Inhalts allein;
Zaͤrtlichkeit, Reue, Gewiſſensangſt, Unter-
werfung, nehmen ihr Theil daran; und der
zweyte Satz, ein Andante mit gedaͤmpften Vio-
linen und concertirenden Fagotten, beſchaͤftiget
ſich alſo mit dunkeln und mitleidigen Klagen.
In dem dritten Satze vermiſchen ſich die beweg-
lichen Tonwendungen mit ſtolzen; denn die
Buͤhne eroͤfnet ſich mit mehr als gewoͤhnlicher
Pracht; Semiramis nahet ſich dem Ende ihrer
Herrlichkeit; wie dieſe Herrlichkeit das Auge
ſpuͤren muß, ſoll ſie auch das Ohr vernehmen.
Der Charakter iſt Allegretto, und die Inſtru-
mente ſind wie in dem erſten, außer daß die Ho-
boen, Floͤten und Fagotte mit einander einige
beſondere kleinere Saͤtze haben.
Die Muſik zwiſchen den Akten hat durch-
gaͤngig nur einen einzigen Satz; deſſen Ausdruck
ſich auf das Vorhergehende beziehet. Einen
zweyten, der ſich auf das Folgende bezoͤge, ſchei-
net Herr Agricola alſo nicht zu billigen. Ich
wuͤrde hierinn ſehr ſeines Geſchmacks ſeyn.
Denn die Muſik ſoll dem Dichter nichts verder-
ben; der tragiſche Dichter liebt das Unerwar-
tete, das Ueberraſchende, mehr als ein anderer;
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/224>, abgerufen am 21.11.2024.
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