gereimtheit, jeder Kontrast von Mangel und Realität, ist lächerlich. Aber lachen und ver- lachen ist sehr weit auseinander. Wir können über einen Menschen lachen, bey Gelegenheit seiner lachen, ohne ihn im geringsten zu verla- chen. So unstreitig, so bekannt dieser Unter- schied ist, so sind doch alle Chicanen, welche noch neuerlich Rousseau gegen den Nutzen der Komödie gemacht hat, nur daher entstanden, weil er ihn nicht gehörig in Erwägung gezogen. Moliere, sagt er z. E., macht uns über den Misanthropen zu lachen, und doch ist der Mi- santhrop der ehrliche Mann des Stücks; Mo- liere beweiset sich also als einen Feind der Tu- gend, indem er den Tugendhaften verächtlich macht. Nicht doch; der Misanthrop wird nicht verächtlich, er bleibt wer er ist, und das Lachen, welches aus den Situationen entspringt, in die ihn der Dichter setzt, benimmt ihm von unserer Hochachtung nicht das geringste. Der Zer- streute gleichfalls; wir lachen über ihn, aber verachten wir ihn darum? Wir schätzen seine übrige guten Eigenschaften, wie wir sie schätzen sollen; ja ohne sie würden wir nicht einmal über seine Zerstreuung lachen können. Man gebe diese Zerstreuung einem boshaften, nichtswür- digen Manne, und sehe, ob sie noch lächerlich seyn wird? Widrig, eckel, häßlich wird sie seyn; nicht lächerlich.
Ham-
gereimtheit, jeder Kontraſt von Mangel und Realitaͤt, iſt laͤcherlich. Aber lachen und ver- lachen iſt ſehr weit auseinander. Wir koͤnnen uͤber einen Menſchen lachen, bey Gelegenheit ſeiner lachen, ohne ihn im geringſten zu verla- chen. So unſtreitig, ſo bekannt dieſer Unter- ſchied iſt, ſo ſind doch alle Chicanen, welche noch neuerlich Rouſſeau gegen den Nutzen der Komoͤdie gemacht hat, nur daher entſtanden, weil er ihn nicht gehoͤrig in Erwaͤgung gezogen. Moliere, ſagt er z. E., macht uns uͤber den Miſanthropen zu lachen, und doch iſt der Mi- ſanthrop der ehrliche Mann des Stuͤcks; Mo- liere beweiſet ſich alſo als einen Feind der Tu- gend, indem er den Tugendhaften veraͤchtlich macht. Nicht doch; der Miſanthrop wird nicht veraͤchtlich, er bleibt wer er iſt, und das Lachen, welches aus den Situationen entſpringt, in die ihn der Dichter ſetzt, benimmt ihm von unſerer Hochachtung nicht das geringſte. Der Zer- ſtreute gleichfalls; wir lachen uͤber ihn, aber verachten wir ihn darum? Wir ſchaͤtzen ſeine uͤbrige guten Eigenſchaften, wie wir ſie ſchaͤtzen ſollen; ja ohne ſie wuͤrden wir nicht einmal uͤber ſeine Zerſtreuung lachen koͤnnen. Man gebe dieſe Zerſtreuung einem boshaften, nichtswuͤr- digen Manne, und ſehe, ob ſie noch laͤcherlich ſeyn wird? Widrig, eckel, haͤßlich wird ſie ſeyn; nicht laͤcherlich.
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gereimtheit, jeder Kontraſt von Mangel und
Realitaͤt, iſt laͤcherlich. Aber lachen und ver-
lachen iſt ſehr weit auseinander. Wir koͤnnen
uͤber einen Menſchen lachen, bey Gelegenheit
ſeiner lachen, ohne ihn im geringſten zu verla-
chen. So unſtreitig, ſo bekannt dieſer Unter-
ſchied iſt, ſo ſind doch alle Chicanen, welche
noch neuerlich Rouſſeau gegen den Nutzen der
Komoͤdie gemacht hat, nur daher entſtanden,
weil er ihn nicht gehoͤrig in Erwaͤgung gezogen.
Moliere, ſagt er z. E., macht uns uͤber den
Miſanthropen zu lachen, und doch iſt der Mi-
ſanthrop der ehrliche Mann des Stuͤcks; Mo-
liere beweiſet ſich alſo als einen Feind der Tu-
gend, indem er den Tugendhaften veraͤchtlich
macht. Nicht doch; der Miſanthrop wird nicht
veraͤchtlich, er bleibt wer er iſt, und das Lachen,
welches aus den Situationen entſpringt, in die
ihn der Dichter ſetzt, benimmt ihm von unſerer
Hochachtung nicht das geringſte. Der Zer-
ſtreute gleichfalls; wir lachen uͤber ihn, aber
verachten wir ihn darum? Wir ſchaͤtzen ſeine
uͤbrige guten Eigenſchaften, wie wir ſie ſchaͤtzen
ſollen; ja ohne ſie wuͤrden wir nicht einmal uͤber
ſeine Zerſtreuung lachen koͤnnen. Man gebe
dieſe Zerſtreuung einem boshaften, nichtswuͤr-
digen Manne, und ſehe, ob ſie noch laͤcherlich
ſeyn wird? Widrig, eckel, haͤßlich wird ſie ſeyn;
nicht laͤcherlich.
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/238>, abgerufen am 21.11.2024.
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