ihre Wirkungen die nehmlichen seyn könnten. Der Ehrgeitz ist nie ohne eine Art von Edelmuth, und die Rache streitet mit dem Edelmuthe zu sehr, als daß die Rache des Ehrgeitzigen ohne Maaß und Ziel seyn sollte. So lange er seinen Zweck verfolgt, kennet sie keine Grenzen; aber kaum hat er diesen erreicht, kaum ist seine Lei- denschaft befriediget, als auch seine Rache kälter und überlegender zu werden anfängt. Er pro- portioniert sie nicht sowohl nach dem erlittenen Nachtheile, als vielmehr nach dem noch zu be- sorgenden. Wer ihm nicht weiter schaden kann, von dem vergißt er es auch wohl, daß er ihm ge- schadet hat. Wen er nicht zu fürchten hat, den verachtet er; und wen er verachtet, der ist weit unter seiner Rache. Die Eifersucht hingegen ist eine Art von Neid; und Neid ist ein kleines, kriechendes Laster, das keine andere Befriedi- gung kennet, als das gänzliche Verderben seines Gegenstandes. Sie tobet in einem Feuer fort; nichts kann sie versöhnen; da die Beleidigung, die sie erwecket hat, nie aufhöret, die nehmliche Beleidigung zu seyn, und immer wächset, je länger sie dauert: so kann auch ihr Durst nach Rache nie erlöschen, die sie spat oder früh, im- mer mit gleichem Grimme, vollziehen wird. Gerade so ist die Rache der Cleopatra beym Cor- neille; und die Mißhelligkeit, in der diese Rache also mit ihrem Charakter stehet, kann nicht anders
als
ihre Wirkungen die nehmlichen ſeyn koͤnnten. Der Ehrgeitz iſt nie ohne eine Art von Edelmuth, und die Rache ſtreitet mit dem Edelmuthe zu ſehr, als daß die Rache des Ehrgeitzigen ohne Maaß und Ziel ſeyn ſollte. So lange er ſeinen Zweck verfolgt, kennet ſie keine Grenzen; aber kaum hat er dieſen erreicht, kaum iſt ſeine Lei- denſchaft befriediget, als auch ſeine Rache kaͤlter und uͤberlegender zu werden anfaͤngt. Er pro- portioniert ſie nicht ſowohl nach dem erlittenen Nachtheile, als vielmehr nach dem noch zu be- ſorgenden. Wer ihm nicht weiter ſchaden kann, von dem vergißt er es auch wohl, daß er ihm ge- ſchadet hat. Wen er nicht zu fuͤrchten hat, den verachtet er; und wen er verachtet, der iſt weit unter ſeiner Rache. Die Eiferſucht hingegen iſt eine Art von Neid; und Neid iſt ein kleines, kriechendes Laſter, das keine andere Befriedi- gung kennet, als das gaͤnzliche Verderben ſeines Gegenſtandes. Sie tobet in einem Feuer fort; nichts kann ſie verſoͤhnen; da die Beleidigung, die ſie erwecket hat, nie aufhoͤret, die nehmliche Beleidigung zu ſeyn, und immer waͤchſet, je laͤnger ſie dauert: ſo kann auch ihr Durſt nach Rache nie erloͤſchen, die ſie ſpat oder fruͤh, im- mer mit gleichem Grimme, vollziehen wird. Gerade ſo iſt die Rache der Cleopatra beym Cor- neille; und die Mißhelligkeit, in der dieſe Rache alſo mit ihrem Charakter ſtehet, kann nicht anders
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ihre Wirkungen die nehmlichen ſeyn koͤnnten.
Der Ehrgeitz iſt nie ohne eine Art von Edelmuth,
und die Rache ſtreitet mit dem Edelmuthe zu
ſehr, als daß die Rache des Ehrgeitzigen ohne
Maaß und Ziel ſeyn ſollte. So lange er ſeinen
Zweck verfolgt, kennet ſie keine Grenzen; aber
kaum hat er dieſen erreicht, kaum iſt ſeine Lei-
denſchaft befriediget, als auch ſeine Rache kaͤlter
und uͤberlegender zu werden anfaͤngt. Er pro-
portioniert ſie nicht ſowohl nach dem erlittenen
Nachtheile, als vielmehr nach dem noch zu be-
ſorgenden. Wer ihm nicht weiter ſchaden kann,
von dem vergißt er es auch wohl, daß er ihm ge-
ſchadet hat. Wen er nicht zu fuͤrchten hat, den
verachtet er; und wen er verachtet, der iſt weit
unter ſeiner Rache. Die Eiferſucht hingegen
iſt eine Art von Neid; und Neid iſt ein kleines,
kriechendes Laſter, das keine andere Befriedi-
gung kennet, als das gaͤnzliche Verderben ſeines
Gegenſtandes. Sie tobet in einem Feuer fort;
nichts kann ſie verſoͤhnen; da die Beleidigung,
die ſie erwecket hat, nie aufhoͤret, die nehmliche
Beleidigung zu ſeyn, und immer waͤchſet, je
laͤnger ſie dauert: ſo kann auch ihr Durſt nach
Rache nie erloͤſchen, die ſie ſpat oder fruͤh, im-
mer mit gleichem Grimme, vollziehen wird.
Gerade ſo iſt die Rache der Cleopatra beym Cor-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/256>, abgerufen am 22.11.2024.
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