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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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den Hauptpersonen ganz aus heiler Haut starb,
fragte ein Zuschauer seinen Nachbar: Aber
woran stirbt sie denn? -- Woran? am fünften
Akte; antwortete dieser. In Wahrheit; der
fünfte Akt ist eine garstige böse Staupe, die
manchen hinreißt, dem die ersten vier Akte ein
weit längeres Leben versprachen. --

Doch ich will mich in die Kritik des Stückes
nicht tiefer einlassen. So mittelmäßig es ist,
so ausnehmend ist es vorgestellet worden. Ich
schweige von der äußern Pracht; denn diese Ver-
besserung unsers Theaters erfordert nichts als
Geld. Die Künste, deren Hülfe dazu nöthig
ist, sind bey uns in eben der Vollkommenheit,
als in jedem andern Lande; nur die Künstler wol-
len eben so bezahlt seyn, wie in jedem andern
Lande.

Man muß mit der Vorstellung eines Stückes
zufrieden seyn, wenn unter vier, fünf Personen,
einige vortrefflich, und die andern gut gespielet
haben. Wen, in den Nebenrollen, ein Anfänger
oder sonst ein Nothnagel, so sehr beleidiget, daß
er über das Ganze die Nase rümpft, der reise
nach Utopien, und besuche da die vollkommenen
Theater, wo auch der Lichtputzer ein Garrick ist.

Herr Eckhof war Evander; Evander ist zwar
der Vater des Olints, aber im Grunde doch
nicht viel mehr als ein Vertrauter. Indeß mag
dieser Mann eine Rolle machen, welche er will;

man
B 3

den Hauptperſonen ganz aus heiler Haut ſtarb,
fragte ein Zuſchauer ſeinen Nachbar: Aber
woran ſtirbt ſie denn? — Woran? am fuͤnften
Akte; antwortete dieſer. In Wahrheit; der
fuͤnfte Akt iſt eine garſtige boͤſe Staupe, die
manchen hinreißt, dem die erſten vier Akte ein
weit laͤngeres Leben verſprachen. —

Doch ich will mich in die Kritik des Stuͤckes
nicht tiefer einlaſſen. So mittelmaͤßig es iſt,
ſo ausnehmend iſt es vorgeſtellet worden. Ich
ſchweige von der aͤußern Pracht; denn dieſe Ver-
beſſerung unſers Theaters erfordert nichts als
Geld. Die Kuͤnſte, deren Huͤlfe dazu noͤthig
iſt, ſind bey uns in eben der Vollkommenheit,
als in jedem andern Lande; nur die Kuͤnſtler wol-
len eben ſo bezahlt ſeyn, wie in jedem andern
Lande.

Man muß mit der Vorſtellung eines Stuͤckes
zufrieden ſeyn, wenn unter vier, fuͤnf Perſonen,
einige vortrefflich, und die andern gut geſpielet
haben. Wen, in den Nebenrollen, ein Anfaͤnger
oder ſonſt ein Nothnagel, ſo ſehr beleidiget, daß
er uͤber das Ganze die Naſe ruͤmpft, der reiſe
nach Utopien, und beſuche da die vollkommenen
Theater, wo auch der Lichtputzer ein Garrick iſt.

Herr Eckhof war Evander; Evander iſt zwar
der Vater des Olints, aber im Grunde doch
nicht viel mehr als ein Vertrauter. Indeß mag
dieſer Mann eine Rolle machen, welche er will;

man
B 3
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[13/0027] den Hauptperſonen ganz aus heiler Haut ſtarb, fragte ein Zuſchauer ſeinen Nachbar: Aber woran ſtirbt ſie denn? — Woran? am fuͤnften Akte; antwortete dieſer. In Wahrheit; der fuͤnfte Akt iſt eine garſtige boͤſe Staupe, die manchen hinreißt, dem die erſten vier Akte ein weit laͤngeres Leben verſprachen. — Doch ich will mich in die Kritik des Stuͤckes nicht tiefer einlaſſen. So mittelmaͤßig es iſt, ſo ausnehmend iſt es vorgeſtellet worden. Ich ſchweige von der aͤußern Pracht; denn dieſe Ver- beſſerung unſers Theaters erfordert nichts als Geld. Die Kuͤnſte, deren Huͤlfe dazu noͤthig iſt, ſind bey uns in eben der Vollkommenheit, als in jedem andern Lande; nur die Kuͤnſtler wol- len eben ſo bezahlt ſeyn, wie in jedem andern Lande. Man muß mit der Vorſtellung eines Stuͤckes zufrieden ſeyn, wenn unter vier, fuͤnf Perſonen, einige vortrefflich, und die andern gut geſpielet haben. Wen, in den Nebenrollen, ein Anfaͤnger oder ſonſt ein Nothnagel, ſo ſehr beleidiget, daß er uͤber das Ganze die Naſe ruͤmpft, der reiſe nach Utopien, und beſuche da die vollkommenen Theater, wo auch der Lichtputzer ein Garrick iſt. Herr Eckhof war Evander; Evander iſt zwar der Vater des Olints, aber im Grunde doch nicht viel mehr als ein Vertrauter. Indeß mag dieſer Mann eine Rolle machen, welche er will; man B 3

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/27>, abgerufen am 21.11.2024.