Theils für nichts, als für die Argumente alter Tra- gödien, welcher Meinung auch schon vor ihm Rei- nestus gewesen war; und empfiehlt daher den neuern Dichtern, lieber in diesem verfallenen Schachte nach alten tragischen Fabeln zu suchen, als sich neue zu erdichten. Der Rath ist nicht übel, und zu befolgen. Auch hat ihn mancher be- folgt, ehe ihn Maffei noch gegeben, oder ohne zu wissen, daß er ihn gegeben. Herr Weiß hat den Stoff zu seineni Thyest aus dieser Grube geholt; und es wartet da noch mancher auf ein verständiges Auge. Nur möchte es nicht der größte, sondern vielleicht gerade der allerkleinste Theil seyn, der in dieser Absicht von dem Werke des Hyginus zu nutzen. Es braucht auch dar- um gar nicht aus den Argumenten der alten Tra- gödien zusammen gesetzt zu seyn; es kann aus eben den Quellen, mittelbar oder unmittelbar, geflossen seyn, zu welchen die Tragödienschreiber selbst ihre Zuflucht nahmen. Ja, Hyginus, oder wer sonst die Compilation gemacht, scheinet selbst, die Tragödien als abgeleitete verdorbene Bäche betrachtet zu haben; indem er an verschiedenen Stellen das, was weiter nichts als die Glaubwür- digkeit eines tragischen Dichters vor sich hatte, ausdrücklich von der alten ächtern Tradition ab- sondert. So erzehlt er, z. E. die Fabel von der Ino, und die Fabel von der Antiopa, zuerst nach dieser, und darauf in einem besondern Abschnitte, nach der Behandlung des Euripides.
Ham-
Theils fuͤr nichts, als fuͤr die Argumente alter Tra- goͤdien, welcher Meinung auch ſchon vor ihm Rei- neſtus geweſen war; und empfiehlt daher den neuern Dichtern, lieber in dieſem verfallenen Schachte nach alten tragiſchen Fabeln zu ſuchen, als ſich neue zu erdichten. Der Rath iſt nicht uͤbel, und zu befolgen. Auch hat ihn mancher be- folgt, ehe ihn Maffei noch gegeben, oder ohne zu wiſſen, daß er ihn gegeben. Herr Weiß hat den Stoff zu ſeineni Thyeſt aus dieſer Grube geholt; und es wartet da noch mancher auf ein verſtaͤndiges Auge. Nur moͤchte es nicht der groͤßte, ſondern vielleicht gerade der allerkleinſte Theil ſeyn, der in dieſer Abſicht von dem Werke des Hyginus zu nutzen. Es braucht auch dar- um gar nicht aus den Argumenten der alten Tra- goͤdien zuſammen geſetzt zu ſeyn; es kann aus eben den Quellen, mittelbar oder unmittelbar, gefloſſen ſeyn, zu welchen die Tragoͤdienſchreiber ſelbſt ihre Zuflucht nahmen. Ja, Hyginus, oder wer ſonſt die Compilation gemacht, ſcheinet ſelbſt, die Tragoͤdien als abgeleitete verdorbene Baͤche betrachtet zu haben; indem er an verſchiedenen Stellen das, was weiter nichts als die Glaubwuͤr- digkeit eines tragiſchen Dichters vor ſich hatte, ausdruͤcklich von der alten aͤchtern Tradition ab- ſondert. So erzehlt er, z. E. die Fabel von der Ino, und die Fabel von der Antiopa, zuerſt nach dieſer, und darauf in einem beſondern Abſchnitte, nach der Behandlung des Euripides.
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[312/0326]
Theils fuͤr nichts, als fuͤr die Argumente alter Tra-
goͤdien, welcher Meinung auch ſchon vor ihm Rei-
neſtus geweſen war; und empfiehlt daher den
neuern Dichtern, lieber in dieſem verfallenen
Schachte nach alten tragiſchen Fabeln zu ſuchen,
als ſich neue zu erdichten. Der Rath iſt nicht
uͤbel, und zu befolgen. Auch hat ihn mancher be-
folgt, ehe ihn Maffei noch gegeben, oder ohne
zu wiſſen, daß er ihn gegeben. Herr Weiß hat
den Stoff zu ſeineni Thyeſt aus dieſer Grube
geholt; und es wartet da noch mancher auf ein
verſtaͤndiges Auge. Nur moͤchte es nicht der
groͤßte, ſondern vielleicht gerade der allerkleinſte
Theil ſeyn, der in dieſer Abſicht von dem Werke
des Hyginus zu nutzen. Es braucht auch dar-
um gar nicht aus den Argumenten der alten Tra-
goͤdien zuſammen geſetzt zu ſeyn; es kann aus
eben den Quellen, mittelbar oder unmittelbar,
gefloſſen ſeyn, zu welchen die Tragoͤdienſchreiber
ſelbſt ihre Zuflucht nahmen. Ja, Hyginus, oder
wer ſonſt die Compilation gemacht, ſcheinet ſelbſt,
die Tragoͤdien als abgeleitete verdorbene Baͤche
betrachtet zu haben; indem er an verſchiedenen
Stellen das, was weiter nichts als die Glaubwuͤr-
digkeit eines tragiſchen Dichters vor ſich hatte,
ausdruͤcklich von der alten aͤchtern Tradition ab-
ſondert. So erzehlt er, z. E. die Fabel von der Ino,
und die Fabel von der Antiopa, zuerſt nach dieſer,
und darauf in einem beſondern Abſchnitte, nach
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/326>, abgerufen am 25.11.2024.
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