Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite
Dorante. Gleichwohl darf ich nicht muchsen.
Denn was würde die Welt dazu sagen? Wie lä-
cherlich würde ich mich machen, wenn ich meinen
Verdruß auslassen wollte? Die Kinder auf der
Straaße würden mit Fingern auf mich weisen.
Alle Tage würde ein Epigramm, ein Gassenhauer
auf mich zum Vorscheine kommen u. s. w.

Diese Situation muß es seyn, in welcher
Chevrier das Aehnliche mit dem verheyratheten
Philosophen gefunden hat. So wie der Eifer-
süchtige des Campistron sich schämet, seine Ei-
fersucht auszulassen, weil er sich ehedem über
diese Schwachheit allzulustig gemacht hat: so
schämt sich auch der Philosoph des Destouches,
seine Heyrath bekannt zu machen, weil er ehe-
dem über alle ernsthafte Liebe gespottet, und
den ehelosen Stand für den einzigen erklärt hat-
te, der einem freyen und weisen Manne anstän-
dig sey. Es kann auch nicht fehlen, daß diese
ähnliche Schaam sie nicht beide in mancherley
ähnliche Verlegenheiten bringen sollte. So ist,
z. E., die, in welcher sich Dorante beym Cam-
pistron siehet, wenn er von seiner Frau verlangt,
ihm die überlästigen Besucher von Halse zu
schaffen, diese aber ihn bedeutet, daß das eine
Sache sey, die er selbst bewerkstelligen müsse,
fast die nehmliche mit der bey dem Destouches,
in welcher sich Arist befindet, wenn er es selbst

dem
Dorante. Gleichwohl darf ich nicht muchſen.
Denn was wuͤrde die Welt dazu ſagen? Wie laͤ-
cherlich wuͤrde ich mich machen, wenn ich meinen
Verdruß auslaſſen wollte? Die Kinder auf der
Straaße wuͤrden mit Fingern auf mich weiſen.
Alle Tage wuͤrde ein Epigramm, ein Gaſſenhauer
auf mich zum Vorſcheine kommen u. ſ. w.

Dieſe Situation muß es ſeyn, in welcher
Chevrier das Aehnliche mit dem verheyratheten
Philoſophen gefunden hat. So wie der Eifer-
ſuͤchtige des Campiſtron ſich ſchaͤmet, ſeine Ei-
ferſucht auszulaſſen, weil er ſich ehedem uͤber
dieſe Schwachheit allzuluſtig gemacht hat: ſo
ſchaͤmt ſich auch der Philoſoph des Destouches,
ſeine Heyrath bekannt zu machen, weil er ehe-
dem uͤber alle ernſthafte Liebe geſpottet, und
den eheloſen Stand fuͤr den einzigen erklaͤrt hat-
te, der einem freyen und weiſen Manne anſtaͤn-
dig ſey. Es kann auch nicht fehlen, daß dieſe
aͤhnliche Schaam ſie nicht beide in mancherley
aͤhnliche Verlegenheiten bringen ſollte. So iſt,
z. E., die, in welcher ſich Dorante beym Cam-
piſtron ſiehet, wenn er von ſeiner Frau verlangt,
ihm die uͤberlaͤſtigen Beſucher von Halſe zu
ſchaffen, dieſe aber ihn bedeutet, daß das eine
Sache ſey, die er ſelbſt bewerkſtelligen muͤſſe,
faſt die nehmliche mit der bey dem Destouches,
in welcher ſich Ariſt befindet, wenn er es ſelbſt

dem
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0420" n="406"/>
        <sp>
          <speaker> <hi rendition="#g">Dorante.</hi> </speaker>
          <p>Gleichwohl darf ich nicht much&#x017F;en.<lb/>
Denn was wu&#x0364;rde die Welt dazu &#x017F;agen? Wie la&#x0364;-<lb/>
cherlich wu&#x0364;rde ich mich machen, wenn ich meinen<lb/>
Verdruß ausla&#x017F;&#x017F;en wollte? Die Kinder auf der<lb/>
Straaße wu&#x0364;rden mit Fingern auf mich wei&#x017F;en.<lb/>
Alle Tage wu&#x0364;rde ein Epigramm, ein Ga&#x017F;&#x017F;enhauer<lb/>
auf mich zum Vor&#x017F;cheine kommen u. &#x017F;. w.</p>
        </sp><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Situation muß es &#x017F;eyn, in welcher<lb/>
Chevrier das Aehnliche mit dem verheyratheten<lb/>
Philo&#x017F;ophen gefunden hat. So wie der Eifer-<lb/>
&#x017F;u&#x0364;chtige des Campi&#x017F;tron &#x017F;ich &#x017F;cha&#x0364;met, &#x017F;eine Ei-<lb/>
fer&#x017F;ucht auszula&#x017F;&#x017F;en, weil er &#x017F;ich ehedem u&#x0364;ber<lb/>
die&#x017F;e Schwachheit allzulu&#x017F;tig gemacht hat: &#x017F;o<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;mt &#x017F;ich auch der Philo&#x017F;oph des Destouches,<lb/>
&#x017F;eine Heyrath bekannt zu machen, weil er ehe-<lb/>
dem u&#x0364;ber alle ern&#x017F;thafte Liebe ge&#x017F;pottet, und<lb/>
den ehelo&#x017F;en Stand fu&#x0364;r den einzigen erkla&#x0364;rt hat-<lb/>
te, der einem freyen und wei&#x017F;en Manne an&#x017F;ta&#x0364;n-<lb/>
dig &#x017F;ey. Es kann auch nicht fehlen, daß die&#x017F;e<lb/>
a&#x0364;hnliche Schaam &#x017F;ie nicht beide in mancherley<lb/>
a&#x0364;hnliche Verlegenheiten bringen &#x017F;ollte. So i&#x017F;t,<lb/>
z. E., die, in welcher &#x017F;ich Dorante beym Cam-<lb/>
pi&#x017F;tron &#x017F;iehet, wenn er von &#x017F;einer Frau verlangt,<lb/>
ihm die u&#x0364;berla&#x0364;&#x017F;tigen Be&#x017F;ucher von Hal&#x017F;e zu<lb/>
&#x017F;chaffen, die&#x017F;e aber ihn bedeutet, daß das eine<lb/>
Sache &#x017F;ey, die er &#x017F;elb&#x017F;t bewerk&#x017F;telligen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
fa&#x017F;t die nehmliche mit der bey dem Destouches,<lb/>
in welcher &#x017F;ich Ari&#x017F;t befindet, wenn er es &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">dem</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[406/0420] Dorante. Gleichwohl darf ich nicht muchſen. Denn was wuͤrde die Welt dazu ſagen? Wie laͤ- cherlich wuͤrde ich mich machen, wenn ich meinen Verdruß auslaſſen wollte? Die Kinder auf der Straaße wuͤrden mit Fingern auf mich weiſen. Alle Tage wuͤrde ein Epigramm, ein Gaſſenhauer auf mich zum Vorſcheine kommen u. ſ. w. Dieſe Situation muß es ſeyn, in welcher Chevrier das Aehnliche mit dem verheyratheten Philoſophen gefunden hat. So wie der Eifer- ſuͤchtige des Campiſtron ſich ſchaͤmet, ſeine Ei- ferſucht auszulaſſen, weil er ſich ehedem uͤber dieſe Schwachheit allzuluſtig gemacht hat: ſo ſchaͤmt ſich auch der Philoſoph des Destouches, ſeine Heyrath bekannt zu machen, weil er ehe- dem uͤber alle ernſthafte Liebe geſpottet, und den eheloſen Stand fuͤr den einzigen erklaͤrt hat- te, der einem freyen und weiſen Manne anſtaͤn- dig ſey. Es kann auch nicht fehlen, daß dieſe aͤhnliche Schaam ſie nicht beide in mancherley aͤhnliche Verlegenheiten bringen ſollte. So iſt, z. E., die, in welcher ſich Dorante beym Cam- piſtron ſiehet, wenn er von ſeiner Frau verlangt, ihm die uͤberlaͤſtigen Beſucher von Halſe zu ſchaffen, dieſe aber ihn bedeutet, daß das eine Sache ſey, die er ſelbſt bewerkſtelligen muͤſſe, faſt die nehmliche mit der bey dem Destouches, in welcher ſich Ariſt befindet, wenn er es ſelbſt dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/420
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/420>, abgerufen am 19.05.2024.