ten seyn. Der Geheimnißvolle ist um vieles bes- ser; ob es gleich der Geheimnißvolle gar nicht geworden ist, den Moliere in der Stelle geschil- dert hat, aus welcher Schlegel den Anlaß zu diesem Stücke wollte genommen haben. (*) Moliers Geheimnißvoller ist ein Geck, der sich ein wichtiges Ansehen geben will; Schlegels Geheimnißvoller aber ein gutes ehrliches Schaf, das den Fuchs spielen will, um von den Wölfen nicht gefressen zu werden. Daher kömmt es auch, daß er so viel ähnliches mit dem Charakter des Mißtrauischen hat, den Cronegk hernach auf die Bühne brachte. Beide Charaktere aber, oder vielmehr beide Nuancen des nehmlichen Charakters, können nicht anders als in einer so kleinen und armseligen, oder so menschenfeindli- chen und häßlichen Seele sich finden, daß ihre
Vor-
(*)Misantrope Acte II. Sc. 4. C'est de la tete aux pieds, un homme tout mistere, Qui vous jette, en passant, un coup d'oeil egare, Et sans aucune affaire est toujours affaire. Tout ce qu'il vous debite en grimaces abonde. A force de facons il assomme le monde. Sans cesse il a tout bas, par rompre l'en- tretien. Un secret a vous dire, & ce secret n'est rien. De la moindre vetille il fait une merveille Et jusques au bon jour, il dit tout a l'oreille.
ten ſeyn. Der Geheimnißvolle iſt um vieles beſ- ſer; ob es gleich der Geheimnißvolle gar nicht geworden iſt, den Moliere in der Stelle geſchil- dert hat, aus welcher Schlegel den Anlaß zu dieſem Stuͤcke wollte genommen haben. (*) Moliers Geheimnißvoller iſt ein Geck, der ſich ein wichtiges Anſehen geben will; Schlegels Geheimnißvoller aber ein gutes ehrliches Schaf, das den Fuchs ſpielen will, um von den Woͤlfen nicht gefreſſen zu werden. Daher koͤmmt es auch, daß er ſo viel aͤhnliches mit dem Charakter des Mißtrauiſchen hat, den Cronegk hernach auf die Buͤhne brachte. Beide Charaktere aber, oder vielmehr beide Nuancen des nehmlichen Charakters, koͤnnen nicht anders als in einer ſo kleinen und armſeligen, oder ſo menſchenfeindli- chen und haͤßlichen Seele ſich finden, daß ihre
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(*)Miſantrope Acte II. Sc. 4. C’eſt de la tête aux pieds, un homme tout miſtere, Qui vous jette, en paſſant, un coup d’oeil egaré, Et ſans aucune affaire eſt toujours affairé. Tout ce qu’il vous debite en grimaces abonde. A force de façons il aſſomme le monde. Sans ceſſe il a tout bas, par rompre l’en- tretien. Un ſecret à vous dire, & ce ſecret n’eſt rien. De la moindre vetille il fait une merveille Et juſques au bon jour, il dit tout à l’oreille.
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ten ſeyn. Der Geheimnißvolle iſt um vieles beſ-
ſer; ob es gleich der Geheimnißvolle gar nicht
geworden iſt, den Moliere in der Stelle geſchil-
dert hat, aus welcher Schlegel den Anlaß zu
dieſem Stuͤcke wollte genommen haben. (*)
Moliers Geheimnißvoller iſt ein Geck, der ſich
ein wichtiges Anſehen geben will; Schlegels
Geheimnißvoller aber ein gutes ehrliches Schaf,
das den Fuchs ſpielen will, um von den Woͤlfen
nicht gefreſſen zu werden. Daher koͤmmt es
auch, daß er ſo viel aͤhnliches mit dem Charakter
des Mißtrauiſchen hat, den Cronegk hernach
auf die Buͤhne brachte. Beide Charaktere aber,
oder vielmehr beide Nuancen des nehmlichen
Charakters, koͤnnen nicht anders als in einer ſo
kleinen und armſeligen, oder ſo menſchenfeindli-
chen und haͤßlichen Seele ſich finden, daß ihre
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(*) Miſantrope Acte II. Sc. 4.
C’eſt de la tête aux pieds, un homme tout
miſtere,
Qui vous jette, en paſſant, un coup d’oeil
egaré,
Et ſans aucune affaire eſt toujours affairé.
Tout ce qu’il vous debite en grimaces
abonde.
A force de façons il aſſomme le monde.
Sans ceſſe il a tout bas, par rompre l’en-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/424>, abgerufen am 24.11.2024.
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