Es ist unstreitig, daß die Schauspielerinn durch diese meisterhafte Absetzung der Worte,
"Ich liebe dich, Olint, --
der Stelle eine Schönheit gab, von der sich der Dichter, bey dem alles in dem nehmlichen Flusse von Worten daher rauscht, nicht das geringste Verdienst beymessen kann. Aber wenn es ihr doch gefallen hätte, in diesen Verfeinerungen ihrer Rolle fortzufahren! Vielleicht besorgte sie, den Geist des Dichters ganz zu verfehlen; oder vielleicht scheute sie den Vorwurf, nicht das, was der Dichter sagt, sondern was er hätte sagen sollen, gespielt zu haben. Aber welches Lob könnte größer seyn, als so ein Vorwurf? Freylich muß sich nicht jeder Schauspieler einbil- den, dieses Lob verdienen zu können. Denn sonst möchte es mit den armen Dichtern übel aussehen.
Cro-
E
Hamburgiſche Dramaturgie. Fuͤnftes Stuͤck.
Den 15ten May, 1767.
Es iſt unſtreitig, daß die Schauſpielerinn durch dieſe meiſterhafte Abſetzung der Worte,
〟Ich liebe dich, Olint, —
der Stelle eine Schoͤnheit gab, von der ſich der Dichter, bey dem alles in dem nehmlichen Fluſſe von Worten daher rauſcht, nicht das geringſte Verdienſt beymeſſen kann. Aber wenn es ihr doch gefallen haͤtte, in dieſen Verfeinerungen ihrer Rolle fortzufahren! Vielleicht beſorgte ſie, den Geiſt des Dichters ganz zu verfehlen; oder vielleicht ſcheute ſie den Vorwurf, nicht das, was der Dichter ſagt, ſondern was er haͤtte ſagen ſollen, geſpielt zu haben. Aber welches Lob koͤnnte groͤßer ſeyn, als ſo ein Vorwurf? Freylich muß ſich nicht jeder Schauſpieler einbil- den, dieſes Lob verdienen zu koͤnnen. Denn ſonſt moͤchte es mit den armen Dichtern uͤbel ausſehen.
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[[33]/0047]
Hamburgiſche
Dramaturgie.
Fuͤnftes Stuͤck.
Den 15ten May, 1767.
Es iſt unſtreitig, daß die Schauſpielerinn
durch dieſe meiſterhafte Abſetzung der
Worte,
〟Ich liebe dich, Olint, —
der Stelle eine Schoͤnheit gab, von der ſich der
Dichter, bey dem alles in dem nehmlichen Fluſſe
von Worten daher rauſcht, nicht das geringſte
Verdienſt beymeſſen kann. Aber wenn es ihr
doch gefallen haͤtte, in dieſen Verfeinerungen
ihrer Rolle fortzufahren! Vielleicht beſorgte ſie,
den Geiſt des Dichters ganz zu verfehlen; oder
vielleicht ſcheute ſie den Vorwurf, nicht das,
was der Dichter ſagt, ſondern was er haͤtte
ſagen ſollen, geſpielt zu haben. Aber welches
Lob koͤnnte groͤßer ſeyn, als ſo ein Vorwurf?
Freylich muß ſich nicht jeder Schauſpieler einbil-
den, dieſes Lob verdienen zu koͤnnen. Denn ſonſt
moͤchte es mit den armen Dichtern uͤbel ausſehen.
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. [33]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/47>, abgerufen am 21.11.2024.
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