auf die andern, als auf ausserordentliche Erschei- nungen in dem Reiche der Sitten, welche die Vernunft in Erstaunen, und das Herz in Tu- mult setzen, die Tragödie einzuschränken. Das Genie lacht über alle die Grenzscheidungen der Kritik. Aber so viel ist doch unstreitig, daß das Schauspiel überhaupt seinen Vorwurf entweder disseits oder jenseits der Grenzen des Gesetzes wählet, und die eigentlichen Gegenstände dessel- ben nur in so fern behandelt, als sie sich entweder in das Lächerliche verlieren, oder bis in das Ab- scheuliche verbreiten.
Der Epilog verweilet bey einer von den Haupt- lehren, auf welche ein Theil der Fabel und Cha- raktere des Trauerspiels mit abzwecken. Es war zwar von dem Hrn. von Cronegk ein wenig unüberlegt, in einem Stücke, dessen Stoff aus den unglücklichen Zeiten der Kreutzzüge genom- men ist, die Toleranz predigen, und die Abscheu- lichkeiten des Geistes der Verfolgung an den Bekennern der mahomedanischen Religion zeigen zu wollen. Denn diese Kreutzzüge selbst, die in ihrer Anlage ein politischer Kunstgriff der Päbste waren, wurden in ihrer Ausführung die unmenschlichsten Verfolgungen, deren sich der christliche Aberglaube jemals schuldig gemacht hat; die meisten und blutgierigsten Ismenors hatte damals die wahre Religion; und einzelne
Per-
auf die andern, als auf auſſerordentliche Erſchei- nungen in dem Reiche der Sitten, welche die Vernunft in Erſtaunen, und das Herz in Tu- mult ſetzen, die Tragoͤdie einzuſchraͤnken. Das Genie lacht uͤber alle die Grenzſcheidungen der Kritik. Aber ſo viel iſt doch unſtreitig, daß das Schauſpiel uͤberhaupt ſeinen Vorwurf entweder diſſeits oder jenſeits der Grenzen des Geſetzes waͤhlet, und die eigentlichen Gegenſtaͤnde deſſel- ben nur in ſo fern behandelt, als ſie ſich entweder in das Laͤcherliche verlieren, oder bis in das Ab- ſcheuliche verbreiten.
Der Epilog verweilet bey einer von den Haupt- lehren, auf welche ein Theil der Fabel und Cha- raktere des Trauerſpiels mit abzwecken. Es war zwar von dem Hrn. von Cronegk ein wenig unuͤberlegt, in einem Stuͤcke, deſſen Stoff aus den ungluͤcklichen Zeiten der Kreutzzuͤge genom- men iſt, die Toleranz predigen, und die Abſcheu- lichkeiten des Geiſtes der Verfolgung an den Bekennern der mahomedaniſchen Religion zeigen zu wollen. Denn dieſe Kreutzzuͤge ſelbſt, die in ihrer Anlage ein politiſcher Kunſtgriff der Paͤbſte waren, wurden in ihrer Ausfuͤhrung die unmenſchlichſten Verfolgungen, deren ſich der chriſtliche Aberglaube jemals ſchuldig gemacht hat; die meiſten und blutgierigſten Iſmenors hatte damals die wahre Religion; und einzelne
Per-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0064"n="50"/>
auf die andern, als auf auſſerordentliche Erſchei-<lb/>
nungen in dem Reiche der Sitten, welche die<lb/>
Vernunft in Erſtaunen, und das Herz in Tu-<lb/>
mult ſetzen, die Tragoͤdie einzuſchraͤnken. Das<lb/>
Genie lacht uͤber alle die Grenzſcheidungen der<lb/>
Kritik. Aber ſo viel iſt doch unſtreitig, daß das<lb/>
Schauſpiel uͤberhaupt ſeinen Vorwurf entweder<lb/>
diſſeits oder jenſeits der Grenzen des Geſetzes<lb/>
waͤhlet, und die eigentlichen Gegenſtaͤnde deſſel-<lb/>
ben nur in ſo fern behandelt, als ſie ſich entweder<lb/>
in das Laͤcherliche verlieren, oder bis in das Ab-<lb/>ſcheuliche verbreiten.</p><lb/><p>Der Epilog verweilet bey einer von den Haupt-<lb/>
lehren, auf welche ein Theil der Fabel und Cha-<lb/>
raktere des Trauerſpiels mit abzwecken. Es<lb/>
war zwar von dem Hrn. von Cronegk ein wenig<lb/>
unuͤberlegt, in einem Stuͤcke, deſſen Stoff aus<lb/>
den ungluͤcklichen Zeiten der Kreutzzuͤge genom-<lb/>
men iſt, die Toleranz predigen, und die Abſcheu-<lb/>
lichkeiten des Geiſtes der Verfolgung an den<lb/>
Bekennern der mahomedaniſchen Religion zeigen<lb/>
zu wollen. Denn dieſe Kreutzzuͤge ſelbſt, die<lb/>
in ihrer Anlage ein politiſcher Kunſtgriff der<lb/>
Paͤbſte waren, wurden in ihrer Ausfuͤhrung die<lb/>
unmenſchlichſten Verfolgungen, deren ſich der<lb/>
chriſtliche Aberglaube jemals ſchuldig gemacht<lb/>
hat; die meiſten und blutgierigſten Iſmenors<lb/>
hatte damals die wahre Religion; und einzelne<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Per-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[50/0064]
auf die andern, als auf auſſerordentliche Erſchei-
nungen in dem Reiche der Sitten, welche die
Vernunft in Erſtaunen, und das Herz in Tu-
mult ſetzen, die Tragoͤdie einzuſchraͤnken. Das
Genie lacht uͤber alle die Grenzſcheidungen der
Kritik. Aber ſo viel iſt doch unſtreitig, daß das
Schauſpiel uͤberhaupt ſeinen Vorwurf entweder
diſſeits oder jenſeits der Grenzen des Geſetzes
waͤhlet, und die eigentlichen Gegenſtaͤnde deſſel-
ben nur in ſo fern behandelt, als ſie ſich entweder
in das Laͤcherliche verlieren, oder bis in das Ab-
ſcheuliche verbreiten.
Der Epilog verweilet bey einer von den Haupt-
lehren, auf welche ein Theil der Fabel und Cha-
raktere des Trauerſpiels mit abzwecken. Es
war zwar von dem Hrn. von Cronegk ein wenig
unuͤberlegt, in einem Stuͤcke, deſſen Stoff aus
den ungluͤcklichen Zeiten der Kreutzzuͤge genom-
men iſt, die Toleranz predigen, und die Abſcheu-
lichkeiten des Geiſtes der Verfolgung an den
Bekennern der mahomedaniſchen Religion zeigen
zu wollen. Denn dieſe Kreutzzuͤge ſelbſt, die
in ihrer Anlage ein politiſcher Kunſtgriff der
Paͤbſte waren, wurden in ihrer Ausfuͤhrung die
unmenſchlichſten Verfolgungen, deren ſich der
chriſtliche Aberglaube jemals ſchuldig gemacht
hat; die meiſten und blutgierigſten Iſmenors
hatte damals die wahre Religion; und einzelne
Per-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/64>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.