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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769].

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digkeit gesprochen werden. Denn da sie, weder
in Absicht auf die Deutlichkeit und den Nach-
druck, noch in Rücksicht auf den in dem ganzen
Perioden herrschenden Affekt, von einerley
Werth und Belang seyn können: so ist es der
Natur gemäß, daß die Stimme die geringfügi-
gern schnell herausstößt, flüchtig und nachläßig
darüber hinschlupft; auf den beträchtlichern aber
verweilet, sie dehnet und schleift, und jedes
Wort, und in jedem Worte jeden Buchstaben,
uns zuzählet. Die Grade dieser Verschieden-
heit sind unendlich; und ob sie sich schon durch
keine künstliche Zeittheilchen bestimmen und
gegen einander abmessen lassen, so werden sie
doch auch von dem ungelehrtesten Ohre unter-
schieden, so wie von der ungelehrtesten Zunge
beobachtet, wenn die Rede aus einem durch-
drungenen Herzen, und nicht blos aus einem fer-
tigen Gedächtnisse fließet. Die Wirkung ist
unglaublich, die dieses beständig abwechselnde
Mouvement der Stimme hat; und werden vol-
lends alle Abänderungen des Tones, nicht blos
in Ansehung der Höhe und Tiefe, der Stärke
und Schwäche, sondern auch des Rauhen und
Sanften, des Schneidenden und Runden, so-
gar des Holprichten und Geschmeidigen, an den
rechten Stellen, damit verbunden: so entstehet
jene natürliche Musik, gegen die sich unfehlbar
unser Herz eröfnet, weil es empfindet, daß sie

aus
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digkeit geſprochen werden. Denn da ſie, weder
in Abſicht auf die Deutlichkeit und den Nach-
druck, noch in Ruͤckſicht auf den in dem ganzen
Perioden herrſchenden Affekt, von einerley
Werth und Belang ſeyn koͤnnen: ſo iſt es der
Natur gemaͤß, daß die Stimme die geringfuͤgi-
gern ſchnell herausſtoͤßt, fluͤchtig und nachlaͤßig
daruͤber hinſchlupft; auf den betraͤchtlichern aber
verweilet, ſie dehnet und ſchleift, und jedes
Wort, und in jedem Worte jeden Buchſtaben,
uns zuzaͤhlet. Die Grade dieſer Verſchieden-
heit ſind unendlich; und ob ſie ſich ſchon durch
keine kuͤnſtliche Zeittheilchen beſtimmen und
gegen einander abmeſſen laſſen, ſo werden ſie
doch auch von dem ungelehrteſten Ohre unter-
ſchieden, ſo wie von der ungelehrteſten Zunge
beobachtet, wenn die Rede aus einem durch-
drungenen Herzen, und nicht blos aus einem fer-
tigen Gedaͤchtniſſe fließet. Die Wirkung iſt
unglaublich, die dieſes beſtaͤndig abwechſelnde
Mouvement der Stimme hat; und werden vol-
lends alle Abaͤnderungen des Tones, nicht blos
in Anſehung der Hoͤhe und Tiefe, der Staͤrke
und Schwaͤche, ſondern auch des Rauhen und
Sanften, des Schneidenden und Runden, ſo-
gar des Holprichten und Geſchmeidigen, an den
rechten Stellen, damit verbunden: ſo entſtehet
jene natuͤrliche Muſik, gegen die ſich unfehlbar
unſer Herz eroͤfnet, weil es empfindet, daß ſie

aus
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[61/0075] digkeit geſprochen werden. Denn da ſie, weder in Abſicht auf die Deutlichkeit und den Nach- druck, noch in Ruͤckſicht auf den in dem ganzen Perioden herrſchenden Affekt, von einerley Werth und Belang ſeyn koͤnnen: ſo iſt es der Natur gemaͤß, daß die Stimme die geringfuͤgi- gern ſchnell herausſtoͤßt, fluͤchtig und nachlaͤßig daruͤber hinſchlupft; auf den betraͤchtlichern aber verweilet, ſie dehnet und ſchleift, und jedes Wort, und in jedem Worte jeden Buchſtaben, uns zuzaͤhlet. Die Grade dieſer Verſchieden- heit ſind unendlich; und ob ſie ſich ſchon durch keine kuͤnſtliche Zeittheilchen beſtimmen und gegen einander abmeſſen laſſen, ſo werden ſie doch auch von dem ungelehrteſten Ohre unter- ſchieden, ſo wie von der ungelehrteſten Zunge beobachtet, wenn die Rede aus einem durch- drungenen Herzen, und nicht blos aus einem fer- tigen Gedaͤchtniſſe fließet. Die Wirkung iſt unglaublich, die dieſes beſtaͤndig abwechſelnde Mouvement der Stimme hat; und werden vol- lends alle Abaͤnderungen des Tones, nicht blos in Anſehung der Hoͤhe und Tiefe, der Staͤrke und Schwaͤche, ſondern auch des Rauhen und Sanften, des Schneidenden und Runden, ſo- gar des Holprichten und Geſchmeidigen, an den rechten Stellen, damit verbunden: ſo entſtehet jene natuͤrliche Muſik, gegen die ſich unfehlbar unſer Herz eroͤfnet, weil es empfindet, daß ſie aus H 3

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 1. Hamburg u. a., [1769], S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie01_1767/75>, abgerufen am 21.11.2024.