darauf folgen ließ. Wer beide Stücke nicht kennet, würde sich sehr irren, wenn er glaubte, daß hier den Frauen, wie dort den Männern, ihre Schuldigkeit geprediget würde. Es sind beides witzige Possenspiele, in welchen ein Paar junge Mädchen, wovon das eine in aller Strenge erzogen und das andere in aller Einfalt aufge- wachsen, ein Paar alte Laffen hintergehen; und die beide die Männerschule heissen müßten, wenn Moliere weiter nichts darinn hätte lehren wol- len, als daß das dümmste Mädchen noch immer Verstand genug habe zu betrügen, und daß Zwang und Aufsicht weit weniger fruchte und nutze, als Nachsicht und Freyheit. Wirklich ist für das weibliche Geschlecht in der Frauen- schule nicht viel zu lernen; es wäre denn, daß Moliere mit diesem Titel auf die Ehestandsregeln, in der zweyten Scene des dritten Akts, gesehen hätte, mit welchen aber die Pflichten der Wei- ber eher lächerlich gemacht werden.
"Die zwey glücklichsten Stoffe zur Tragödie und Komödie, sagt Trublet, (*) sind der Cid und die Frauenschule. Aber beide sind vom Corneille und Moliere bearbeitet worden, als diese Dichter ihre völlige Stärke noch nicht hat- ten. Diese Anmerkung, fügt er hinzu, habe ich von dem Hrn. von Fontenelle."
Wenn
(*)Essais de Litt. & de Morale T. IV. p. 295.
A 3
darauf folgen ließ. Wer beide Stücke nicht kennet, würde ſich ſehr irren, wenn er glaubte, daß hier den Frauen, wie dort den Männern, ihre Schuldigkeit geprediget würde. Es ſind beides witzige Poſſenſpiele, in welchen ein Paar junge Mädchen, wovon das eine in aller Strenge erzogen und das andere in aller Einfalt aufge- wachſen, ein Paar alte Laffen hintergehen; und die beide die Männerſchule heiſſen müßten, wenn Moliere weiter nichts darinn hätte lehren wol- len, als daß das dümmſte Mädchen noch immer Verſtand genug habe zu betrügen, und daß Zwang und Aufſicht weit weniger fruchte und nutze, als Nachſicht und Freyheit. Wirklich iſt für das weibliche Geſchlecht in der Frauen- ſchule nicht viel zu lernen; es wäre denn, daß Moliere mit dieſem Titel auf die Eheſtandsregeln, in der zweyten Scene des dritten Akts, geſehen hätte, mit welchen aber die Pflichten der Wei- ber eher lächerlich gemacht werden.
„Die zwey glücklichſten Stoffe zur Tragödie und Komödie, ſagt Trublet, (*) ſind der Cid und die Frauenſchule. Aber beide ſind vom Corneille und Moliere bearbeitet worden, als dieſe Dichter ihre völlige Stärke noch nicht hat- ten. Dieſe Anmerkung, fügt er hinzu, habe ich von dem Hrn. von Fontenelle.„
Wenn
(*)Eſſais de Litt. & de Morale T. IV. p. 295.
A 3
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0011"n="5"/>
darauf folgen ließ. Wer beide Stücke nicht<lb/>
kennet, würde ſich ſehr irren, wenn er glaubte,<lb/>
daß hier den Frauen, wie dort den Männern,<lb/>
ihre Schuldigkeit geprediget würde. Es ſind<lb/>
beides witzige Poſſenſpiele, in welchen ein Paar<lb/>
junge Mädchen, wovon das eine in aller Strenge<lb/>
erzogen und das andere in aller Einfalt aufge-<lb/>
wachſen, ein Paar alte Laffen hintergehen; und<lb/>
die beide die Männerſchule heiſſen müßten, wenn<lb/>
Moliere weiter nichts darinn hätte lehren wol-<lb/>
len, als daß das dümmſte Mädchen noch immer<lb/>
Verſtand genug habe zu betrügen, und daß<lb/>
Zwang und Aufſicht weit weniger fruchte und<lb/>
nutze, als Nachſicht und Freyheit. Wirklich<lb/>
iſt für das weibliche Geſchlecht in der Frauen-<lb/>ſchule nicht viel zu lernen; es wäre denn, daß<lb/>
Moliere mit dieſem Titel auf die Eheſtandsregeln,<lb/>
in der zweyten Scene des dritten Akts, geſehen<lb/>
hätte, mit welchen aber die Pflichten der Wei-<lb/>
ber eher lächerlich gemacht werden.</p><lb/><p>„Die zwey glücklichſten Stoffe zur Tragödie<lb/>
und Komödie, ſagt Trublet, <noteplace="foot"n="(*)"><hirendition="#aq">Eſſais de Litt. & de Morale T. IV. p.</hi> 295.</note>ſind der Cid<lb/>
und die Frauenſchule. Aber beide ſind vom<lb/>
Corneille und Moliere bearbeitet worden, als<lb/>
dieſe Dichter ihre völlige Stärke noch nicht hat-<lb/>
ten. Dieſe Anmerkung, fügt er hinzu, habe<lb/>
ich von dem Hrn. von Fontenelle.„</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">A 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">Wenn</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[5/0011]
darauf folgen ließ. Wer beide Stücke nicht
kennet, würde ſich ſehr irren, wenn er glaubte,
daß hier den Frauen, wie dort den Männern,
ihre Schuldigkeit geprediget würde. Es ſind
beides witzige Poſſenſpiele, in welchen ein Paar
junge Mädchen, wovon das eine in aller Strenge
erzogen und das andere in aller Einfalt aufge-
wachſen, ein Paar alte Laffen hintergehen; und
die beide die Männerſchule heiſſen müßten, wenn
Moliere weiter nichts darinn hätte lehren wol-
len, als daß das dümmſte Mädchen noch immer
Verſtand genug habe zu betrügen, und daß
Zwang und Aufſicht weit weniger fruchte und
nutze, als Nachſicht und Freyheit. Wirklich
iſt für das weibliche Geſchlecht in der Frauen-
ſchule nicht viel zu lernen; es wäre denn, daß
Moliere mit dieſem Titel auf die Eheſtandsregeln,
in der zweyten Scene des dritten Akts, geſehen
hätte, mit welchen aber die Pflichten der Wei-
ber eher lächerlich gemacht werden.
„Die zwey glücklichſten Stoffe zur Tragödie
und Komödie, ſagt Trublet, (*) ſind der Cid
und die Frauenſchule. Aber beide ſind vom
Corneille und Moliere bearbeitet worden, als
dieſe Dichter ihre völlige Stärke noch nicht hat-
ten. Dieſe Anmerkung, fügt er hinzu, habe
ich von dem Hrn. von Fontenelle.„
Wenn
(*) Eſſais de Litt. & de Morale T. IV. p. 295.
A 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/11>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.