ratiocinationes saepe festinant. Wenn der Zornige ganz offenbar Recht zu haben glaubt, wenn er sich einbildet, daß sich gegen seine Be- schwerden durchaus nichts einwenden lasse: so wird er sich bey dem Schelten gerade am wenig- sten aufhalten, sondern zu den Beweisen eilen, um seinen Gegner durch eine so sonnenklare Ueberzeugung zu demüthigen. Doch da er über die Wallungen seines kochenden Geblüts nicht so unmittelbar gebiethen kann, da der Zorn, der überführen will, doch noch immer Zorn bleibt: so macht Donatus die zweyte Anmerkung; non quod dicatur, sed quo gestu dicatur, specta: & videbis neque adhuc repressisse iracun- diam, neque ad se rediise Demeam. De- mea sagt zwar, ich mäßige mich, ich bin wieder bey mir: aber Gesicht und Gebehrde und Stim- me verrathen genugsam, daß er sich noch nicht gemäßiget hat, daß er noch nicht wieder bey sich ist. Er bestürmt den Micio mit einer Frage über die andere, und Micio hat alle seine Kälte und gute Laune nöthig, um nur zum Worte zu kommen.
Ham-
ratiocinationes ſæpe feſtinant. Wenn der Zornige ganz offenbar Recht zu haben glaubt, wenn er ſich einbildet, daß ſich gegen ſeine Be- ſchwerden durchaus nichts einwenden laſſe: ſo wird er ſich bey dem Schelten gerade am wenig- ſten aufhalten, ſondern zu den Beweiſen eilen, um ſeinen Gegner durch eine ſo ſonnenklare Ueberzeugung zu demüthigen. Doch da er über die Wallungen ſeines kochenden Geblüts nicht ſo unmittelbar gebiethen kann, da der Zorn, der überführen will, doch noch immer Zorn bleibt: ſo macht Donatus die zweyte Anmerkung; non quod dicatur, ſed quo geſtu dicatur, ſpecta: & videbis neque adhuc repreſſiſſe iracun- diam, neque ad ſe rediiſe Demeam. De- mea ſagt zwar, ich mäßige mich, ich bin wieder bey mir: aber Geſicht und Gebehrde und Stim- me verrathen genugſam, daß er ſich noch nicht gemäßiget hat, daß er noch nicht wieder bey ſich iſt. Er beſtürmt den Micio mit einer Frage über die andere, und Micio hat alle ſeine Kälte und gute Laune nöthig, um nur zum Worte zu kommen.
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ratiocinationes ſæpe feſtinant. Wenn der
Zornige ganz offenbar Recht zu haben glaubt,
wenn er ſich einbildet, daß ſich gegen ſeine Be-
ſchwerden durchaus nichts einwenden laſſe: ſo
wird er ſich bey dem Schelten gerade am wenig-
ſten aufhalten, ſondern zu den Beweiſen eilen,
um ſeinen Gegner durch eine ſo ſonnenklare
Ueberzeugung zu demüthigen. Doch da er über
die Wallungen ſeines kochenden Geblüts nicht
ſo unmittelbar gebiethen kann, da der Zorn, der
überführen will, doch noch immer Zorn bleibt:
ſo macht Donatus die zweyte Anmerkung; non
quod dicatur, ſed quo geſtu dicatur, ſpecta:
& videbis neque adhuc repreſſiſſe iracun-
diam, neque ad ſe rediiſe Demeam. De-
mea ſagt zwar, ich mäßige mich, ich bin wieder
bey mir: aber Geſicht und Gebehrde und Stim-
me verrathen genugſam, daß er ſich noch nicht
gemäßiget hat, daß er noch nicht wieder bey ſich
iſt. Er beſtürmt den Micio mit einer Frage
über die andere, und Micio hat alle ſeine Kälte
und gute Laune nöthig, um nur zum Worte zu
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/158>, abgerufen am 21.11.2024.
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