zwar nach ihm; aber er ist darum nicht der Held desselben, nicht die Person, durch welche die Absicht der Tragödie erreicht wird; er hat nur das Mittel seyn sollen, unser Mitleid für andere zu erregen. Die Königinn, Elisabeth, die Prinzen, erregen diese nicht Mitleid? --
Um allem Wortstreite auszuweichen: ja. Aber was ist es für eine fremde, herbe Empfin- dung, die sich in mein Mitleid für diese Perso- nen mischt? die da macht, daß ich mir dieses Mitleid ersparen zu können wünschte? Das wünsche ich mir bey dem tragischen Mitleid doch sonst nicht; ich verweile gern dabey; und danke dem Dichter für eine so süße Quaal.
Aristoteles hat es wohl gesagt, und das wird es ganz gewiß seyn! Er spricht von einem miaron, von einen Gräßlichen, das sich bey dem Unglücke ganz guter, ganz unschuldiger Perso- nen finde. Und sind nicht die Königinn, Eli- sabeth, die Prinzen, vollkommen solche Perso- nen? Was haben sie gethan? wodurch haben sie es sich zugezogen, daß sie in den Klauen die- ser Bestie sind? Jst es ihre Schuld, daß sie ein näheres Recht auf den Thron haben, als er? Besonders die kleinen wimmernden Schlacht- opfer, die noch kaum rechts und links unter- scheiden können! Wer wird leugnen, daß sie unsern ganzen Jammer verdienen? Aber ist die- ser Jammer, der mich mit Schaudern an die
Schick-
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zwar nach ihm; aber er iſt darum nicht der Held deſſelben, nicht die Perſon, durch welche die Abſicht der Tragödie erreicht wird; er hat nur das Mittel ſeyn ſollen, unſer Mitleid für andere zu erregen. Die Königinn, Eliſabeth, die Prinzen, erregen dieſe nicht Mitleid? —
Um allem Wortſtreite auszuweichen: ja. Aber was iſt es für eine fremde, herbe Empfin- dung, die ſich in mein Mitleid für dieſe Perſo- nen miſcht? die da macht, daß ich mir dieſes Mitleid erſparen zu können wünſchte? Das wünſche ich mir bey dem tragiſchen Mitleid doch ſonſt nicht; ich verweile gern dabey; und danke dem Dichter für eine ſo ſüße Quaal.
Ariſtoteles hat es wohl geſagt, und das wird es ganz gewiß ſeyn! Er ſpricht von einem μιαϱον, von einen Gräßlichen, das ſich bey dem Unglücke ganz guter, ganz unſchuldiger Perſo- nen finde. Und ſind nicht die Königinn, Eli- ſabeth, die Prinzen, vollkommen ſolche Perſo- nen? Was haben ſie gethan? wodurch haben ſie es ſich zugezogen, daß ſie in den Klauen die- ſer Beſtie ſind? Jſt es ihre Schuld, daß ſie ein näheres Recht auf den Thron haben, als er? Beſonders die kleinen wimmernden Schlacht- opfer, die noch kaum rechts und links unter- ſcheiden können! Wer wird leugnen, daß ſie unſern ganzen Jammer verdienen? Aber iſt die- ſer Jammer, der mich mit Schaudern an die
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zwar nach ihm; aber er iſt darum nicht der Held
deſſelben, nicht die Perſon, durch welche die
Abſicht der Tragödie erreicht wird; er hat nur
das Mittel ſeyn ſollen, unſer Mitleid für andere
zu erregen. Die Königinn, Eliſabeth, die
Prinzen, erregen dieſe nicht Mitleid? —
Um allem Wortſtreite auszuweichen: ja.
Aber was iſt es für eine fremde, herbe Empfin-
dung, die ſich in mein Mitleid für dieſe Perſo-
nen miſcht? die da macht, daß ich mir dieſes
Mitleid erſparen zu können wünſchte? Das
wünſche ich mir bey dem tragiſchen Mitleid doch
ſonſt nicht; ich verweile gern dabey; und danke
dem Dichter für eine ſo ſüße Quaal.
Ariſtoteles hat es wohl geſagt, und das
wird es ganz gewiß ſeyn! Er ſpricht von einem
μιαϱον, von einen Gräßlichen, das ſich bey dem
Unglücke ganz guter, ganz unſchuldiger Perſo-
nen finde. Und ſind nicht die Königinn, Eli-
ſabeth, die Prinzen, vollkommen ſolche Perſo-
nen? Was haben ſie gethan? wodurch haben
ſie es ſich zugezogen, daß ſie in den Klauen die-
ſer Beſtie ſind? Jſt es ihre Schuld, daß ſie ein
näheres Recht auf den Thron haben, als er?
Beſonders die kleinen wimmernden Schlacht-
opfer, die noch kaum rechts und links unter-
ſcheiden können! Wer wird leugnen, daß ſie
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/217>, abgerufen am 16.02.2025.
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