auch unabhängig von der Moralität des Zweckes, Vergnügen gewähret.
Wir wollten, daß Richard seinen Zweck er- reichte: und wir wollten, daß er ihn auch nicht erreichte. Das Erreichen erspart uns das Miß- vergnügen, über ganz vergebens angewandte Mittel: wenn er ihn nicht erreicht, so ist so viel Blut völlig umsonst vergossen worden; da es einmal vergossen ist, möchten wir es nicht gern, auch noch blos vor langer Weile, vergos- sen finden. Hinwiederum wäre dieses Errei- chen das Frohlocken der Bosheit; nichts hören wir ungerner; die Absicht intereßirte uns, als zu erreichende Absicht; wenn sie aber nun er- reicht wäre, würden wir nichts als das Abscheu- liche derselben erblicken, würden wir wünschen, daß sie nicht erreicht wäre; diesen Wunsch sehen wir voraus, und uns schaudert vor der Errei- chung.
Die guten Personen des Stücks lieben wir; eine so zärtliche feurige Mutter, Geschwister, die so ganz eines in dem andern leben; diese Ge- genstände gefallen immer, erregen immer die süßesten sympathetischen Empfindungen, wir mögen sie finden, wo wir wollen. Sie ganz ohne Schuld leiden zu sehen, ist zwar herbe, ist zwar für unsere Ruhe, zu unserer Besserung, kein sehr ersprießliches Gefühl: aber es ist doch immer Gefühl.
Und
auch unabhängig von der Moralität des Zweckes, Vergnügen gewähret.
Wir wollten, daß Richard ſeinen Zweck er- reichte: und wir wollten, daß er ihn auch nicht erreichte. Das Erreichen erſpart uns das Miß- vergnügen, über ganz vergebens angewandte Mittel: wenn er ihn nicht erreicht, ſo iſt ſo viel Blut völlig umſonſt vergoſſen worden; da es einmal vergoſſen iſt, möchten wir es nicht gern, auch noch blos vor langer Weile, vergoſ- ſen finden. Hinwiederum wäre dieſes Errei- chen das Frohlocken der Bosheit; nichts hören wir ungerner; die Abſicht intereßirte uns, als zu erreichende Abſicht; wenn ſie aber nun er- reicht wäre, würden wir nichts als das Abſcheu- liche derſelben erblicken, würden wir wünſchen, daß ſie nicht erreicht wäre; dieſen Wunſch ſehen wir voraus, und uns ſchaudert vor der Errei- chung.
Die guten Perſonen des Stücks lieben wir; eine ſo zärtliche feurige Mutter, Geſchwiſter, die ſo ganz eines in dem andern leben; dieſe Ge- genſtände gefallen immer, erregen immer die ſüßeſten ſympathetiſchen Empfindungen, wir mögen ſie finden, wo wir wollen. Sie ganz ohne Schuld leiden zu ſehen, iſt zwar herbe, iſt zwar für unſere Ruhe, zu unſerer Beſſerung, kein ſehr erſprießliches Gefühl: aber es iſt doch immer Gefühl.
Und
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auch unabhängig von der Moralität des Zweckes,
Vergnügen gewähret.
Wir wollten, daß Richard ſeinen Zweck er-
reichte: und wir wollten, daß er ihn auch nicht
erreichte. Das Erreichen erſpart uns das Miß-
vergnügen, über ganz vergebens angewandte
Mittel: wenn er ihn nicht erreicht, ſo iſt ſo
viel Blut völlig umſonſt vergoſſen worden; da
es einmal vergoſſen iſt, möchten wir es nicht
gern, auch noch blos vor langer Weile, vergoſ-
ſen finden. Hinwiederum wäre dieſes Errei-
chen das Frohlocken der Bosheit; nichts hören
wir ungerner; die Abſicht intereßirte uns, als
zu erreichende Abſicht; wenn ſie aber nun er-
reicht wäre, würden wir nichts als das Abſcheu-
liche derſelben erblicken, würden wir wünſchen,
daß ſie nicht erreicht wäre; dieſen Wunſch ſehen
wir voraus, und uns ſchaudert vor der Errei-
chung.
Die guten Perſonen des Stücks lieben wir;
eine ſo zärtliche feurige Mutter, Geſchwiſter,
die ſo ganz eines in dem andern leben; dieſe Ge-
genſtände gefallen immer, erregen immer die
ſüßeſten ſympathetiſchen Empfindungen, wir
mögen ſie finden, wo wir wollen. Sie ganz
ohne Schuld leiden zu ſehen, iſt zwar herbe, iſt
zwar für unſere Ruhe, zu unſerer Beſſerung,
kein ſehr erſprießliches Gefühl: aber es iſt doch
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/221>, abgerufen am 21.11.2024.
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