des Dorval ist kein komischer Charakter; er ist ein Charakter, wie ihn das ernsthafte Schau- soiel erfodert; wie dieses den Raum zwischen Komödie und Tragödie füllen soll, so müssen auch die Charaktere desselben das Mittel zwi- schen den komischen und tragischen Charakteren halten; sie brauchen nicht so allgemein zu seyn als jene, wenn sie nur nicht so völlig individuell sind, als diese; und solcher Art dürfte doch wohl der Charakter des Dorval seyn.
Also wären wir glücklich wieder an dem Punk- te, von welchem wir ausgiengen. Wir wollten untersuchen, ob es wahr sey, daß die Tragödie Jndividua, die Komödie aber Arten habe: das ist, ob es wahr sey, daß die Personen der Ko- mödie eine große Anzahl von Menschen fassen und zugleich vorstellen müßten; da hingegen der Held der Tragödie nur der und der Mensch, nur Regulus, oder Brutus, oder Cato sey, und seyn solle. Jst es wahr, so hat auch das, was Diderot von den Personen der mittlern Gattung sagt, die er die ernsthafte Komödie nennt, keine Schwierig- keit, und der Charakter seines Dorval wäre so tadelhaft nicht. Jst es aber nicht wahr, so fällt auch dieses von selbst weg, und dem Charakter des natürlichen Sohnes kann aus einer so unge- gründeten Eintheilung keine Rechtfertigung zu- fließen.
Ham-
des Dorval iſt kein komiſcher Charakter; er iſt ein Charakter, wie ihn das ernſthafte Schau- ſoiel erfodert; wie dieſes den Raum zwiſchen Komödie und Tragödie füllen ſoll, ſo müſſen auch die Charaktere deſſelben das Mittel zwi- ſchen den komiſchen und tragiſchen Charakteren halten; ſie brauchen nicht ſo allgemein zu ſeyn als jene, wenn ſie nur nicht ſo völlig individuell ſind, als dieſe; und ſolcher Art dürfte doch wohl der Charakter des Dorval ſeyn.
Alſo wären wir glücklich wieder an dem Punk- te, von welchem wir ausgiengen. Wir wollten unterſuchen, ob es wahr ſey, daß die Tragödie Jndividua, die Komödie aber Arten habe: das iſt, ob es wahr ſey, daß die Perſonen der Ko- mödie eine große Anzahl von Menſchen faſſen und zugleich vorſtellen müßten; da hingegen der Held der Tragödie nur der und der Menſch, nur Regulus, oder Brutus, oder Cato ſey, und ſeyn ſolle. Jſt es wahr, ſo hat auch das, was Diderot von den Perſonen der mittlern Gattung ſagt, die er die ernſthafte Komödie nennt, keine Schwierig- keit, und der Charakter ſeines Dorval wäre ſo tadelhaft nicht. Jſt es aber nicht wahr, ſo fällt auch dieſes von ſelbſt weg, und dem Charakter des natürlichen Sohnes kann aus einer ſo unge- gründeten Eintheilung keine Rechtfertigung zu- fließen.
Ham-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0294"n="288"/>
des Dorval iſt kein komiſcher Charakter; er iſt<lb/>
ein Charakter, wie ihn das ernſthafte Schau-<lb/>ſoiel erfodert; wie dieſes den Raum zwiſchen<lb/>
Komödie und Tragödie füllen ſoll, ſo müſſen<lb/>
auch die Charaktere deſſelben das Mittel zwi-<lb/>ſchen den komiſchen und tragiſchen Charakteren<lb/>
halten; ſie brauchen nicht ſo allgemein zu ſeyn<lb/>
als jene, wenn ſie nur nicht ſo völlig individuell<lb/>ſind, als dieſe; und ſolcher Art dürfte doch<lb/>
wohl der Charakter des Dorval ſeyn.</p><lb/><p>Alſo wären wir glücklich wieder an dem Punk-<lb/>
te, von welchem wir ausgiengen. Wir wollten<lb/>
unterſuchen, ob es wahr ſey, daß die Tragödie<lb/>
Jndividua, die Komödie aber Arten habe: das<lb/>
iſt, ob es wahr ſey, daß die Perſonen der Ko-<lb/>
mödie eine große Anzahl von Menſchen faſſen<lb/>
und zugleich vorſtellen müßten; da hingegen der<lb/>
Held der Tragödie nur der und der Menſch, nur<lb/>
Regulus, oder Brutus, oder Cato ſey, und ſeyn<lb/>ſolle. Jſt es wahr, ſo hat auch das, was Diderot<lb/>
von den Perſonen der mittlern Gattung ſagt, die<lb/>
er die ernſthafte Komödie nennt, keine Schwierig-<lb/>
keit, und der Charakter ſeines Dorval wäre ſo<lb/>
tadelhaft nicht. Jſt es aber nicht wahr, ſo fällt<lb/>
auch dieſes von ſelbſt weg, und dem Charakter<lb/>
des natürlichen Sohnes kann aus einer ſo unge-<lb/>
gründeten Eintheilung keine Rechtfertigung zu-<lb/>
fließen.</p></div><lb/><fwplace="bottom"type="catch"><hirendition="#b">Ham-</hi></fw><lb/></body></text></TEI>
[288/0294]
des Dorval iſt kein komiſcher Charakter; er iſt
ein Charakter, wie ihn das ernſthafte Schau-
ſoiel erfodert; wie dieſes den Raum zwiſchen
Komödie und Tragödie füllen ſoll, ſo müſſen
auch die Charaktere deſſelben das Mittel zwi-
ſchen den komiſchen und tragiſchen Charakteren
halten; ſie brauchen nicht ſo allgemein zu ſeyn
als jene, wenn ſie nur nicht ſo völlig individuell
ſind, als dieſe; und ſolcher Art dürfte doch
wohl der Charakter des Dorval ſeyn.
Alſo wären wir glücklich wieder an dem Punk-
te, von welchem wir ausgiengen. Wir wollten
unterſuchen, ob es wahr ſey, daß die Tragödie
Jndividua, die Komödie aber Arten habe: das
iſt, ob es wahr ſey, daß die Perſonen der Ko-
mödie eine große Anzahl von Menſchen faſſen
und zugleich vorſtellen müßten; da hingegen der
Held der Tragödie nur der und der Menſch, nur
Regulus, oder Brutus, oder Cato ſey, und ſeyn
ſolle. Jſt es wahr, ſo hat auch das, was Diderot
von den Perſonen der mittlern Gattung ſagt, die
er die ernſthafte Komödie nennt, keine Schwierig-
keit, und der Charakter ſeines Dorval wäre ſo
tadelhaft nicht. Jſt es aber nicht wahr, ſo fällt
auch dieſes von ſelbſt weg, und dem Charakter
des natürlichen Sohnes kann aus einer ſo unge-
gründeten Eintheilung keine Rechtfertigung zu-
fließen.
Ham-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/294>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.