in Absicht des Wesentlichsten zu kurz zu fallen, welches ohnstreitig der Zweck ist. Auch werden nicht alle einheimische Vorfälle so merklicher und anstößiger Veränderungen bedürfen; und die deren bedürfen, ist man ja nicht verbunden zu bearbeiten. Aristoteles hat schon angemerkt, daß es gar wohl Begebenheiten geben kann und giebt, die sich vollkommen so eräugnet haben, als sie der Dichter braucht. Da dergleichen aber nur selten sind, so hat er auch schon ent- schieden, daß sich der Dichter um den wenigern Theil seiner Zuschauer, der von den wahren Umständen vielleicht unterrichtet ist, lieber nicht bekümmern, als seiner Pflicht minder Genüge leisten müsse.
Der Vortheil, den die einheimischen Sitten in der Komödie haben, beruhet auf der innigen Bekanntschaft, in der wir mit ihnen stehen. Der Dichter braucht sie uns nicht erst bekannt zu machen; er ist aller hierzu nöthigen Beschrei- bungen und Winke überhoben; er kann seine Personen sogleich nach ihren Sitten handeln las- sen, ohne uns diese Sitten selbst erst langweilig zu schildern. Einheimische Sitten also erleich- tern ihm die Arbeit, und befördern bey dem Zu- schauer die Jllusion.
Warum sollte nun der tragische Dichter sich dieses wichtigen doppelten Vortheils begeben? Auch er hat Ursache, sich die Arbeit so viel als
möglich
in Abſicht des Weſentlichſten zu kurz zu fallen, welches ohnſtreitig der Zweck iſt. Auch werden nicht alle einheimiſche Vorfälle ſo merklicher und anſtößiger Veränderungen bedürfen; und die deren bedürfen, iſt man ja nicht verbunden zu bearbeiten. Ariſtoteles hat ſchon angemerkt, daß es gar wohl Begebenheiten geben kann und giebt, die ſich vollkommen ſo eräugnet haben, als ſie der Dichter braucht. Da dergleichen aber nur ſelten ſind, ſo hat er auch ſchon ent- ſchieden, daß ſich der Dichter um den wenigern Theil ſeiner Zuſchauer, der von den wahren Umſtänden vielleicht unterrichtet iſt, lieber nicht bekümmern, als ſeiner Pflicht minder Genüge leiſten müſſe.
Der Vortheil, den die einheimiſchen Sitten in der Komödie haben, beruhet auf der innigen Bekanntſchaft, in der wir mit ihnen ſtehen. Der Dichter braucht ſie uns nicht erſt bekannt zu machen; er iſt aller hierzu nöthigen Beſchrei- bungen und Winke überhoben; er kann ſeine Perſonen ſogleich nach ihren Sitten handeln laſ- ſen, ohne uns dieſe Sitten ſelbſt erſt langweilig zu ſchildern. Einheimiſche Sitten alſo erleich- tern ihm die Arbeit, und befördern bey dem Zu- ſchauer die Jlluſion.
Warum ſollte nun der tragiſche Dichter ſich dieſes wichtigen doppelten Vortheils begeben? Auch er hat Urſache, ſich die Arbeit ſo viel als
möglich
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in Abſicht des Weſentlichſten zu kurz zu fallen,
welches ohnſtreitig der Zweck iſt. Auch werden
nicht alle einheimiſche Vorfälle ſo merklicher und
anſtößiger Veränderungen bedürfen; und die
deren bedürfen, iſt man ja nicht verbunden zu
bearbeiten. Ariſtoteles hat ſchon angemerkt,
daß es gar wohl Begebenheiten geben kann und
giebt, die ſich vollkommen ſo eräugnet haben,
als ſie der Dichter braucht. Da dergleichen
aber nur ſelten ſind, ſo hat er auch ſchon ent-
ſchieden, daß ſich der Dichter um den wenigern
Theil ſeiner Zuſchauer, der von den wahren
Umſtänden vielleicht unterrichtet iſt, lieber nicht
bekümmern, als ſeiner Pflicht minder Genüge
leiſten müſſe.
Der Vortheil, den die einheimiſchen Sitten
in der Komödie haben, beruhet auf der innigen
Bekanntſchaft, in der wir mit ihnen ſtehen.
Der Dichter braucht ſie uns nicht erſt bekannt
zu machen; er iſt aller hierzu nöthigen Beſchrei-
bungen und Winke überhoben; er kann ſeine
Perſonen ſogleich nach ihren Sitten handeln laſ-
ſen, ohne uns dieſe Sitten ſelbſt erſt langweilig
zu ſchildern. Einheimiſche Sitten alſo erleich-
tern ihm die Arbeit, und befördern bey dem Zu-
ſchauer die Jlluſion.
Warum ſollte nun der tragiſche Dichter ſich
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 354. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/360>, abgerufen am 18.12.2024.
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