Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

gends Handlung sehen, als wo die Körper so thätig
sind, daß sie eine gewisse Veränderung des Rau-
mes erfordern. Sie finden in keinem Trauerspiele
Handlung, als wo der Liebhaber zu Füssen fällt,
die Prinzessin ohnmächtig wird, die Helden sich
palgen; und in keiner Fabel, als wo der Fuchs
springt, der Wolf zerreisset, und der Frosch die
Maus sich an das Bein bindet. Es hat ihnen nie
beyfallen wollen, daß auch jeder innere Kampf von
Leidenschaften, jede Folge von verschiedenen Ge-
danken, wo eine die andere aufhebt, eine Handlung
sey; vielleicht weil sie viel zu mechanisch denken und
sühlen, als daß sie sich irgend einer Thätigkeit dabey
bewußt wären. -- Ernsthafter sie zu widerlegen,
würde eine unnütze Mühe seyn. Es ist aber nur
Schade, daß sie sich einigermassen mit dem Bat-
teux
schützen, wenigstens behaupten können, ihre
Erklärung mit ihm aus einerley Fabeln abstrahiret
zu haben. Denn wirklich, auf welche Fabel die Er-
klärung des Batteux passet, passet auch ihre, so
abgeschmackt sie immer ist.

Batteux,
K 2

gends Handlung ſehen, als wo die Körper ſo thätig
ſind, daß ſie eine gewiſſe Veränderung des Rau-
mes erfordern. Sie finden in keinem Trauerſpiele
Handlung, als wo der Liebhaber zu Füſſen fällt,
die Prinzeſſin ohnmächtig wird, die Helden ſich
palgen; und in keiner Fabel, als wo der Fuchs
ſpringt, der Wolf zerreiſſet, und der Froſch die
Maus ſich an das Bein bindet. Es hat ihnen nie
beyfallen wollen, daß auch jeder innere Kampf von
Leidenſchaften, jede Folge von verſchiedenen Ge-
danken, wo eine die andere aufhebt, eine Handlung
ſey; vielleicht weil ſie viel zu mechaniſch denken und
ſühlen, als daß ſie ſich irgend einer Thätigkeit dabey
bewußt wären. — Ernſthafter ſie zu widerlegen,
würde eine unnütze Mühe ſeyn. Es iſt aber nur
Schade, daß ſie ſich einigermaſſen mit dem Bat-
teux
ſchützen, wenigſtens behaupten können, ihre
Erklärung mit ihm aus einerley Fabeln abſtrahiret
zu haben. Denn wirklich, auf welche Fabel die Er-
klärung des Batteux paſſet, paſſet auch ihre, ſo
abgeſchmackt ſie immer iſt.

Batteux,
K 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0167" n="147"/>
gends Handlung &#x017F;ehen, als wo die Körper &#x017F;o thätig<lb/>
&#x017F;ind, daß &#x017F;ie eine gewi&#x017F;&#x017F;e Veränderung des Rau-<lb/>
mes erfordern. Sie finden in keinem Trauer&#x017F;piele<lb/>
Handlung, als wo der Liebhaber zu Fü&#x017F;&#x017F;en fällt,<lb/>
die Prinze&#x017F;&#x017F;in ohnmächtig wird, die Helden &#x017F;ich<lb/>
palgen; und in keiner Fabel, als wo der Fuchs<lb/><hi rendition="#fr">&#x017F;pringt</hi>, der Wolf <hi rendition="#fr">zerrei&#x017F;&#x017F;et</hi>, und der Fro&#x017F;ch die<lb/>
Maus &#x017F;ich an das Bein <hi rendition="#fr">bindet</hi>. Es hat ihnen nie<lb/>
beyfallen wollen, daß auch jeder innere Kampf von<lb/>
Leiden&#x017F;chaften, jede Folge von ver&#x017F;chiedenen Ge-<lb/>
danken, wo eine die andere aufhebt, eine Handlung<lb/>
&#x017F;ey; vielleicht weil &#x017F;ie viel zu mechani&#x017F;ch denken und<lb/>
&#x017F;ühlen, als daß &#x017F;ie &#x017F;ich irgend einer Thätigkeit dabey<lb/>
bewußt wären. &#x2014; Ern&#x017F;thafter &#x017F;ie zu widerlegen,<lb/>
würde eine unnütze Mühe &#x017F;eyn. Es i&#x017F;t aber nur<lb/>
Schade, daß &#x017F;ie &#x017F;ich einigerma&#x017F;&#x017F;en mit dem <hi rendition="#fr">Bat-<lb/>
teux</hi> &#x017F;chützen, wenig&#x017F;tens behaupten können, ihre<lb/>
Erklärung mit ihm aus einerley Fabeln ab&#x017F;trahiret<lb/>
zu haben. Denn wirklich, auf welche Fabel die Er-<lb/>
klärung des <hi rendition="#fr">Batteux</hi> pa&#x017F;&#x017F;et, pa&#x017F;&#x017F;et auch ihre, &#x017F;o<lb/>
abge&#x017F;chmackt &#x017F;ie immer i&#x017F;t.</p><lb/>
            <fw place="bottom" type="sig">K 2</fw>
            <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">Batteux</hi>,</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0167] gends Handlung ſehen, als wo die Körper ſo thätig ſind, daß ſie eine gewiſſe Veränderung des Rau- mes erfordern. Sie finden in keinem Trauerſpiele Handlung, als wo der Liebhaber zu Füſſen fällt, die Prinzeſſin ohnmächtig wird, die Helden ſich palgen; und in keiner Fabel, als wo der Fuchs ſpringt, der Wolf zerreiſſet, und der Froſch die Maus ſich an das Bein bindet. Es hat ihnen nie beyfallen wollen, daß auch jeder innere Kampf von Leidenſchaften, jede Folge von verſchiedenen Ge- danken, wo eine die andere aufhebt, eine Handlung ſey; vielleicht weil ſie viel zu mechaniſch denken und ſühlen, als daß ſie ſich irgend einer Thätigkeit dabey bewußt wären. — Ernſthafter ſie zu widerlegen, würde eine unnütze Mühe ſeyn. Es iſt aber nur Schade, daß ſie ſich einigermaſſen mit dem Bat- teux ſchützen, wenigſtens behaupten können, ihre Erklärung mit ihm aus einerley Fabeln abſtrahiret zu haben. Denn wirklich, auf welche Fabel die Er- klärung des Batteux paſſet, paſſet auch ihre, ſo abgeſchmackt ſie immer iſt. Batteux, K 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/167
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/167>, abgerufen am 21.11.2024.