alle Gattungen von Fabeln, die in seiner Einthei- lung nicht Platz haben, eben dadurch verdammen könnte! Und diesen Mißbrauch einer erschlichenen Autorität, nenne ich eben die kleine Tücke, deren sich Batteux in Ansehung des de la Motte hier schuldig gemacht hat.
Wolf* hat die Eintheilung des Aphthonius gleichfalls beybehalten, aber einen weit edlern Ge- brauch davon gemacht. Diese Eintheilung in ver- nünftige und sittliche Fabeln, meinet er, klinge zwar ein wenig sonderbar; denn man könnte sagen, daß eine jede Fabel sowohl eine vernünftige als eine sittliche Fabel wäre. Sittlich nehmlich sey eine jede Fabel in so fern, als sie einer sittliche Wahrheit zum Besten erfunden worden; und vernünftig in so fern, als diese sittliche Wahrheit der Vernunft gemäß ist. Doch da es einmal gewöhnlich sey, diesen Worten hier eine andere Bedeutung zu geben, so wolle er keine Neuerung machen. Aphthonius habe übrigens bey seiner Eintheilung die Absicht gehabt, die Verschiedenheit der Fabeln ganz zu erschöpfen, und mehr nach dieser Absicht, als nach den Worten,
deren
*Philosoph. practicae universalis Pars post. §. 303.
alle Gattungen von Fabeln, die in ſeiner Einthei- lung nicht Platz haben, eben dadurch verdammen könnte! Und dieſen Mißbrauch einer erſchlichenen Autorität, nenne ich eben die kleine Tücke, deren ſich Batteux in Anſehung des de la Motte hier ſchuldig gemacht hat.
Wolf* hat die Eintheilung des Aphthonius gleichfalls beybehalten, aber einen weit edlern Ge- brauch davon gemacht. Dieſe Eintheilung in ver- nünftige und ſittliche Fabeln, meinet er, klinge zwar ein wenig ſonderbar; denn man könnte ſagen, daß eine jede Fabel ſowohl eine vernünftige als eine ſittliche Fabel wäre. Sittlich nehmlich ſey eine jede Fabel in ſo fern, als ſie einer ſittliche Wahrheit zum Beſten erfunden worden; und vernünftig in ſo fern, als dieſe ſittliche Wahrheit der Vernunft gemäß iſt. Doch da es einmal gewöhnlich ſey, dieſen Worten hier eine andere Bedeutung zu geben, ſo wolle er keine Neuerung machen. Aphthonius habe übrigens bey ſeiner Eintheilung die Abſicht gehabt, die Verſchiedenheit der Fabeln ganz zu erſchöpfen, und mehr nach dieſer Abſicht, als nach den Worten,
deren
*Philoſoph. practicæ univerſalis Pars poſt. §. 303.
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alle Gattungen von Fabeln, die in ſeiner Einthei-
lung nicht Platz haben, eben dadurch verdammen
könnte! Und dieſen Mißbrauch einer erſchlichenen
Autorität, nenne ich eben die kleine Tücke, deren
ſich Batteux in Anſehung des de la Motte hier
ſchuldig gemacht hat.
Wolf * hat die Eintheilung des Aphthonius
gleichfalls beybehalten, aber einen weit edlern Ge-
brauch davon gemacht. Dieſe Eintheilung in ver-
nünftige und ſittliche Fabeln, meinet er, klinge
zwar ein wenig ſonderbar; denn man könnte ſagen,
daß eine jede Fabel ſowohl eine vernünftige als eine
ſittliche Fabel wäre. Sittlich nehmlich ſey eine
jede Fabel in ſo fern, als ſie einer ſittliche Wahrheit
zum Beſten erfunden worden; und vernünftig in
ſo fern, als dieſe ſittliche Wahrheit der Vernunft
gemäß iſt. Doch da es einmal gewöhnlich ſey, dieſen
Worten hier eine andere Bedeutung zu geben, ſo wolle
er keine Neuerung machen. Aphthonius habe
übrigens bey ſeiner Eintheilung die Abſicht gehabt,
die Verſchiedenheit der Fabeln ganz zu erſchöpfen,
und mehr nach dieſer Abſicht, als nach den Worten,
deren
* Philoſoph. practicæ univerſalis Pars poſt. §. 303.
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/216>, abgerufen am 16.02.2025.
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