Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite
X.
Die Esel.

Die Esel beklagten sich bey dem Zevs, daß die
Menschen mit ihnen zu grausam umgingen. Unser
starker Rücken, sagten sie, trägt ihre Lasten, un-
ter welchen sie und jedes schwächere Thier erliegen
müßten. Und doch wollen sie uns, durch unbarm-
herzige Schläge, zu einer Geschwindigkeit nöthigen,
die uns durch die Last unmöglich gemacht würde,
wenn sie uns auch die Natur nicht versagt hätte.
Verbiete ihnen, Zevs, so unbillig zu seyn, wenn
sich die Menschen anders etwas böses verbieten las-
sen. Wir wollen ihnen dienen, weil es scheinet,
daß du uns darzu erschaffen hast; allein geschlagen
wollen wir ohne Ursach nicht seyn.

Mein Geschöpf, antwortete Zevs ihrem Spre-
cher, die Bitte ist nicht ungerecht; aber ich sehe
keine Möglichkeit, die Menschen zu überzeugen,
daß eure natürliche Langsamkeit keine Faulheit sey.
Und so lange sie dieses glauben, werdet ihr geschla-

gen
X.
Die Eſel.

Die Eſel beklagten ſich bey dem Zevs, daß die
Menſchen mit ihnen zu grauſam umgingen. Unſer
ſtarker Rücken, ſagten ſie, trägt ihre Laſten, un-
ter welchen ſie und jedes ſchwächere Thier erliegen
müßten. Und doch wollen ſie uns, durch unbarm-
herzige Schläge, zu einer Geſchwindigkeit nöthigen,
die uns durch die Laſt unmöglich gemacht würde,
wenn ſie uns auch die Natur nicht verſagt hätte.
Verbiete ihnen, Zevs, ſo unbillig zu ſeyn, wenn
ſich die Menſchen anders etwas böſes verbieten laſ-
ſen. Wir wollen ihnen dienen, weil es ſcheinet,
daß du uns darzu erſchaffen haſt; allein geſchlagen
wollen wir ohne Urſach nicht ſeyn.

Mein Geſchöpf, antwortete Zevs ihrem Spre-
cher, die Bitte iſt nicht ungerecht; aber ich ſehe
keine Möglichkeit, die Menſchen zu überzeugen,
daß eure natürliche Langſamkeit keine Faulheit ſey.
Und ſo lange ſie dieſes glauben, werdet ihr geſchla-

gen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0067" n="47"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#aq">X.</hi><lb/> <hi rendition="#g">Die <hi rendition="#fr">E&#x017F;el.</hi></hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie E&#x017F;el beklagten &#x017F;ich bey dem Zevs, daß die<lb/>
Men&#x017F;chen mit ihnen zu grau&#x017F;am umgingen. Un&#x017F;er<lb/>
&#x017F;tarker Rücken, &#x017F;agten &#x017F;ie, trägt ihre La&#x017F;ten, un-<lb/>
ter welchen &#x017F;ie und jedes &#x017F;chwächere Thier erliegen<lb/>
müßten. Und doch wollen &#x017F;ie uns, durch unbarm-<lb/>
herzige Schläge, zu einer Ge&#x017F;chwindigkeit nöthigen,<lb/>
die uns durch die La&#x017F;t unmöglich gemacht würde,<lb/>
wenn &#x017F;ie uns auch die Natur nicht ver&#x017F;agt hätte.<lb/>
Verbiete ihnen, Zevs, &#x017F;o unbillig zu &#x017F;eyn, wenn<lb/>
&#x017F;ich die Men&#x017F;chen anders etwas bö&#x017F;es verbieten la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en. Wir wollen ihnen dienen, weil es &#x017F;cheinet,<lb/>
daß du uns darzu er&#x017F;chaffen ha&#x017F;t; allein ge&#x017F;chlagen<lb/>
wollen wir ohne Ur&#x017F;ach nicht &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p>Mein Ge&#x017F;chöpf, antwortete Zevs ihrem Spre-<lb/>
cher, die Bitte i&#x017F;t nicht ungerecht; aber ich &#x017F;ehe<lb/>
keine Möglichkeit, die Men&#x017F;chen zu überzeugen,<lb/>
daß eure natürliche Lang&#x017F;amkeit keine Faulheit &#x017F;ey.<lb/>
Und &#x017F;o lange &#x017F;ie die&#x017F;es glauben, werdet ihr ge&#x017F;chla-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">gen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0067] X. Die Eſel. Die Eſel beklagten ſich bey dem Zevs, daß die Menſchen mit ihnen zu grauſam umgingen. Unſer ſtarker Rücken, ſagten ſie, trägt ihre Laſten, un- ter welchen ſie und jedes ſchwächere Thier erliegen müßten. Und doch wollen ſie uns, durch unbarm- herzige Schläge, zu einer Geſchwindigkeit nöthigen, die uns durch die Laſt unmöglich gemacht würde, wenn ſie uns auch die Natur nicht verſagt hätte. Verbiete ihnen, Zevs, ſo unbillig zu ſeyn, wenn ſich die Menſchen anders etwas böſes verbieten laſ- ſen. Wir wollen ihnen dienen, weil es ſcheinet, daß du uns darzu erſchaffen haſt; allein geſchlagen wollen wir ohne Urſach nicht ſeyn. Mein Geſchöpf, antwortete Zevs ihrem Spre- cher, die Bitte iſt nicht ungerecht; aber ich ſehe keine Möglichkeit, die Menſchen zu überzeugen, daß eure natürliche Langſamkeit keine Faulheit ſey. Und ſo lange ſie dieſes glauben, werdet ihr geſchla- gen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/67
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/67>, abgerufen am 25.11.2024.