Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779.
Zu leben, ist mir ganz undenkbar; wär' Mein Tod, -- und wo wir immer nach dem Tode Noch sind, auch da mein Tod. -- Jst das nun Liebe: So -- liebt der Tempelritter freylich, -- liebt Der Christ das Judenmädchen freylich. -- Hm! Was thuts? -- Jch hab' in dem gelobten Lande, -- Und drum auch mir gelobt auf immerdar! -- Der Vorurtheile mehr schon abgelegt. -- Was will mein Orden auch? Jch Tempelherr Bin todt; war von dem Augenblick ihm todt, Der mich zu Saladins Gefangnen machte. Der Kopf, den Saladin mir schenkte, wär' Mein alter? -- Jst ein neuer; der von allem Nichts weiß, was jenem eingeplaudert ward, Was jenen band. -- Und ist ein bessrer; für Den väterlichen Himmel mehr gemacht. Das spür' ich ja. Denn erst mit ihm beginn' Jch so zu denken, wie mein Vater hier Gedacht muß haben; wenn man Mährchen nicht Von ihm mir vorgelogen. -- Mährchen? -- doch Ganz glaubliche; die glaublicher mir nie, Als itzt geschienen, da ich nur Gefahr Zu straucheln lauffe, wo er siel. -- Er fiel? Jch will mit Männern lieber fallen, als Mit Kindern stehn. -- Sein Beyspiel bürget mir Für seinen Beyfall. Und an wessen Beyfall Liegt mir denn sonst -- An Nathans? -- O an dessen Ermuntrung mehr, als Beyfall, kann es mir Noch weniger gebrechen. -- Welch ein Jude! -- Und der so ganz nur Jude scheinen will! Da
Zu leben, iſt mir ganz undenkbar; waͤr’ Mein Tod, — und wo wir immer nach dem Tode Noch ſind, auch da mein Tod. — Jſt das nun Liebe: So — liebt der Tempelritter freylich, — liebt Der Chriſt das Judenmaͤdchen freylich. — Hm! Was thuts? — Jch hab’ in dem gelobten Lande, — Und drum auch mir gelobt auf immerdar! — Der Vorurtheile mehr ſchon abgelegt. — Was will mein Orden auch? Jch Tempelherr Bin todt; war von dem Augenblick ihm todt, Der mich zu Saladins Gefangnen machte. Der Kopf, den Saladin mir ſchenkte, waͤr’ Mein alter? — Jſt ein neuer; der von allem Nichts weiß, was jenem eingeplaudert ward, Was jenen band. — Und iſt ein beſſrer; fuͤr Den vaͤterlichen Himmel mehr gemacht. Das ſpuͤr’ ich ja. Denn erſt mit ihm beginn’ Jch ſo zu denken, wie mein Vater hier Gedacht muß haben; wenn man Maͤhrchen nicht Von ihm mir vorgelogen. — Maͤhrchen? — doch Ganz glaubliche; die glaublicher mir nie, Als itzt geſchienen, da ich nur Gefahr Zu ſtraucheln lauffe, wo er ſiel. — Er fiel? Jch will mit Maͤnnern lieber fallen, als Mit Kindern ſtehn. — Sein Beyſpiel buͤrget mir Fuͤr ſeinen Beyfall. Und an weſſen Beyfall Liegt mir denn ſonſt — An Nathans? — O an deſſen Ermuntrung mehr, als Beyfall, kann es mir Noch weniger gebrechen. — Welch ein Jude! — Und der ſo ganz nur Jude ſcheinen will! Da
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Zu leben, iſt mir ganz undenkbar; waͤr’
Mein Tod, — und wo wir immer nach dem Tode
Noch ſind, auch da mein Tod. — Jſt das nun Liebe:
So — liebt der Tempelritter freylich, — liebt
Der Chriſt das Judenmaͤdchen freylich. — Hm!
Was thuts? — Jch hab’ in dem gelobten Lande, —
Und drum auch mir gelobt auf immerdar! —
Der Vorurtheile mehr ſchon abgelegt. —
Was will mein Orden auch? Jch Tempelherr
Bin todt; war von dem Augenblick ihm todt,
Der mich zu Saladins Gefangnen machte.
Der Kopf, den Saladin mir ſchenkte, waͤr’
Mein alter? — Jſt ein neuer; der von allem
Nichts weiß, was jenem eingeplaudert ward,
Was jenen band. — Und iſt ein beſſrer; fuͤr
Den vaͤterlichen Himmel mehr gemacht.
Das ſpuͤr’ ich ja. Denn erſt mit ihm beginn’
Jch ſo zu denken, wie mein Vater hier
Gedacht muß haben; wenn man Maͤhrchen nicht
Von ihm mir vorgelogen. — Maͤhrchen? — doch
Ganz glaubliche; die glaublicher mir nie,
Als itzt geſchienen, da ich nur Gefahr
Zu ſtraucheln lauffe, wo er ſiel. — Er fiel?
Jch will mit Maͤnnern lieber fallen, als
Mit Kindern ſtehn. — Sein Beyſpiel buͤrget mir
Fuͤr ſeinen Beyfall. Und an weſſen Beyfall
Liegt mir denn ſonſt — An Nathans? — O an deſſen
Ermuntrung mehr, als Beyfall, kann es mir
Noch weniger gebrechen. — Welch ein Jude! —
Und der ſo ganz nur Jude ſcheinen will!
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