Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779. Saladin. Ha! mein Bruder! Das ist er, ist er! -- War er! war er! ah! -- Ah wackrer lieber Junge, daß ich dich So früh verlor! Was hätt' ich erst mit dir, An deiner Seit' erst unternommen! -- Sittah, Laß mir das Bild. Auch kenn' ichs schon: er gab Es deiner ältern Schwester, seiner Lilla, Die eines Morgens ihn so ganz und gar Nicht aus den Armen lassen wollt'. Es war Der letzte, den er ausritt. -- Ah, ich ließ Jhn reiten, und allein! -- Ah, Lilla starb Vor Gram, und hat mirs nie vergeben, daß Jch so allein ihn reiten lassen. -- Er Blieb weg! Sittah. Der arme Bruder! Saladin.
Laß nur gut Seyn! -- Einmal bleiben wir doch alle weg! -- Zudem, -- wer weiß? Der Tod ists nicht allein, Der einem Jüngling seiner Art das Ziel Verrückt. Er hat der Feinde mehr; und oft Erliegt der Stärkste gleich dem Schwächsten. -- Nun, Sey wie ihm sey! -- Jch muß das Bild doch mit Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muß Doch sehn, wie viel mich meine Phantasie Getäuscht. Sittah.
Saladin. Ha! mein Bruder! Das iſt er, iſt er! — War er! war er! ah! — Ah wackrer lieber Junge, daß ich dich So fruͤh verlor! Was haͤtt’ ich erſt mit dir, An deiner Seit’ erſt unternommen! — Sittah, Laß mir das Bild. Auch kenn’ ichs ſchon: er gab Es deiner aͤltern Schweſter, ſeiner Lilla, Die eines Morgens ihn ſo ganz und gar Nicht aus den Armen laſſen wollt’. Es war Der letzte, den er ausritt. — Ah, ich ließ Jhn reiten, und allein! — Ah, Lilla ſtarb Vor Gram, und hat mirs nie vergeben, daß Jch ſo allein ihn reiten laſſen. — Er Blieb weg! Sittah. Der arme Bruder! Saladin.
Laß nur gut Seyn! — Einmal bleiben wir doch alle weg! — Zudem, — wer weiß? Der Tod iſts nicht allein, Der einem Juͤngling ſeiner Art das Ziel Verruͤckt. Er hat der Feinde mehr; und oft Erliegt der Staͤrkſte gleich dem Schwaͤchſten. — Nun, Sey wie ihm ſey! — Jch muß das Bild doch mit Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muß Doch ſehn, wie viel mich meine Phantaſie Getaͤuſcht. Sittah.
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Saladin.
Ha! mein Bruder!
Das iſt er, iſt er! — War er! war er! ah! —
Ah wackrer lieber Junge, daß ich dich
So fruͤh verlor! Was haͤtt’ ich erſt mit dir,
An deiner Seit’ erſt unternommen! — Sittah,
Laß mir das Bild. Auch kenn’ ichs ſchon: er gab
Es deiner aͤltern Schweſter, ſeiner Lilla,
Die eines Morgens ihn ſo ganz und gar
Nicht aus den Armen laſſen wollt’. Es war
Der letzte, den er ausritt. — Ah, ich ließ
Jhn reiten, und allein! — Ah, Lilla ſtarb
Vor Gram, und hat mirs nie vergeben, daß
Jch ſo allein ihn reiten laſſen. — Er
Blieb weg!
Sittah.
Der arme Bruder!
Saladin.
Laß nur gut
Seyn! — Einmal bleiben wir doch alle weg! —
Zudem, — wer weiß? Der Tod iſts nicht allein,
Der einem Juͤngling ſeiner Art das Ziel
Verruͤckt. Er hat der Feinde mehr; und oft
Erliegt der Staͤrkſte gleich dem Schwaͤchſten. — Nun,
Sey wie ihm ſey! — Jch muß das Bild doch mit
Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muß
Doch ſehn, wie viel mich meine Phantaſie
Getaͤuſcht.
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