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Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779.

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Da bin ich itzt, Herr Nathan; und verlange
Des Tags wohl hundertmal auf Thabor. Denn
Der Patriarch braucht mich zu allerley,
Wovor ich großen Eckel habe. Zum
Exempel:
Nathan.
Macht, ich bitt' Euch!
Klosterbruder.
Nun, es kömmt! --
Da hat ihm jemand heut' ins Ohr gesetzt:
Es lebe hier herum ein Jude, der
Ein Christenkind als seine Tochter sich
Erzöge.
Nathan.
Wie? (betroffen)
Klosterbruder.
Hört mich nur aus! -- Jndem
Er mir nun aufträgt, diesem Juden straks,
Wo möglich, auf die Spur zu kommen, und
Gewaltig sich ob eines solchen Frevels
Erzürnt, der ihm die wahre Sünde wider
Den heil'gen Geist bedünkt; -- das ist, die Sünde,
Die aller Sünden größte Sünd' uns gilt,
Nur daß wir, Gott sey Dank, so recht nicht wissen,
Worinn sie eigentlich besteht: -- da wacht
Mit einmal mein Gewissen auf; und mir
Fällt bey, ich könnte selber wohl vor Zeiten
Zu dieser unverzeihlig großen Sünde
Gele-
Da bin ich itzt, Herr Nathan; und verlange
Des Tags wohl hundertmal auf Thabor. Denn
Der Patriarch braucht mich zu allerley,
Wovor ich großen Eckel habe. Zum
Exempel:
Nathan.
Macht, ich bitt’ Euch!
Kloſterbruder.
Nun, es koͤmmt! —
Da hat ihm jemand heut’ ins Ohr geſetzt:
Es lebe hier herum ein Jude, der
Ein Chriſtenkind als ſeine Tochter ſich
Erzoͤge.
Nathan.
Wie? (betroffen)
Kloſterbruder.
Hoͤrt mich nur aus! — Jndem
Er mir nun auftraͤgt, dieſem Juden ſtraks,
Wo moͤglich, auf die Spur zu kommen, und
Gewaltig ſich ob eines ſolchen Frevels
Erzuͤrnt, der ihm die wahre Suͤnde wider
Den heil’gen Geiſt beduͤnkt; — das iſt, die Suͤnde,
Die aller Suͤnden groͤßte Suͤnd’ uns gilt,
Nur daß wir, Gott ſey Dank, ſo recht nicht wiſſen,
Worinn ſie eigentlich beſteht: — da wacht
Mit einmal mein Gewiſſen auf; und mir
Faͤllt bey, ich koͤnnte ſelber wohl vor Zeiten
Zu dieſer unverzeihlig großen Suͤnde
Gele-
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[182/0190] Da bin ich itzt, Herr Nathan; und verlange Des Tags wohl hundertmal auf Thabor. Denn Der Patriarch braucht mich zu allerley, Wovor ich großen Eckel habe. Zum Exempel: Nathan. Macht, ich bitt’ Euch! Kloſterbruder. Nun, es koͤmmt! — Da hat ihm jemand heut’ ins Ohr geſetzt: Es lebe hier herum ein Jude, der Ein Chriſtenkind als ſeine Tochter ſich Erzoͤge. Nathan. Wie? (betroffen) Kloſterbruder. Hoͤrt mich nur aus! — Jndem Er mir nun auftraͤgt, dieſem Juden ſtraks, Wo moͤglich, auf die Spur zu kommen, und Gewaltig ſich ob eines ſolchen Frevels Erzuͤrnt, der ihm die wahre Suͤnde wider Den heil’gen Geiſt beduͤnkt; — das iſt, die Suͤnde, Die aller Suͤnden groͤßte Suͤnd’ uns gilt, Nur daß wir, Gott ſey Dank, ſo recht nicht wiſſen, Worinn ſie eigentlich beſteht: — da wacht Mit einmal mein Gewiſſen auf; und mir Faͤllt bey, ich koͤnnte ſelber wohl vor Zeiten Zu dieſer unverzeihlig großen Suͤnde Gele-

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/190>, abgerufen am 21.11.2024.