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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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von 1210 bis 1211.
brustirern oben hinauf, erlegten viele auf der Mauer mit Pfeilen und Lanzen, ver-1210
wundeten auch eine grosse Menge, und der hitzige Streit dauerte fünf Tage. Die
Esthen bemüheten sich, die oberste Holzschichte zu verbrennen, und wurfen häufi-
ges Feuer aus dem Schlosse, in gewissen Gefässen *). Allein die Liven und Let-
ten
schmissen Eis und Schnee darüber, und löschten es. Der Ordensbruder Ar-
nold
arbeitete auch Tag und Nacht dabey, ward aber endlich von einem grossen
Steine getroffen, und gelangte zur Gemeinschaft der Märtyrer. Das war ein sehr
gottesfürchtiger Mann, der beständig im Gebet lag, und was er betete, hat er, wie
wir hoffen, auch gefunden. Die Deutschen machten eine Maschine fertig, und
warfen die Vestungswerker durch stetiges Steinwerfen nieder, tödteten auch im
Schlosse viele Menschen und Vieh, indem die Esthen dergleichen nie gesehen, und
ihre Häuser gegen dergleichen Stürme nicht verwahret hatten. Die Liven und
Letten erhöheten den Holzhaufen noch mit truckenem Holze bis an die Planken a) Eylard von Dolen stieg darauf. Die Deutschen folgten ihm im Gewehr nach,
rissen die Planken von einander, fanden aber von innen eine andre Verschanzung,
die sie nicht erbrechen konten. Die im Schlosse traten darauf, trieben die Deut-
schen
durch Stein- und Holzwerfen ab, welche endlich im Abzuge Feuer anleg-
ten und das Schloß ansteckten. Die Esthen brachen die glühenden Planken und
das angezündete Holzwerk der Vestung ab, rissen es aus einander. Wie die
Feuersbrunst zu Ende war, setzten sie des Morgends alles wieder an die vorige
Stelle und ermunterten sich wieder das übrige zu vertheidigen. Es waren aber in
dem Schlosse viel todte Körper, und Mangel an Wasser, dabey fast alle so ver-
wundet, daß sie in letzten Zügen lagen. Des sechsten Tages sprachen die Deut-
schen:
Wehret ihr euch noch und erkennet unsern Schöpfer nicht? Sie versetzten
hierauf: Wir erfahren nun, daß euer GOtt mächtiger ist als unsere Götzen, der
uns überwunden und unser Herz zu seinem Dienste geneiget hat. Daher bitten wir
daß ihr unser schonet, und uns das Joch des Christenthums, so wie den Liven
und Letten, barmherzig aufleget. Hierauf riefen die Deutschen die Aeltesten
aus dem Schlosse heraus, hielten ihnen alle Pflichten des Christenthums vor, und
versprachen Friede zu einer brüderlichen Liebe. Diese verliessen sich ganz sicher auf
den Frieden, freueten sich, versprachen mit den Liven und Letten zu gleicher
Zeit und nach gleicher Verbindlichkeit das Sacrament der Taufe anzunehmen. Da-
her stelten sie Geisseln von sich, bestätigten den Frieden, und nahmen Priester ins
Schloß, die alle Häuser, das Schloß, Männer und Weiber samt dem ganzen
Volk mit Weihwasser besprengten, sie einigermassen einweiheten, und erst catechi-
sirten b), indem sie wegen des vielen Blutvergiessens das Sacrament der Taufe auf-
schoben. Wie dis bestellet war, kehrte die Armee zurück nach Liefland, und alle
preiseten GOtt für der Heiden Bekehrung. Nachgehends in dem Osterfeste er-
fuhren die Kaufleute alle Anschläge der Esthen und anderer Heiden in der Nach-
barschaft, was massen sie vor Ankunft des Bischofs und der Fremdlinge Liefland
und die Stadt Riga zu zerstören gedachten und versparten ihre Reise nach Goth-
land,
liessen ihren Handel und Gewerbe liegen, und blieben mit allen Schiffen
da, bis die Pilger anlangten. Jnzwischen sandte man Abgeordnete nach Esthland
um zu sehen, was die Heiden da vorhätten. Diese meldeten bey ihrer Zurück-
kunft Krieg, brachten den (kurz vorher gemachten) Frieden wieder mit sich zurück,
und entdeckten die Anschläge der Ungläubigen und Treulosen. Und gleich stand
auf Caupo und Bertold von Wenden mit seinen Mitbrüdern, und des Bi-
schofs Diener, zogen in die benachbarte Provinz, Saccala, steckten alle Dörfer
in Brand, zu denen sie kommen konten, machten alle Männer nieder, führten die
Weiber gefangen mit sich weg, und wandten sich wieder nach Liefland. Die

von
*) [So ist wol das lateinische, igne copioso in vehiculis misso, am füglichsten zu übersetzen; indem sich
von Wagen hier nichts denken lässet; vehiculum aber gar oft, besonders bey den Aerzten, für etwas
genommen wird, das man wozu braucht.]
Y

von 1210 bis 1211.
bruſtirern oben hinauf, erlegten viele auf der Mauer mit Pfeilen und Lanzen, ver-1210
wundeten auch eine groſſe Menge, und der hitzige Streit dauerte fuͤnf Tage. Die
Eſthen bemuͤheten ſich, die oberſte Holzſchichte zu verbrennen, und wurfen haͤufi-
ges Feuer aus dem Schloſſe, in gewiſſen Gefaͤſſen *). Allein die Liven und Let-
ten
ſchmiſſen Eis und Schnee daruͤber, und loͤſchten es. Der Ordensbruder Ar-
nold
arbeitete auch Tag und Nacht dabey, ward aber endlich von einem groſſen
Steine getroffen, und gelangte zur Gemeinſchaft der Maͤrtyrer. Das war ein ſehr
gottesfuͤrchtiger Mann, der beſtaͤndig im Gebet lag, und was er betete, hat er, wie
wir hoffen, auch gefunden. Die Deutſchen machten eine Maſchine fertig, und
warfen die Veſtungswerker durch ſtetiges Steinwerfen nieder, toͤdteten auch im
Schloſſe viele Menſchen und Vieh, indem die Eſthen dergleichen nie geſehen, und
ihre Haͤuſer gegen dergleichen Stuͤrme nicht verwahret hatten. Die Liven und
Letten erhoͤheten den Holzhaufen noch mit truckenem Holze bis an die Planken a) Eylard von Dolen ſtieg darauf. Die Deutſchen folgten ihm im Gewehr nach,
riſſen die Planken von einander, fanden aber von innen eine andre Verſchanzung,
die ſie nicht erbrechen konten. Die im Schloſſe traten darauf, trieben die Deut-
ſchen
durch Stein- und Holzwerfen ab, welche endlich im Abzuge Feuer anleg-
ten und das Schloß anſteckten. Die Eſthen brachen die gluͤhenden Planken und
das angezuͤndete Holzwerk der Veſtung ab, riſſen es aus einander. Wie die
Feuersbrunſt zu Ende war, ſetzten ſie des Morgends alles wieder an die vorige
Stelle und ermunterten ſich wieder das uͤbrige zu vertheidigen. Es waren aber in
dem Schloſſe viel todte Koͤrper, und Mangel an Waſſer, dabey faſt alle ſo ver-
wundet, daß ſie in letzten Zuͤgen lagen. Des ſechſten Tages ſprachen die Deut-
ſchen:
Wehret ihr euch noch und erkennet unſern Schoͤpfer nicht? Sie verſetzten
hierauf: Wir erfahren nun, daß euer GOtt maͤchtiger iſt als unſere Goͤtzen, der
uns uͤberwunden und unſer Herz zu ſeinem Dienſte geneiget hat. Daher bitten wir
daß ihr unſer ſchonet, und uns das Joch des Chriſtenthums, ſo wie den Liven
und Letten, barmherzig aufleget. Hierauf riefen die Deutſchen die Aelteſten
aus dem Schloſſe heraus, hielten ihnen alle Pflichten des Chriſtenthums vor, und
verſprachen Friede zu einer bruͤderlichen Liebe. Dieſe verlieſſen ſich ganz ſicher auf
den Frieden, freueten ſich, verſprachen mit den Liven und Letten zu gleicher
Zeit und nach gleicher Verbindlichkeit das Sacrament der Taufe anzunehmen. Da-
her ſtelten ſie Geiſſeln von ſich, beſtaͤtigten den Frieden, und nahmen Prieſter ins
Schloß, die alle Haͤuſer, das Schloß, Maͤnner und Weiber ſamt dem ganzen
Volk mit Weihwaſſer beſprengten, ſie einigermaſſen einweiheten, und erſt catechi-
ſirten b), indem ſie wegen des vielen Blutvergieſſens das Sacrament der Taufe auf-
ſchoben. Wie dis beſtellet war, kehrte die Armee zuruͤck nach Liefland, und alle
preiſeten GOtt fuͤr der Heiden Bekehrung. Nachgehends in dem Oſterfeſte er-
fuhren die Kaufleute alle Anſchlaͤge der Eſthen und anderer Heiden in der Nach-
barſchaft, was maſſen ſie vor Ankunft des Biſchofs und der Fremdlinge Liefland
und die Stadt Riga zu zerſtoͤren gedachten und verſparten ihre Reiſe nach Goth-
land,
lieſſen ihren Handel und Gewerbe liegen, und blieben mit allen Schiffen
da, bis die Pilger anlangten. Jnzwiſchen ſandte man Abgeordnete nach Eſthland
um zu ſehen, was die Heiden da vorhaͤtten. Dieſe meldeten bey ihrer Zuruͤck-
kunft Krieg, brachten den (kurz vorher gemachten) Frieden wieder mit ſich zuruͤck,
und entdeckten die Anſchlaͤge der Unglaͤubigen und Treuloſen. Und gleich ſtand
auf Caupo und Bertold von Wenden mit ſeinen Mitbruͤdern, und des Bi-
ſchofs Diener, zogen in die benachbarte Provinz, Saccala, ſteckten alle Doͤrfer
in Brand, zu denen ſie kommen konten, machten alle Maͤnner nieder, fuͤhrten die
Weiber gefangen mit ſich weg, und wandten ſich wieder nach Liefland. Die

von
*) [So iſt wol das lateiniſche, igne copioſo in vehiculis miſſo, am fuͤglichſten zu uͤberſetzen; indem ſich
von Wagen hier nichts denken laͤſſet; vehiculum aber gar oft, beſonders bey den Aerzten, fuͤr etwas
genommen wird, das man wozu braucht.]
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[85/0117] von 1210 bis 1211. bruſtirern oben hinauf, erlegten viele auf der Mauer mit Pfeilen und Lanzen, ver- wundeten auch eine groſſe Menge, und der hitzige Streit dauerte fuͤnf Tage. Die Eſthen bemuͤheten ſich, die oberſte Holzſchichte zu verbrennen, und wurfen haͤufi- ges Feuer aus dem Schloſſe, in gewiſſen Gefaͤſſen *). Allein die Liven und Let- ten ſchmiſſen Eis und Schnee daruͤber, und loͤſchten es. Der Ordensbruder Ar- nold arbeitete auch Tag und Nacht dabey, ward aber endlich von einem groſſen Steine getroffen, und gelangte zur Gemeinſchaft der Maͤrtyrer. Das war ein ſehr gottesfuͤrchtiger Mann, der beſtaͤndig im Gebet lag, und was er betete, hat er, wie wir hoffen, auch gefunden. Die Deutſchen machten eine Maſchine fertig, und warfen die Veſtungswerker durch ſtetiges Steinwerfen nieder, toͤdteten auch im Schloſſe viele Menſchen und Vieh, indem die Eſthen dergleichen nie geſehen, und ihre Haͤuſer gegen dergleichen Stuͤrme nicht verwahret hatten. Die Liven und Letten erhoͤheten den Holzhaufen noch mit truckenem Holze bis an die Planken a⁾ Eylard von Dolen ſtieg darauf. Die Deutſchen folgten ihm im Gewehr nach, riſſen die Planken von einander, fanden aber von innen eine andre Verſchanzung, die ſie nicht erbrechen konten. Die im Schloſſe traten darauf, trieben die Deut- ſchen durch Stein- und Holzwerfen ab, welche endlich im Abzuge Feuer anleg- ten und das Schloß anſteckten. Die Eſthen brachen die gluͤhenden Planken und das angezuͤndete Holzwerk der Veſtung ab, riſſen es aus einander. Wie die Feuersbrunſt zu Ende war, ſetzten ſie des Morgends alles wieder an die vorige Stelle und ermunterten ſich wieder das uͤbrige zu vertheidigen. Es waren aber in dem Schloſſe viel todte Koͤrper, und Mangel an Waſſer, dabey faſt alle ſo ver- wundet, daß ſie in letzten Zuͤgen lagen. Des ſechſten Tages ſprachen die Deut- ſchen: Wehret ihr euch noch und erkennet unſern Schoͤpfer nicht? Sie verſetzten hierauf: Wir erfahren nun, daß euer GOtt maͤchtiger iſt als unſere Goͤtzen, der uns uͤberwunden und unſer Herz zu ſeinem Dienſte geneiget hat. Daher bitten wir daß ihr unſer ſchonet, und uns das Joch des Chriſtenthums, ſo wie den Liven und Letten, barmherzig aufleget. Hierauf riefen die Deutſchen die Aelteſten aus dem Schloſſe heraus, hielten ihnen alle Pflichten des Chriſtenthums vor, und verſprachen Friede zu einer bruͤderlichen Liebe. Dieſe verlieſſen ſich ganz ſicher auf den Frieden, freueten ſich, verſprachen mit den Liven und Letten zu gleicher Zeit und nach gleicher Verbindlichkeit das Sacrament der Taufe anzunehmen. Da- her ſtelten ſie Geiſſeln von ſich, beſtaͤtigten den Frieden, und nahmen Prieſter ins Schloß, die alle Haͤuſer, das Schloß, Maͤnner und Weiber ſamt dem ganzen Volk mit Weihwaſſer beſprengten, ſie einigermaſſen einweiheten, und erſt catechi- ſirten b⁾ , indem ſie wegen des vielen Blutvergieſſens das Sacrament der Taufe auf- ſchoben. Wie dis beſtellet war, kehrte die Armee zuruͤck nach Liefland, und alle preiſeten GOtt fuͤr der Heiden Bekehrung. Nachgehends in dem Oſterfeſte er- fuhren die Kaufleute alle Anſchlaͤge der Eſthen und anderer Heiden in der Nach- barſchaft, was maſſen ſie vor Ankunft des Biſchofs und der Fremdlinge Liefland und die Stadt Riga zu zerſtoͤren gedachten und verſparten ihre Reiſe nach Goth- land, lieſſen ihren Handel und Gewerbe liegen, und blieben mit allen Schiffen da, bis die Pilger anlangten. Jnzwiſchen ſandte man Abgeordnete nach Eſthland um zu ſehen, was die Heiden da vorhaͤtten. Dieſe meldeten bey ihrer Zuruͤck- kunft Krieg, brachten den (kurz vorher gemachten) Frieden wieder mit ſich zuruͤck, und entdeckten die Anſchlaͤge der Unglaͤubigen und Treuloſen. Und gleich ſtand auf Caupo und Bertold von Wenden mit ſeinen Mitbruͤdern, und des Bi- ſchofs Diener, zogen in die benachbarte Provinz, Saccala, ſteckten alle Doͤrfer in Brand, zu denen ſie kommen konten, machten alle Maͤnner nieder, fuͤhrten die Weiber gefangen mit ſich weg, und wandten ſich wieder nach Liefland. Die von 1210 *) [So iſt wol das lateiniſche, igne copioſo in vehiculis miſſo, am fuͤglichſten zu uͤberſetzen; indem ſich von Wagen hier nichts denken laͤſſet; vehiculum aber gar oft, beſonders bey den Aerzten, fuͤr etwas genommen wird, das man wozu braucht.] Y

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/117>, abgerufen am 21.11.2024.