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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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Geschichte des dritten Bischof Alberts, sechszehntes Jahr,
1213Hand gegangen. Sie liessen ihn daher einige mal fordern und zur Rechenschaft
anhalten; Er machte sich aber nichts daraus, erschien nicht, und schickte auch kei-
nen, der seine Entschuldigung vorbrächte *). Hierauf fragten diese erst um des
Bischofs Genehmhältung, kamen hernach mit ihren Knechten und den Letten zu-
sammen, und marschirten mit allen ihren Leuten neben der Dune hinauf. Da sie
nun im Anzuge gegen das Schloß Gercike begriffen waren, nahmen sie einen
Russen veste, den sie bunden, und des Nachts mit sich nach dem Schlosse schlep-
ten. Derselbe stieg auch, wie ihm befohlen war, zuerst auf den Wall, sprach mit
dem Wächter, und die andern folgten einzeln nach. Der Wächter dachte, es kä-
men seine Landsleute, die ausgewesen waren. Sie kletterten also Mann für Mann
auf, bis endlich alle die Spitze der Vestung erreichet hatten. Und wie sie alle bey-
sammen waren, schlossen sie die Vestung rund umher ein, und liessen keine Rus-
sen
aus dem Schlosse, bis sie das Tageslicht sähen. Bey anbrechendem Tage stie-
gen sie hinab ins Schloß, raubten alles, was da war, fingen viele auf, und liessen
die andern gutwillig entwischen. Sie brachten also viele Beute weg, liessen das
Schloß ledig stehen, begaben sich nach ihrem Eigenthum, und theilten alles unter
sich, was sie mit sich genommen.

§. 5.

Drey Jahr waren nun um, und der Stilstand mit den Esthen lief zu Ende.
Der Bischof ließ also alle Priester zusammen kommen, hielt Kapitel und berath-
schlagte sich mit ihnen, wie auch mit den Rittern und versamleten Ländesältesten,
wegen einer Unternehmung auf Esthland, weil die Esthen nicht kämen, und
um Erneuerung des Friedens ansuchten, sondern vielmehr die Zerstörung der Lief-
ländischen
Kirche gerne sähen. Hierauf sandte der Bischof an alle Schlösser der
Letten und Liven, und brachte von allen Grenzen der Dune und Goiwe eine
grosse und starke Armee auf die Beine. Es waren auch in Riga viele Pilger
und Kaufleute, die alle mit dem Ordensmeister und seinen Brüdern freudig zu Fel-
de gingen. Den Sammelplatz der Armee bestimten sie in Goiwemunde. Der
Bischof kam auch mit ihnen dahin, und einige Liven wolten mit der Armee in Cur-
land
einrücken. Die Zeit aber war noch nicht da, da sich GOtt über dieses Volk
erbarmen wolte. Nachdem der Bischof den Segen gesprochen, kehrte er wieder
nach Riga. Die Armee aber marschirte nach Saletsa, und kam in die Provinz,
die Sontagana heisset. Die Deutschen dachten hierbey an ihre Worte und
an den Frieden, den sie vormals den Einwohnern der Provinz gegeben hatten, und
zogen also ganz geruhig durch dieses Land, thaten nirgends Schaden, jagten die
Menschen nicht aus ihren Häusern, holten die Flüchtigen auch nicht ein, sondern
marschirten in aller Stille durch, bis sie andere Provinzen betraten, die niemals
sonderliche Lust gehabt, mit den Rigischen Friede zu machen, sondern in dem
Wahn stunden, die Rigischen könten an ihre so weit abgelegenen Provinzen nicht
gelangen. Es waren von den Unsrigen ungefähr dreytausend Deutsche, und
von Liven und Letten eben so viel. Sie gingen alsdenn übers Eis, Sa-
letsa
vorbey, bis sie dahin gelangten, wohin sie gedachten, nemlich in Rotalien.
Wie sie dahin kamen, zertheilten sie ihre Truppen auf alle Strassen und Dörfer,
trafen auch alle Männer, Weiber und Kinder und jederman, vom grösten bis zum
kleinsten, in ihren Dorfschaften an, weil sie durch keinen Lerm vor ihrem Anzuge
gewarnet worden. Dieselben schlugen sie in ihrem Zorn, und stiessen alle Män-
ner nieder. Die Liven aber sowol, als die Letten, weil sie grausamer sind als
alle andere Nationen, wusten nicht recht, wie dort der Knecht im Evangelio, sich
über ihren Mitknecht zu erbarmen, und brachten ein unsäglich Volk um, tödteten

auch
*) Responsalis ein Gesandter, oder abgeschickter Gevolmächtigter, der seines Principalen Aussenbleiben
zu entschuldigen und Rechenschaft davon zu geben hat. Das Glossarium Freheri, so dem ersten
Theile der Scriptor. German. angehänget worden, erkläret es unrichtig durch ein Beantwortungs-
schreiben.

Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, ſechszehntes Jahr,
1213Hand gegangen. Sie lieſſen ihn daher einige mal fordern und zur Rechenſchaft
anhalten; Er machte ſich aber nichts daraus, erſchien nicht, und ſchickte auch kei-
nen, der ſeine Entſchuldigung vorbraͤchte *). Hierauf fragten dieſe erſt um des
Biſchofs Genehmhaͤltung, kamen hernach mit ihren Knechten und den Letten zu-
ſammen, und marſchirten mit allen ihren Leuten neben der Dune hinauf. Da ſie
nun im Anzuge gegen das Schloß Gercike begriffen waren, nahmen ſie einen
Ruſſen veſte, den ſie bunden, und des Nachts mit ſich nach dem Schloſſe ſchlep-
ten. Derſelbe ſtieg auch, wie ihm befohlen war, zuerſt auf den Wall, ſprach mit
dem Waͤchter, und die andern folgten einzeln nach. Der Waͤchter dachte, es kaͤ-
men ſeine Landsleute, die ausgeweſen waren. Sie kletterten alſo Mann fuͤr Mann
auf, bis endlich alle die Spitze der Veſtung erreichet hatten. Und wie ſie alle bey-
ſammen waren, ſchloſſen ſie die Veſtung rund umher ein, und lieſſen keine Ruſ-
ſen
aus dem Schloſſe, bis ſie das Tageslicht ſaͤhen. Bey anbrechendem Tage ſtie-
gen ſie hinab ins Schloß, raubten alles, was da war, fingen viele auf, und lieſſen
die andern gutwillig entwiſchen. Sie brachten alſo viele Beute weg, lieſſen das
Schloß ledig ſtehen, begaben ſich nach ihrem Eigenthum, und theilten alles unter
ſich, was ſie mit ſich genommen.

§. 5.

Drey Jahr waren nun um, und der Stilſtand mit den Eſthen lief zu Ende.
Der Biſchof ließ alſo alle Prieſter zuſammen kommen, hielt Kapitel und berath-
ſchlagte ſich mit ihnen, wie auch mit den Rittern und verſamleten Laͤndesaͤlteſten,
wegen einer Unternehmung auf Eſthland, weil die Eſthen nicht kaͤmen, und
um Erneuerung des Friedens anſuchten, ſondern vielmehr die Zerſtoͤrung der Lief-
laͤndiſchen
Kirche gerne ſaͤhen. Hierauf ſandte der Biſchof an alle Schloͤſſer der
Letten und Liven, und brachte von allen Grenzen der Dune und Goiwe eine
groſſe und ſtarke Armee auf die Beine. Es waren auch in Riga viele Pilger
und Kaufleute, die alle mit dem Ordensmeiſter und ſeinen Bruͤdern freudig zu Fel-
de gingen. Den Sammelplatz der Armee beſtimten ſie in Goiwemunde. Der
Biſchof kam auch mit ihnen dahin, und einige Liven wolten mit der Armee in Cur-
land
einruͤcken. Die Zeit aber war noch nicht da, da ſich GOtt uͤber dieſes Volk
erbarmen wolte. Nachdem der Biſchof den Segen geſprochen, kehrte er wieder
nach Riga. Die Armee aber marſchirte nach Saletſa, und kam in die Provinz,
die Sontagana heiſſet. Die Deutſchen dachten hierbey an ihre Worte und
an den Frieden, den ſie vormals den Einwohnern der Provinz gegeben hatten, und
zogen alſo ganz geruhig durch dieſes Land, thaten nirgends Schaden, jagten die
Menſchen nicht aus ihren Haͤuſern, holten die Fluͤchtigen auch nicht ein, ſondern
marſchirten in aller Stille durch, bis ſie andere Provinzen betraten, die niemals
ſonderliche Luſt gehabt, mit den Rigiſchen Friede zu machen, ſondern in dem
Wahn ſtunden, die Rigiſchen koͤnten an ihre ſo weit abgelegenen Provinzen nicht
gelangen. Es waren von den Unſrigen ungefaͤhr dreytauſend Deutſche, und
von Liven und Letten eben ſo viel. Sie gingen alsdenn uͤbers Eis, Sa-
letſa
vorbey, bis ſie dahin gelangten, wohin ſie gedachten, nemlich in Rotalien.
Wie ſie dahin kamen, zertheilten ſie ihre Truppen auf alle Straſſen und Doͤrfer,
trafen auch alle Maͤnner, Weiber und Kinder und jederman, vom groͤſten bis zum
kleinſten, in ihren Dorfſchaften an, weil ſie durch keinen Lerm vor ihrem Anzuge
gewarnet worden. Dieſelben ſchlugen ſie in ihrem Zorn, und ſtieſſen alle Maͤn-
ner nieder. Die Liven aber ſowol, als die Letten, weil ſie grauſamer ſind als
alle andere Nationen, wuſten nicht recht, wie dort der Knecht im Evangelio, ſich
uͤber ihren Mitknecht zu erbarmen, und brachten ein unſaͤglich Volk um, toͤdteten

auch
*) Reſponſalis ein Geſandter, oder abgeſchickter Gevolmaͤchtigter, der ſeines Principalen Auſſenbleiben
zu entſchuldigen und Rechenſchaft davon zu geben hat. Das Gloſſarium Freheri, ſo dem erſten
Theile der Scriptor. German. angehaͤnget worden, erklaͤret es unrichtig durch ein Beantwortungs-
ſchreiben.
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[108/0140] Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, ſechszehntes Jahr, Hand gegangen. Sie lieſſen ihn daher einige mal fordern und zur Rechenſchaft anhalten; Er machte ſich aber nichts daraus, erſchien nicht, und ſchickte auch kei- nen, der ſeine Entſchuldigung vorbraͤchte *). Hierauf fragten dieſe erſt um des Biſchofs Genehmhaͤltung, kamen hernach mit ihren Knechten und den Letten zu- ſammen, und marſchirten mit allen ihren Leuten neben der Dune hinauf. Da ſie nun im Anzuge gegen das Schloß Gercike begriffen waren, nahmen ſie einen Ruſſen veſte, den ſie bunden, und des Nachts mit ſich nach dem Schloſſe ſchlep- ten. Derſelbe ſtieg auch, wie ihm befohlen war, zuerſt auf den Wall, ſprach mit dem Waͤchter, und die andern folgten einzeln nach. Der Waͤchter dachte, es kaͤ- men ſeine Landsleute, die ausgeweſen waren. Sie kletterten alſo Mann fuͤr Mann auf, bis endlich alle die Spitze der Veſtung erreichet hatten. Und wie ſie alle bey- ſammen waren, ſchloſſen ſie die Veſtung rund umher ein, und lieſſen keine Ruſ- ſen aus dem Schloſſe, bis ſie das Tageslicht ſaͤhen. Bey anbrechendem Tage ſtie- gen ſie hinab ins Schloß, raubten alles, was da war, fingen viele auf, und lieſſen die andern gutwillig entwiſchen. Sie brachten alſo viele Beute weg, lieſſen das Schloß ledig ſtehen, begaben ſich nach ihrem Eigenthum, und theilten alles unter ſich, was ſie mit ſich genommen. 1213 §. 5. Drey Jahr waren nun um, und der Stilſtand mit den Eſthen lief zu Ende. Der Biſchof ließ alſo alle Prieſter zuſammen kommen, hielt Kapitel und berath- ſchlagte ſich mit ihnen, wie auch mit den Rittern und verſamleten Laͤndesaͤlteſten, wegen einer Unternehmung auf Eſthland, weil die Eſthen nicht kaͤmen, und um Erneuerung des Friedens anſuchten, ſondern vielmehr die Zerſtoͤrung der Lief- laͤndiſchen Kirche gerne ſaͤhen. Hierauf ſandte der Biſchof an alle Schloͤſſer der Letten und Liven, und brachte von allen Grenzen der Dune und Goiwe eine groſſe und ſtarke Armee auf die Beine. Es waren auch in Riga viele Pilger und Kaufleute, die alle mit dem Ordensmeiſter und ſeinen Bruͤdern freudig zu Fel- de gingen. Den Sammelplatz der Armee beſtimten ſie in Goiwemunde. Der Biſchof kam auch mit ihnen dahin, und einige Liven wolten mit der Armee in Cur- land einruͤcken. Die Zeit aber war noch nicht da, da ſich GOtt uͤber dieſes Volk erbarmen wolte. Nachdem der Biſchof den Segen geſprochen, kehrte er wieder nach Riga. Die Armee aber marſchirte nach Saletſa, und kam in die Provinz, die Sontagana heiſſet. Die Deutſchen dachten hierbey an ihre Worte und an den Frieden, den ſie vormals den Einwohnern der Provinz gegeben hatten, und zogen alſo ganz geruhig durch dieſes Land, thaten nirgends Schaden, jagten die Menſchen nicht aus ihren Haͤuſern, holten die Fluͤchtigen auch nicht ein, ſondern marſchirten in aller Stille durch, bis ſie andere Provinzen betraten, die niemals ſonderliche Luſt gehabt, mit den Rigiſchen Friede zu machen, ſondern in dem Wahn ſtunden, die Rigiſchen koͤnten an ihre ſo weit abgelegenen Provinzen nicht gelangen. Es waren von den Unſrigen ungefaͤhr dreytauſend Deutſche, und von Liven und Letten eben ſo viel. Sie gingen alsdenn uͤbers Eis, Sa- letſa vorbey, bis ſie dahin gelangten, wohin ſie gedachten, nemlich in Rotalien. Wie ſie dahin kamen, zertheilten ſie ihre Truppen auf alle Straſſen und Doͤrfer, trafen auch alle Maͤnner, Weiber und Kinder und jederman, vom groͤſten bis zum kleinſten, in ihren Dorfſchaften an, weil ſie durch keinen Lerm vor ihrem Anzuge gewarnet worden. Dieſelben ſchlugen ſie in ihrem Zorn, und ſtieſſen alle Maͤn- ner nieder. Die Liven aber ſowol, als die Letten, weil ſie grauſamer ſind als alle andere Nationen, wuſten nicht recht, wie dort der Knecht im Evangelio, ſich uͤber ihren Mitknecht zu erbarmen, und brachten ein unſaͤglich Volk um, toͤdteten auch *) Reſponſalis ein Geſandter, oder abgeſchickter Gevolmaͤchtigter, der ſeines Principalen Auſſenbleiben zu entſchuldigen und Rechenſchaft davon zu geben hat. Das Gloſſarium Freheri, ſo dem erſten Theile der Scriptor. German. angehaͤnget worden, erklaͤret es unrichtig durch ein Beantwortungs- ſchreiben.

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/140>, abgerufen am 21.11.2024.