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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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Geschichte des dritten Bischof Alberts, sechstes Jahr,
1203grösser aber die Freude der Christen wurde, desto mehr Schmerz und Bestürzung
hatten die Heiden darüber.

§. 4.

Vorerwehnte Kriegsleute hatten mit ihren Reisegefährten lange Zeit auf der
wilden See manches auszustehen. Endlich gelangeten sie in einer Gegend von
Esthland*) an. Die Esthen fuhren mit zehen Raub- und zwölf andern Schiffen
auf sie los, um sie ihrer Güter und ihres Lebens zu berauben. GOtt aber, der
die Seinigen bewahrte, ließ ihnen nichts widriges und betrübtes von den Feinden
widerfahren. Vielmehr, da ein Kaperschif durch die Christen zu schande und
leck gemacht worden, musten einige Heiden über die Klinge springen, andere elen-
dig im Wasser zu Grunde gehen. Ein anders Kaperschif packten sie mit einem ei-
sernen Hacken an, und suchten es zu sich zu reissen; die Heiden aber wolten lie-
ber auf der See Gefahr, als von den Christen den Tod ausstehen, und sprungen
einer nach dem andern über Bord. Da nun diese in der Todesgefahr umkamen,
wichen die andern Schiffe zurück und entwischten. Ob gleich der allmächtige
GOtt seine Auserwählten in manche Prüfungen setzt, und sie wie Gold im Feuer
zu bewähren nicht aufhöret: so verläst er sie doch niemals gänzlich; ja er hilft ihnen
aus allem Uebel, und schicket über die Feinde ein grösseres Schrecken. Von da
aus fuhren sie weiter und brachten viele Tage in mancherley Ungemächlichkeit zu,
fürnemlich in Hunger, Durst und Kälte. Und wiewol sie wenigen Proviant
hatten, so nahmen sie doch noch funfzig Christen zu sich, die Schifbruch gelitten hatten
und am Ufer standen, und liessen sie aus Mitleiden ihre Reisekost mit verzehren.
Wie ihnen nun nichts mehr übrig blieb, als Hungers zu sterben; siehe! welcher
Gestalt der Aufgang aus der Höhe sie besuchet hat. Denn es kam ein grosses
Kaufartheyschif an, welches ihnen Speisen und allerhand Eßwaaren c) theils schenkte,
theils verkaufte: wodurch diese Ausgehungerten erquicket und alle sat gemacht wur-
den. Sie nahmen ihren Lauf nun weiter, geriethen aber von neuem in die gröste
Gefahr. Denn das Wetter und starke Sturmwinde trieben sie an die gefährlich-
sten Klippen, zwischen welchen und aus welchen sie mit grosser Angst und Schwie-
rigkeit durchkamen, und den heiligen Abend vor Andreä den Hafen Wisby er-
reichten; von da sie nach Anschaffung nöthiger Lebensmittel fortsegelten und den
Küsten Dännemarks sich näherten. Weil sie aber wegen der unmässigen Kälte,
das Schif an Wall zu steuren nicht vermögend waren, so liessen sie dasselbe im Eise
stecken, nahmen ihre Sachen mit sich und zogen durch Dännemark in Deutsch-
land,
nach ihrem Vaterlande.

c) Hier muß man im Lateinischen**) hinzusetzen: deuehebat.


Des
*) Wo dieses nicht Oesel selbst, so ist es doch die Jnsel Daghoe gewesen, die ehemals wegen ihrer Kaperey
in verhastem Ruf gestanden.
**) Weil beyde Manuscripte mit dem Gruberischen übereinkommen, so läst sich diese Stelle auch ohne
deuehebat verdeutschen.

Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, ſechſtes Jahr,
1203groͤſſer aber die Freude der Chriſten wurde, deſto mehr Schmerz und Beſtuͤrzung
hatten die Heiden daruͤber.

§. 4.

Vorerwehnte Kriegsleute hatten mit ihren Reiſegefaͤhrten lange Zeit auf der
wilden See manches auszuſtehen. Endlich gelangeten ſie in einer Gegend von
Eſthland*) an. Die Eſthen fuhren mit zehen Raub- und zwoͤlf andern Schiffen
auf ſie los, um ſie ihrer Guͤter und ihres Lebens zu berauben. GOtt aber, der
die Seinigen bewahrte, ließ ihnen nichts widriges und betruͤbtes von den Feinden
widerfahren. Vielmehr, da ein Kaperſchif durch die Chriſten zu ſchande und
leck gemacht worden, muſten einige Heiden uͤber die Klinge ſpringen, andere elen-
dig im Waſſer zu Grunde gehen. Ein anders Kaperſchif packten ſie mit einem ei-
ſernen Hacken an, und ſuchten es zu ſich zu reiſſen; die Heiden aber wolten lie-
ber auf der See Gefahr, als von den Chriſten den Tod ausſtehen, und ſprungen
einer nach dem andern uͤber Bord. Da nun dieſe in der Todesgefahr umkamen,
wichen die andern Schiffe zuruͤck und entwiſchten. Ob gleich der allmaͤchtige
GOtt ſeine Auserwaͤhlten in manche Pruͤfungen ſetzt, und ſie wie Gold im Feuer
zu bewaͤhren nicht aufhoͤret: ſo verlaͤſt er ſie doch niemals gaͤnzlich; ja er hilft ihnen
aus allem Uebel, und ſchicket uͤber die Feinde ein groͤſſeres Schrecken. Von da
aus fuhren ſie weiter und brachten viele Tage in mancherley Ungemaͤchlichkeit zu,
fuͤrnemlich in Hunger, Durſt und Kaͤlte. Und wiewol ſie wenigen Proviant
hatten, ſo nahmen ſie doch noch funfzig Chriſten zu ſich, die Schifbruch gelitten hatten
und am Ufer ſtanden, und lieſſen ſie aus Mitleiden ihre Reiſekoſt mit verzehren.
Wie ihnen nun nichts mehr uͤbrig blieb, als Hungers zu ſterben; ſiehe! welcher
Geſtalt der Aufgang aus der Hoͤhe ſie beſuchet hat. Denn es kam ein groſſes
Kaufartheyſchif an, welches ihnen Speiſen und allerhand Eßwaaren c) theils ſchenkte,
theils verkaufte: wodurch dieſe Ausgehungerten erquicket und alle ſat gemacht wur-
den. Sie nahmen ihren Lauf nun weiter, geriethen aber von neuem in die groͤſte
Gefahr. Denn das Wetter und ſtarke Sturmwinde trieben ſie an die gefaͤhrlich-
ſten Klippen, zwiſchen welchen und aus welchen ſie mit groſſer Angſt und Schwie-
rigkeit durchkamen, und den heiligen Abend vor Andreaͤ den Hafen Wisby er-
reichten; von da ſie nach Anſchaffung noͤthiger Lebensmittel fortſegelten und den
Kuͤſten Daͤnnemarks ſich naͤherten. Weil ſie aber wegen der unmaͤſſigen Kaͤlte,
das Schif an Wall zu ſteuren nicht vermoͤgend waren, ſo lieſſen ſie daſſelbe im Eiſe
ſtecken, nahmen ihre Sachen mit ſich und zogen durch Daͤnnemark in Deutſch-
land,
nach ihrem Vaterlande.

c) Hier muß man im Lateiniſchen**) hinzuſetzen: deuehebat.


Des
*) Wo dieſes nicht Oeſel ſelbſt, ſo iſt es doch die Jnſel Daghoe geweſen, die ehemals wegen ihrer Kaperey
in verhaſtem Ruf geſtanden.
**) Weil beyde Manuſcripte mit dem Gruberiſchen uͤbereinkommen, ſo laͤſt ſich dieſe Stelle auch ohne
deuehebat verdeutſchen.
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[38/0070] Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, ſechſtes Jahr, groͤſſer aber die Freude der Chriſten wurde, deſto mehr Schmerz und Beſtuͤrzung hatten die Heiden daruͤber. 1203 §. 4. Vorerwehnte Kriegsleute hatten mit ihren Reiſegefaͤhrten lange Zeit auf der wilden See manches auszuſtehen. Endlich gelangeten ſie in einer Gegend von Eſthland *) an. Die Eſthen fuhren mit zehen Raub- und zwoͤlf andern Schiffen auf ſie los, um ſie ihrer Guͤter und ihres Lebens zu berauben. GOtt aber, der die Seinigen bewahrte, ließ ihnen nichts widriges und betruͤbtes von den Feinden widerfahren. Vielmehr, da ein Kaperſchif durch die Chriſten zu ſchande und leck gemacht worden, muſten einige Heiden uͤber die Klinge ſpringen, andere elen- dig im Waſſer zu Grunde gehen. Ein anders Kaperſchif packten ſie mit einem ei- ſernen Hacken an, und ſuchten es zu ſich zu reiſſen; die Heiden aber wolten lie- ber auf der See Gefahr, als von den Chriſten den Tod ausſtehen, und ſprungen einer nach dem andern uͤber Bord. Da nun dieſe in der Todesgefahr umkamen, wichen die andern Schiffe zuruͤck und entwiſchten. Ob gleich der allmaͤchtige GOtt ſeine Auserwaͤhlten in manche Pruͤfungen ſetzt, und ſie wie Gold im Feuer zu bewaͤhren nicht aufhoͤret: ſo verlaͤſt er ſie doch niemals gaͤnzlich; ja er hilft ihnen aus allem Uebel, und ſchicket uͤber die Feinde ein groͤſſeres Schrecken. Von da aus fuhren ſie weiter und brachten viele Tage in mancherley Ungemaͤchlichkeit zu, fuͤrnemlich in Hunger, Durſt und Kaͤlte. Und wiewol ſie wenigen Proviant hatten, ſo nahmen ſie doch noch funfzig Chriſten zu ſich, die Schifbruch gelitten hatten und am Ufer ſtanden, und lieſſen ſie aus Mitleiden ihre Reiſekoſt mit verzehren. Wie ihnen nun nichts mehr uͤbrig blieb, als Hungers zu ſterben; ſiehe! welcher Geſtalt der Aufgang aus der Hoͤhe ſie beſuchet hat. Denn es kam ein groſſes Kaufartheyſchif an, welches ihnen Speiſen und allerhand Eßwaaren c⁾ theils ſchenkte, theils verkaufte: wodurch dieſe Ausgehungerten erquicket und alle ſat gemacht wur- den. Sie nahmen ihren Lauf nun weiter, geriethen aber von neuem in die groͤſte Gefahr. Denn das Wetter und ſtarke Sturmwinde trieben ſie an die gefaͤhrlich- ſten Klippen, zwiſchen welchen und aus welchen ſie mit groſſer Angſt und Schwie- rigkeit durchkamen, und den heiligen Abend vor Andreaͤ den Hafen Wisby er- reichten; von da ſie nach Anſchaffung noͤthiger Lebensmittel fortſegelten und den Kuͤſten Daͤnnemarks ſich naͤherten. Weil ſie aber wegen der unmaͤſſigen Kaͤlte, das Schif an Wall zu ſteuren nicht vermoͤgend waren, ſo lieſſen ſie daſſelbe im Eiſe ſtecken, nahmen ihre Sachen mit ſich und zogen durch Daͤnnemark in Deutſch- land, nach ihrem Vaterlande. c⁾ Hier muß man im Lateiniſchen **) hinzuſetzen: deuehebat. Des *) Wo dieſes nicht Oeſel ſelbſt, ſo iſt es doch die Jnſel Daghoe geweſen, die ehemals wegen ihrer Kaperey in verhaſtem Ruf geſtanden. **) Weil beyde Manuſcripte mit dem Gruberiſchen uͤbereinkommen, ſo laͤſt ſich dieſe Stelle auch ohne deuehebat verdeutſchen.

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/70>, abgerufen am 25.11.2024.