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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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von 1204 bis 1205.
zuge des Bischofs Nachricht hatten: so machten sie sich mit den noch übrigen Heiden1204
zur Flucht zu rechte, riefen mit Anbruch des Tages obbenanten Conrad vor sich,
und trachteten ihn heimlich hinzurichten. Doch, weil ein Pfeil, den man vorher
siehet, nicht gut trift, und er ihre Tücke ganz gut wuste: so legte er seine Rüstung
an, und ging mit seinem Gefährten zu ihnen hinaus, gab ihnen auch auf jeglichen
Punkt geziemende Antwort, da sie mit ihm sich in eine lange Unterredung ein-
liessen. Unterdessen kamen einige, die vor dem Bischof vorausgezogen waren, dazu.
Hierüber entsazten sich die Liven desto mehr, sahen sich nach der Flucht um, war-
fen sich in einige kleine Böte, und fuhren mit ihren Weibern und Kindern nach dem
Schloß Lenewarden hinauf. Hierdurch gaben sie deutlich genug zu verstehen,
daß sie aus der schon längst empfangnen Taufe wenig machten. Da also die Frem-
den sahen, daß die Neubekehrten Liven so sehr ausschweiften, und als Hunde zum
Gespieenen wieder gingen, weil sie des vorher angenommenen Glaubens vergassen:
so geriethen sie in einen göttlichen Eifer und setzten den Flüchtigen nach. Bald aber,
wie sie gewahr wurden, daß sie sich mit andern Heiden von Lenewarden verbun-
den, ihre Dörfer stehen gelassen, und mit ihnen sich in den dicken Wald verkrochen
hatten: so steckten sie ihre Stadt in Brand.

§. 9.

Als nachher die Pilger längst der Düna hinaufgezogen, siehe! so nahmen
die Liven aus dem Schloß Ascherade, weil sie hörten was vorgegangen, ihre
Zuflucht in die sichersten Oerter des Busches. Wie man aber deswegen ihr Schloß
durch GOttes Gnade in die Asche gelegt: machten sie Friede mit den Deutschen,
gaben Geisseln aus, und versprachen in kurzem nach Riga zu kommen und sich
taufen zu lassen. So auch nachher also geschahe.

§. 10.

Nachdem aber der kleine König Vesceke von Kukenoys l) gehört, daß die
Pilger von der lateinischen Kirche mit so starker Anzahl angekommen, und ihm auf
der nähe, auf drey Meilen nemlich, stünden: so bat er sich durch einen Abgeordne-
ten von dem Bischof sicher Geleite aus, fuhr also zu Schiffe zu ihm hinunter, und
da sie sich unter einander mit Reichung der Hände gegrüsset, schloß er mit den
Deutschen daselbst einen vesten Frieden; der aber nachher nicht lange Bestand
hatte. Nach dem Friedensschluß nahm er von allen Abschied, und kehrte frölich zu
den Seinigen.

l) Vesceke komt wieder vor beym Jahre 1206 n. 2 und sonst noch. Uebrigens, wie das Schloß
Kokenhusen bey unserm Verfasser Kukenoys heist; also ist die Ursache nun bekant,
warum die Herren des Schlosses Adenhusen, kürzer Adensen, zu dieser Zeit Herren
von Adenois genennet werden.
11.

Wie dis vorbey war, so nahmen die Pilger ihren Rückweg; wurden aber in
einem sehr dicken Busche, neben dem Wege nach Memekülle durch die Liven
aus den beyden Städten, Lenewarde und Ykeskole, sehr beunruhiget; sie ent-
kamen doch diesem Ueberfal ohne sonderliche Gefahr, und erreichten Ykeskole.
Sie bemerkten dabey, daß diese Stadt, die weiland der Bischof Meinhard
erbauet, sehr veste, und zugleich ledig stünde; daher deuchte es ihnen, die Liven
wären einer so wichtigen Vestung nicht werth, die doch noch immer rebellisch und
ungläubig blieben, ohnerachtet man sie getauft hätte. Dieser Ursache wegen setzten
sie Conraden in Besitz dieses Lehns, und liessen von den Pilgern einige tapfere
und streitbare Männer bey ihm. Sie wolten ihn auch mit Getreide versehen zum
Kriegsvorrath, und schnitten deswegen die schon reife Saat der Liven theils mit
Sicheln, theils mit Schwerdtern ab. Da sie aber der Heiden Nachstellungen nicht so
ofte auszuhalten vermochten; so machten sie sich mit ihrer Rüstung an die gesamte
Saat und fülten die Stadt bis oben an. Der Herr Bischof war über dieses Ver-

fahren
L 2

von 1204 bis 1205.
zuge des Biſchofs Nachricht hatten: ſo machten ſie ſich mit den noch uͤbrigen Heiden1204
zur Flucht zu rechte, riefen mit Anbruch des Tages obbenanten Conrad vor ſich,
und trachteten ihn heimlich hinzurichten. Doch, weil ein Pfeil, den man vorher
ſiehet, nicht gut trift, und er ihre Tuͤcke ganz gut wuſte: ſo legte er ſeine Ruͤſtung
an, und ging mit ſeinem Gefaͤhrten zu ihnen hinaus, gab ihnen auch auf jeglichen
Punkt geziemende Antwort, da ſie mit ihm ſich in eine lange Unterredung ein-
lieſſen. Unterdeſſen kamen einige, die vor dem Biſchof vorausgezogen waren, dazu.
Hieruͤber entſazten ſich die Liven deſto mehr, ſahen ſich nach der Flucht um, war-
fen ſich in einige kleine Boͤte, und fuhren mit ihren Weibern und Kindern nach dem
Schloß Lenewarden hinauf. Hierdurch gaben ſie deutlich genug zu verſtehen,
daß ſie aus der ſchon laͤngſt empfangnen Taufe wenig machten. Da alſo die Frem-
den ſahen, daß die Neubekehrten Liven ſo ſehr ausſchweiften, und als Hunde zum
Geſpieenen wieder gingen, weil ſie des vorher angenommenen Glaubens vergaſſen:
ſo geriethen ſie in einen goͤttlichen Eifer und ſetzten den Fluͤchtigen nach. Bald aber,
wie ſie gewahr wurden, daß ſie ſich mit andern Heiden von Lenewarden verbun-
den, ihre Doͤrfer ſtehen gelaſſen, und mit ihnen ſich in den dicken Wald verkrochen
hatten: ſo ſteckten ſie ihre Stadt in Brand.

§. 9.

Als nachher die Pilger laͤngſt der Duͤna hinaufgezogen, ſiehe! ſo nahmen
die Liven aus dem Schloß Aſcherade, weil ſie hoͤrten was vorgegangen, ihre
Zuflucht in die ſicherſten Oerter des Buſches. Wie man aber deswegen ihr Schloß
durch GOttes Gnade in die Aſche gelegt: machten ſie Friede mit den Deutſchen,
gaben Geiſſeln aus, und verſprachen in kurzem nach Riga zu kommen und ſich
taufen zu laſſen. So auch nachher alſo geſchahe.

§. 10.

Nachdem aber der kleine Koͤnig Veſceke von Kukenoys l) gehoͤrt, daß die
Pilger von der lateiniſchen Kirche mit ſo ſtarker Anzahl angekommen, und ihm auf
der naͤhe, auf drey Meilen nemlich, ſtuͤnden: ſo bat er ſich durch einen Abgeordne-
ten von dem Biſchof ſicher Geleite aus, fuhr alſo zu Schiffe zu ihm hinunter, und
da ſie ſich unter einander mit Reichung der Haͤnde gegruͤſſet, ſchloß er mit den
Deutſchen daſelbſt einen veſten Frieden; der aber nachher nicht lange Beſtand
hatte. Nach dem Friedensſchluß nahm er von allen Abſchied, und kehrte froͤlich zu
den Seinigen.

l) Veſceke komt wieder vor beym Jahre 1206 n. 2 und ſonſt noch. Uebrigens, wie das Schloß
Kokenhuſen bey unſerm Verfaſſer Kukenoys heiſt; alſo iſt die Urſache nun bekant,
warum die Herren des Schloſſes Adenhuſen, kuͤrzer Adenſen, zu dieſer Zeit Herren
von Adenois genennet werden.
11.

Wie dis vorbey war, ſo nahmen die Pilger ihren Ruͤckweg; wurden aber in
einem ſehr dicken Buſche, neben dem Wege nach Memekuͤlle durch die Liven
aus den beyden Staͤdten, Lenewarde und Ykeskole, ſehr beunruhiget; ſie ent-
kamen doch dieſem Ueberfal ohne ſonderliche Gefahr, und erreichten Ykeskole.
Sie bemerkten dabey, daß dieſe Stadt, die weiland der Biſchof Meinhard
erbauet, ſehr veſte, und zugleich ledig ſtuͤnde; daher deuchte es ihnen, die Liven
waͤren einer ſo wichtigen Veſtung nicht werth, die doch noch immer rebelliſch und
unglaͤubig blieben, ohnerachtet man ſie getauft haͤtte. Dieſer Urſache wegen ſetzten
ſie Conraden in Beſitz dieſes Lehns, und lieſſen von den Pilgern einige tapfere
und ſtreitbare Maͤnner bey ihm. Sie wolten ihn auch mit Getreide verſehen zum
Kriegsvorrath, und ſchnitten deswegen die ſchon reife Saat der Liven theils mit
Sicheln, theils mit Schwerdtern ab. Da ſie aber der Heiden Nachſtellungen nicht ſo
ofte auszuhalten vermochten; ſo machten ſie ſich mit ihrer Ruͤſtung an die geſamte
Saat und fuͤlten die Stadt bis oben an. Der Herr Biſchof war uͤber dieſes Ver-

fahren
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[43/0075] von 1204 bis 1205. zuge des Biſchofs Nachricht hatten: ſo machten ſie ſich mit den noch uͤbrigen Heiden zur Flucht zu rechte, riefen mit Anbruch des Tages obbenanten Conrad vor ſich, und trachteten ihn heimlich hinzurichten. Doch, weil ein Pfeil, den man vorher ſiehet, nicht gut trift, und er ihre Tuͤcke ganz gut wuſte: ſo legte er ſeine Ruͤſtung an, und ging mit ſeinem Gefaͤhrten zu ihnen hinaus, gab ihnen auch auf jeglichen Punkt geziemende Antwort, da ſie mit ihm ſich in eine lange Unterredung ein- lieſſen. Unterdeſſen kamen einige, die vor dem Biſchof vorausgezogen waren, dazu. Hieruͤber entſazten ſich die Liven deſto mehr, ſahen ſich nach der Flucht um, war- fen ſich in einige kleine Boͤte, und fuhren mit ihren Weibern und Kindern nach dem Schloß Lenewarden hinauf. Hierdurch gaben ſie deutlich genug zu verſtehen, daß ſie aus der ſchon laͤngſt empfangnen Taufe wenig machten. Da alſo die Frem- den ſahen, daß die Neubekehrten Liven ſo ſehr ausſchweiften, und als Hunde zum Geſpieenen wieder gingen, weil ſie des vorher angenommenen Glaubens vergaſſen: ſo geriethen ſie in einen goͤttlichen Eifer und ſetzten den Fluͤchtigen nach. Bald aber, wie ſie gewahr wurden, daß ſie ſich mit andern Heiden von Lenewarden verbun- den, ihre Doͤrfer ſtehen gelaſſen, und mit ihnen ſich in den dicken Wald verkrochen hatten: ſo ſteckten ſie ihre Stadt in Brand. 1204 §. 9. Als nachher die Pilger laͤngſt der Duͤna hinaufgezogen, ſiehe! ſo nahmen die Liven aus dem Schloß Aſcherade, weil ſie hoͤrten was vorgegangen, ihre Zuflucht in die ſicherſten Oerter des Buſches. Wie man aber deswegen ihr Schloß durch GOttes Gnade in die Aſche gelegt: machten ſie Friede mit den Deutſchen, gaben Geiſſeln aus, und verſprachen in kurzem nach Riga zu kommen und ſich taufen zu laſſen. So auch nachher alſo geſchahe. §. 10. Nachdem aber der kleine Koͤnig Veſceke von Kukenoys l⁾ gehoͤrt, daß die Pilger von der lateiniſchen Kirche mit ſo ſtarker Anzahl angekommen, und ihm auf der naͤhe, auf drey Meilen nemlich, ſtuͤnden: ſo bat er ſich durch einen Abgeordne- ten von dem Biſchof ſicher Geleite aus, fuhr alſo zu Schiffe zu ihm hinunter, und da ſie ſich unter einander mit Reichung der Haͤnde gegruͤſſet, ſchloß er mit den Deutſchen daſelbſt einen veſten Frieden; der aber nachher nicht lange Beſtand hatte. Nach dem Friedensſchluß nahm er von allen Abſchied, und kehrte froͤlich zu den Seinigen. l⁾ Veſceke komt wieder vor beym Jahre 1206 n. 2 und ſonſt noch. Uebrigens, wie das Schloß Kokenhuſen bey unſerm Verfaſſer Kukenoys heiſt; alſo iſt die Urſache nun bekant, warum die Herren des Schloſſes Adenhuſen, kuͤrzer Adenſen, zu dieſer Zeit Herren von Adenois genennet werden. 11. Wie dis vorbey war, ſo nahmen die Pilger ihren Ruͤckweg; wurden aber in einem ſehr dicken Buſche, neben dem Wege nach Memekuͤlle durch die Liven aus den beyden Staͤdten, Lenewarde und Ykeskole, ſehr beunruhiget; ſie ent- kamen doch dieſem Ueberfal ohne ſonderliche Gefahr, und erreichten Ykeskole. Sie bemerkten dabey, daß dieſe Stadt, die weiland der Biſchof Meinhard erbauet, ſehr veſte, und zugleich ledig ſtuͤnde; daher deuchte es ihnen, die Liven waͤren einer ſo wichtigen Veſtung nicht werth, die doch noch immer rebelliſch und unglaͤubig blieben, ohnerachtet man ſie getauft haͤtte. Dieſer Urſache wegen ſetzten ſie Conraden in Beſitz dieſes Lehns, und lieſſen von den Pilgern einige tapfere und ſtreitbare Maͤnner bey ihm. Sie wolten ihn auch mit Getreide verſehen zum Kriegsvorrath, und ſchnitten deswegen die ſchon reife Saat der Liven theils mit Sicheln, theils mit Schwerdtern ab. Da ſie aber der Heiden Nachſtellungen nicht ſo ofte auszuhalten vermochten; ſo machten ſie ſich mit ihrer Ruͤſtung an die geſamte Saat und fuͤlten die Stadt bis oben an. Der Herr Biſchof war uͤber dieſes Ver- fahren L 2

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/75>, abgerufen am 25.11.2024.