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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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von 1205 bis 1206.
dem Liven voraus gesaget, versamleten sie sich alle an einen Ort; der Priester1205
bezeugte ihnen den Greuel der Abgötterey und erwieß ihnen, daß solche Gespenster
ein Blendwerk des Teufels seyn, und predigte ihnen vor von Einem GOtt, dem
Schöpfer aller Dinge, von Einem Glauben und Einer Taufe; mit diesen und der-
gleichen lockte er sie an zur Verehrung des einzigen GOttes. Wie sie das hörten,
entsagten sie dem Teufel und seinen Werken, und versprachen an GOtt zu glau-
ben, und liessen sich taufen, so viel von GOtt bestimmet waren. Nachdem er die
von Remine auch getauft, ging er nach denen von Ascherade, und da diese das
Wort GOttes mit Freuden annahmen, und man das Sacrament der Taufe vol-
zogen: so kehrte er wieder nach Thoreide, kam zu dem Schlosse des Dabrels
und ward da sehr gut aufgenommen. Wie er auch hier den Samen des Wortes
gestreuet, sie bekehret, und getaufet hatte: so zog er endlich aus dieser Gegend weg,
und wandte sich zu den Wenden. Die Wenden waren aber zu der Zeit gerin-
ge und arme Leute, die man nemlich von Wyndo, einem Flusse in Curland,
weggejagt, und wohnten auf dem alten Berge, neben welchem die Stadt Riga
nun angeleget ist. Von da wurden sie wieder durch die Curen vertrieben, viele
niedergemacht, und die übrigen musten zu den Litthauern t) flüchten; daselbst
wohnten sie bey ihnen und freueten sich über die Ankunft eines Priesters. Da auch
diese bekehrt und getauft waren, empfahl der Priester diesen schon gepflanzten Wein-
berg und besäeten Acker dem Herrn; und zog zurück nach Riga.

s) Siehe die Geschichte Bertolds. n. 8.
t) Hier muß man Letten oder Lettigallen lesen: wie es die Lage der Wendischen
Stadt ausweiset. Uebrigens ist diese Wanderschaft der Wenden nach Lettland merk-
würdig, als die denen im Wege zu stehen scheinet, welche in der Einbildung stehen, als
ob die Venedi (Wenden) der Wendischen Stadt den Namen gegeben: wo man
nicht glaubt, daß selbst Windan in Curland von den Wenden seinen Namen habe.
Die treffen es noch weniger, die vorgeben, Wenden sey von dem ersten Ordensmei-
ster Vinno angelegt und nach ihm benamet worden.
§. 15.

Nachdem wurde er an die Ydumäer geschickt, woselbst er viele Letten und
Ydumäer taufte, über der Ropa eine Kirche bauete, auch bey ihnen blieb und
sie zum ewigen Leben anführte. Die von Thoreide aber, da sie das Sacrament
der heiligen Taufe nebst aller geistlichen Anwartschaft empfangen, baten ihren Prie-
ster Alobrand, daß, wie er ihnen im geistlichen Recht verschaffet, also sich ihrer
auch in bürgerlichen Dingen, so wir das weltliche Recht nennen, annehme, nach
den Rechten der christlichen Kaiser*) u). Denn die Liven waren vor diesem ein
sehr treuloses Volk, und ein jeder nahm seinem Nächsten mit Gewalt, was er hat-
te, wenn er nur stärker war; und daher wurde ihnen Gewaltthätigkeit, Diebstal,
Rauben und dergleichen bey der Taufe untersaget. Die aber vor der Taufe wa-
ren ausgeplündert worden, und über den Verlust ihrer Habseligket sich beklagten,
verlangten einen weltlichen Richter, dergleichen Sachen abzumachen; weil sie nach
der Taufe das ihrige gewaltsamer Weise nicht wiederwegnehmen durften w). Da-
her ward dem Priester Alobrand gleich anfänglich aufgelegt, so wol geistliche als
bürgerliche Klagen anzuhören. Dieser verwaltete auch sein ihm aufgetragenes
Amt so wol um GOttes, als seiner Sünden willen getreulich, machte des Stehlens
und Raubens weniger, schafte das unrecht Entwandte wieder, und zeigte den Li-
ven
den Weg gerecht zu leben. Den Liven gefiel diese Gewohnheit der Chri-
sten
das erste Jahr ganz wohl, weil das Amt dieser Advocatur durch treue und ge-
rechte Männer versehen ward, so aber nachher durch die Hände unterschiedlicher
weltlicher Richter und Laien, wegen der schändlichen Geldsucht durch ganz Liefland,
Lettgallien
und Esthland alzusehr verschlimmert worden. Die so wol um

ihren
*) Das Rigische Manuscript hat eben so, das Revelsche hat, secundum jura Christianorum; welches
ich vorziehe.
O 2

von 1205 bis 1206.
dem Liven voraus geſaget, verſamleten ſie ſich alle an einen Ort; der Prieſter1205
bezeugte ihnen den Greuel der Abgoͤtterey und erwieß ihnen, daß ſolche Geſpenſter
ein Blendwerk des Teufels ſeyn, und predigte ihnen vor von Einem GOtt, dem
Schoͤpfer aller Dinge, von Einem Glauben und Einer Taufe; mit dieſen und der-
gleichen lockte er ſie an zur Verehrung des einzigen GOttes. Wie ſie das hoͤrten,
entſagten ſie dem Teufel und ſeinen Werken, und verſprachen an GOtt zu glau-
ben, und lieſſen ſich taufen, ſo viel von GOtt beſtimmet waren. Nachdem er die
von Remine auch getauft, ging er nach denen von Aſcherade, und da dieſe das
Wort GOttes mit Freuden annahmen, und man das Sacrament der Taufe vol-
zogen: ſo kehrte er wieder nach Thoreide, kam zu dem Schloſſe des Dabrels
und ward da ſehr gut aufgenommen. Wie er auch hier den Samen des Wortes
geſtreuet, ſie bekehret, und getaufet hatte: ſo zog er endlich aus dieſer Gegend weg,
und wandte ſich zu den Wenden. Die Wenden waren aber zu der Zeit gerin-
ge und arme Leute, die man nemlich von Wyndo, einem Fluſſe in Curland,
weggejagt, und wohnten auf dem alten Berge, neben welchem die Stadt Riga
nun angeleget iſt. Von da wurden ſie wieder durch die Curen vertrieben, viele
niedergemacht, und die uͤbrigen muſten zu den Litthauern t) fluͤchten; daſelbſt
wohnten ſie bey ihnen und freueten ſich uͤber die Ankunft eines Prieſters. Da auch
dieſe bekehrt und getauft waren, empfahl der Prieſter dieſen ſchon gepflanzten Wein-
berg und beſaͤeten Acker dem Herrn; und zog zuruͤck nach Riga.

s) Siehe die Geſchichte Bertolds. n. 8.
t) Hier muß man Letten oder Lettigallen leſen: wie es die Lage der Wendiſchen
Stadt ausweiſet. Uebrigens iſt dieſe Wanderſchaft der Wenden nach Lettland merk-
wuͤrdig, als die denen im Wege zu ſtehen ſcheinet, welche in der Einbildung ſtehen, als
ob die Venedi (Wenden) der Wendiſchen Stadt den Namen gegeben: wo man
nicht glaubt, daß ſelbſt Windan in Curland von den Wenden ſeinen Namen habe.
Die treffen es noch weniger, die vorgeben, Wenden ſey von dem erſten Ordensmei-
ſter Vinno angelegt und nach ihm benamet worden.
§. 15.

Nachdem wurde er an die Ydumaͤer geſchickt, woſelbſt er viele Letten und
Ydumaͤer taufte, uͤber der Ropa eine Kirche bauete, auch bey ihnen blieb und
ſie zum ewigen Leben anfuͤhrte. Die von Thoreide aber, da ſie das Sacrament
der heiligen Taufe nebſt aller geiſtlichen Anwartſchaft empfangen, baten ihren Prie-
ſter Alobrand, daß, wie er ihnen im geiſtlichen Recht verſchaffet, alſo ſich ihrer
auch in buͤrgerlichen Dingen, ſo wir das weltliche Recht nennen, annehme, nach
den Rechten der chriſtlichen Kaiſer*) u). Denn die Liven waren vor dieſem ein
ſehr treuloſes Volk, und ein jeder nahm ſeinem Naͤchſten mit Gewalt, was er hat-
te, wenn er nur ſtaͤrker war; und daher wurde ihnen Gewaltthaͤtigkeit, Diebſtal,
Rauben und dergleichen bey der Taufe unterſaget. Die aber vor der Taufe wa-
ren ausgepluͤndert worden, und uͤber den Verluſt ihrer Habſeligket ſich beklagten,
verlangten einen weltlichen Richter, dergleichen Sachen abzumachen; weil ſie nach
der Taufe das ihrige gewaltſamer Weiſe nicht wiederwegnehmen durften w). Da-
her ward dem Prieſter Alobrand gleich anfaͤnglich aufgelegt, ſo wol geiſtliche als
buͤrgerliche Klagen anzuhoͤren. Dieſer verwaltete auch ſein ihm aufgetragenes
Amt ſo wol um GOttes, als ſeiner Suͤnden willen getreulich, machte des Stehlens
und Raubens weniger, ſchafte das unrecht Entwandte wieder, und zeigte den Li-
ven
den Weg gerecht zu leben. Den Liven gefiel dieſe Gewohnheit der Chri-
ſten
das erſte Jahr ganz wohl, weil das Amt dieſer Advocatur durch treue und ge-
rechte Maͤnner verſehen ward, ſo aber nachher durch die Haͤnde unterſchiedlicher
weltlicher Richter und Laien, wegen der ſchaͤndlichen Geldſucht durch ganz Liefland,
Lettgallien
und Eſthland alzuſehr verſchlimmert worden. Die ſo wol um

ihren
*) Das Rigiſche Manuſcript hat eben ſo, das Revelſche hat, ſecundum jura Chriſtianorum; welches
ich vorziehe.
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[55/0087] von 1205 bis 1206. dem Liven voraus geſaget, verſamleten ſie ſich alle an einen Ort; der Prieſter bezeugte ihnen den Greuel der Abgoͤtterey und erwieß ihnen, daß ſolche Geſpenſter ein Blendwerk des Teufels ſeyn, und predigte ihnen vor von Einem GOtt, dem Schoͤpfer aller Dinge, von Einem Glauben und Einer Taufe; mit dieſen und der- gleichen lockte er ſie an zur Verehrung des einzigen GOttes. Wie ſie das hoͤrten, entſagten ſie dem Teufel und ſeinen Werken, und verſprachen an GOtt zu glau- ben, und lieſſen ſich taufen, ſo viel von GOtt beſtimmet waren. Nachdem er die von Remine auch getauft, ging er nach denen von Aſcherade, und da dieſe das Wort GOttes mit Freuden annahmen, und man das Sacrament der Taufe vol- zogen: ſo kehrte er wieder nach Thoreide, kam zu dem Schloſſe des Dabrels und ward da ſehr gut aufgenommen. Wie er auch hier den Samen des Wortes geſtreuet, ſie bekehret, und getaufet hatte: ſo zog er endlich aus dieſer Gegend weg, und wandte ſich zu den Wenden. Die Wenden waren aber zu der Zeit gerin- ge und arme Leute, die man nemlich von Wyndo, einem Fluſſe in Curland, weggejagt, und wohnten auf dem alten Berge, neben welchem die Stadt Riga nun angeleget iſt. Von da wurden ſie wieder durch die Curen vertrieben, viele niedergemacht, und die uͤbrigen muſten zu den Litthauern t⁾ fluͤchten; daſelbſt wohnten ſie bey ihnen und freueten ſich uͤber die Ankunft eines Prieſters. Da auch dieſe bekehrt und getauft waren, empfahl der Prieſter dieſen ſchon gepflanzten Wein- berg und beſaͤeten Acker dem Herrn; und zog zuruͤck nach Riga. 1205 s⁾ Siehe die Geſchichte Bertolds. n. 8. t⁾ Hier muß man Letten oder Lettigallen leſen: wie es die Lage der Wendiſchen Stadt ausweiſet. Uebrigens iſt dieſe Wanderſchaft der Wenden nach Lettland merk- wuͤrdig, als die denen im Wege zu ſtehen ſcheinet, welche in der Einbildung ſtehen, als ob die Venedi (Wenden) der Wendiſchen Stadt den Namen gegeben: wo man nicht glaubt, daß ſelbſt Windan in Curland von den Wenden ſeinen Namen habe. Die treffen es noch weniger, die vorgeben, Wenden ſey von dem erſten Ordensmei- ſter Vinno angelegt und nach ihm benamet worden. §. 15. Nachdem wurde er an die Ydumaͤer geſchickt, woſelbſt er viele Letten und Ydumaͤer taufte, uͤber der Ropa eine Kirche bauete, auch bey ihnen blieb und ſie zum ewigen Leben anfuͤhrte. Die von Thoreide aber, da ſie das Sacrament der heiligen Taufe nebſt aller geiſtlichen Anwartſchaft empfangen, baten ihren Prie- ſter Alobrand, daß, wie er ihnen im geiſtlichen Recht verſchaffet, alſo ſich ihrer auch in buͤrgerlichen Dingen, ſo wir das weltliche Recht nennen, annehme, nach den Rechten der chriſtlichen Kaiſer *) u⁾ . Denn die Liven waren vor dieſem ein ſehr treuloſes Volk, und ein jeder nahm ſeinem Naͤchſten mit Gewalt, was er hat- te, wenn er nur ſtaͤrker war; und daher wurde ihnen Gewaltthaͤtigkeit, Diebſtal, Rauben und dergleichen bey der Taufe unterſaget. Die aber vor der Taufe wa- ren ausgepluͤndert worden, und uͤber den Verluſt ihrer Habſeligket ſich beklagten, verlangten einen weltlichen Richter, dergleichen Sachen abzumachen; weil ſie nach der Taufe das ihrige gewaltſamer Weiſe nicht wiederwegnehmen durften w⁾ . Da- her ward dem Prieſter Alobrand gleich anfaͤnglich aufgelegt, ſo wol geiſtliche als buͤrgerliche Klagen anzuhoͤren. Dieſer verwaltete auch ſein ihm aufgetragenes Amt ſo wol um GOttes, als ſeiner Suͤnden willen getreulich, machte des Stehlens und Raubens weniger, ſchafte das unrecht Entwandte wieder, und zeigte den Li- ven den Weg gerecht zu leben. Den Liven gefiel dieſe Gewohnheit der Chri- ſten das erſte Jahr ganz wohl, weil das Amt dieſer Advocatur durch treue und ge- rechte Maͤnner verſehen ward, ſo aber nachher durch die Haͤnde unterſchiedlicher weltlicher Richter und Laien, wegen der ſchaͤndlichen Geldſucht durch ganz Liefland, Lettgallien und Eſthland alzuſehr verſchlimmert worden. Die ſo wol um ihren *) Das Rigiſche Manuſcript hat eben ſo, das Revelſche hat, ſecundum jura Chriſtianorum; welches ich vorziehe. O 2

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/87>, abgerufen am 24.11.2024.