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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753.

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Leben und Thaten der liefländischen Ordensmeister,
1558ten, da sie an streitbarer Manschaft noch keine 1500 Man ausmachten. Die
Völker des Erzstifts Riga hielt man für eben so stark, und wartete sehnlich
nach ihrer Ankunft; allein der Erzbischof fand sich mit einer Entschuldigung ein,
welchem Beispiel die Bischöfe von Oesel, Harrien und Wirland folgten.
Das Gebiet von Vellin aber muste bey Kettlern in Estland bleiben. Dieser
Umstand setzte Fürstenbergen in grosse Verlegenheit, so daß er den Russen
schon etliche Vestungen übergeben wolte, welches jedoch die Dörptischen durch
vieles Bitten noch hintertrieben. Die Unordnung und das Gezänke kam gar so
weit, das wenig daran fehlte, daß der Orden und die Dörptischen sich übern
Haufen geworfen, und selbst erwürget hätten, wie denn etliche tödlich verwun-
det, viele aber in die gröste Lebensgefahr gestürzet wurden. Der Bischof von
Dörpt eilte nach seiner Stadt zu, um selbige in Vertheidigungsstand zu setzen,
welches alles dem Orden wenig Lust machte, im Felde zu bleiben, im Gegentheil
vielmehr Anlas gab, daß man alles Unheil unschuldigen Leuten zur Last legen wol-
te, und ihnen den damals nicht ungewöhnlichen Namen der Landesverräther zur
Beschimpfung anhieng.

Die rußische Armee wandte sich von Narva nach dem Schlosse Neuen-
haus,
in welchem sich eine Besatzung von 80 Man und etlichen Bauren befand,
über welche Georg Uxkül von Padenorm Hauptman war. Die Russen
lagen 6 Wochen lang davor, während welcher Zeit durch das unaufhörliche Be-
schiessen die Brustwehre, die Mantelmauer und ein Thurm eingeschossen, etliche
Manschaft getödtet, und den Belagerten ein vortheilhafter Vergleich war angebo-
ten worden. Ob nun gleich der tapfere Uxkül von keiner Uebergabe hören wol-
te, so konte doch niemand vor Müdigkeit mehr fechten; ja die Soldaten droheten
gar ihren Hauptman über die Mauren zu henken, wenn er die angebotenen Be-
dingungen ausschlagen würde. Er muste sich also in die Zeit schicken, und behielt
beim Auszuge wenige von seinen Leuten bey sich, weil die meisten von freien Stü-
cken bey den Russen Dienste nahmen. Der Bischof hielt dieses Neuenhaus
für den Schlüssel zu Dörpt; da es also Fürstenberg nicht entsetzen konte, ob sich
gleich der Bischof Rechnung darauf machte, so würkte dieses auf beiden Seiten
ein neues Misverständnis. Der Bischof hatte unterschiedliche Unterredungen
mit Christoph Münnichhausen und Johan Sögen, seinen Räthen, wo-
zu er auch den Stiftsvogt Krusen aus dem herrmeisterlichen Lager verschrieben;
auf die Nachricht von der Uebergabe des neuen Hauses aber war es zu spät, das
neue Project auszuführen, und den König von Dännemark Christian den
IIIten um Schutz und schleunige Hülfe anzurufen.

Die Eroberung dieses wichtigen Platzes zog viele andre Wiederwärtigkeiten
nach sich. Der Ordensmeister trauete denen in Dörpt so wenig als den Rus-
sen,
und brach in möglichster Eil vor Kyrenpeh auf, zog sich nach Walck in
sein Ordensgebiete, und Kettler muste mit eigener grossen Gefahr diesen Rückzug
bedecken. Das Schlos Kyrenpeh, worinnen aller Lebens und Kriegsvorrath
aufgeschüttet lag, wurde auf Fürstenbergs Befehl in Brand gestecket, und die
deutsche Besatzung herausgezogen. Die Bauren hingegen liefen wieder hinauf,
löschten die Glut, soffen sich in Meth, Wein und Bier tol und vol, schickten
nachher einen aus ihrem Mittel an die Russen ab, mit Vermelden, die Deut-
schen
wären weg; sie könten das Schlos besetzen. Die Russen säumten nicht,
schickten aber eine Parthey von ihren Völkern dem flüchtenden Ordensheer nach,
die auch mit dem Nachtrab der Deutschen blutige Scharmützel hatten; wobey
Kettler, weil er vom Pferde stürzte, bald gefangen worden wäre, wenn nicht
Fürstenberg sich umgewandt und zur Unterstützung desselben herbey geeilet wäre.
Die Hitze war für Menschen und Pferde so gros, daß etliche in ihrem Harnisch
erstickten, und umfielen. Man erreichte nach Abwerfung einiger Brücken einen
Heuschlag bey der olzenschen See, und lagerte sich den folgenden Tag zu Wal-
ke.
Hier fasten die Stände einen geschwinden Entschlus, und nöthigten bey

Für-

Leben und Thaten der lieflaͤndiſchen Ordensmeiſter,
1558ten, da ſie an ſtreitbarer Manſchaft noch keine 1500 Man ausmachten. Die
Voͤlker des Erzſtifts Riga hielt man fuͤr eben ſo ſtark, und wartete ſehnlich
nach ihrer Ankunft; allein der Erzbiſchof fand ſich mit einer Entſchuldigung ein,
welchem Beiſpiel die Biſchoͤfe von Oeſel, Harrien und Wirland folgten.
Das Gebiet von Vellin aber muſte bey Kettlern in Eſtland bleiben. Dieſer
Umſtand ſetzte Fuͤrſtenbergen in groſſe Verlegenheit, ſo daß er den Ruſſen
ſchon etliche Veſtungen uͤbergeben wolte, welches jedoch die Doͤrptiſchen durch
vieles Bitten noch hintertrieben. Die Unordnung und das Gezaͤnke kam gar ſo
weit, das wenig daran fehlte, daß der Orden und die Doͤrptiſchen ſich uͤbern
Haufen geworfen, und ſelbſt erwuͤrget haͤtten, wie denn etliche toͤdlich verwun-
det, viele aber in die groͤſte Lebensgefahr geſtuͤrzet wurden. Der Biſchof von
Doͤrpt eilte nach ſeiner Stadt zu, um ſelbige in Vertheidigungsſtand zu ſetzen,
welches alles dem Orden wenig Luſt machte, im Felde zu bleiben, im Gegentheil
vielmehr Anlas gab, daß man alles Unheil unſchuldigen Leuten zur Laſt legen wol-
te, und ihnen den damals nicht ungewoͤhnlichen Namen der Landesverraͤther zur
Beſchimpfung anhieng.

Die rußiſche Armee wandte ſich von Narva nach dem Schloſſe Neuen-
haus,
in welchem ſich eine Beſatzung von 80 Man und etlichen Bauren befand,
uͤber welche Georg Uxkuͤl von Padenorm Hauptman war. Die Ruſſen
lagen 6 Wochen lang davor, waͤhrend welcher Zeit durch das unaufhoͤrliche Be-
ſchieſſen die Bruſtwehre, die Mantelmauer und ein Thurm eingeſchoſſen, etliche
Manſchaft getoͤdtet, und den Belagerten ein vortheilhafter Vergleich war angebo-
ten worden. Ob nun gleich der tapfere Uxkuͤl von keiner Uebergabe hoͤren wol-
te, ſo konte doch niemand vor Muͤdigkeit mehr fechten; ja die Soldaten droheten
gar ihren Hauptman uͤber die Mauren zu henken, wenn er die angebotenen Be-
dingungen ausſchlagen wuͤrde. Er muſte ſich alſo in die Zeit ſchicken, und behielt
beim Auszuge wenige von ſeinen Leuten bey ſich, weil die meiſten von freien Stuͤ-
cken bey den Ruſſen Dienſte nahmen. Der Biſchof hielt dieſes Neuenhaus
fuͤr den Schluͤſſel zu Doͤrpt; da es alſo Fuͤrſtenberg nicht entſetzen konte, ob ſich
gleich der Biſchof Rechnung darauf machte, ſo wuͤrkte dieſes auf beiden Seiten
ein neues Misverſtaͤndnis. Der Biſchof hatte unterſchiedliche Unterredungen
mit Chriſtoph Muͤnnichhauſen und Johan Soͤgen, ſeinen Raͤthen, wo-
zu er auch den Stiftsvogt Kruſen aus dem herrmeiſterlichen Lager verſchrieben;
auf die Nachricht von der Uebergabe des neuen Hauſes aber war es zu ſpaͤt, das
neue Project auszufuͤhren, und den Koͤnig von Daͤnnemark Chriſtian den
IIIten um Schutz und ſchleunige Huͤlfe anzurufen.

Die Eroberung dieſes wichtigen Platzes zog viele andre Wiederwaͤrtigkeiten
nach ſich. Der Ordensmeiſter trauete denen in Doͤrpt ſo wenig als den Ruſ-
ſen,
und brach in moͤglichſter Eil vor Kyrenpeh auf, zog ſich nach Walck in
ſein Ordensgebiete, und Kettler muſte mit eigener groſſen Gefahr dieſen Ruͤckzug
bedecken. Das Schlos Kyrenpeh, worinnen aller Lebens und Kriegsvorrath
aufgeſchuͤttet lag, wurde auf Fuͤrſtenbergs Befehl in Brand geſtecket, und die
deutſche Beſatzung herausgezogen. Die Bauren hingegen liefen wieder hinauf,
loͤſchten die Glut, ſoffen ſich in Meth, Wein und Bier tol und vol, ſchickten
nachher einen aus ihrem Mittel an die Ruſſen ab, mit Vermelden, die Deut-
ſchen
waͤren weg; ſie koͤnten das Schlos beſetzen. Die Ruſſen ſaͤumten nicht,
ſchickten aber eine Parthey von ihren Voͤlkern dem fluͤchtenden Ordensheer nach,
die auch mit dem Nachtrab der Deutſchen blutige Scharmuͤtzel hatten; wobey
Kettler, weil er vom Pferde ſtuͤrzte, bald gefangen worden waͤre, wenn nicht
Fuͤrſtenberg ſich umgewandt und zur Unterſtuͤtzung deſſelben herbey geeilet waͤre.
Die Hitze war fuͤr Menſchen und Pferde ſo gros, daß etliche in ihrem Harniſch
erſtickten, und umfielen. Man erreichte nach Abwerfung einiger Bruͤcken einen
Heuſchlag bey der olzenſchen See, und lagerte ſich den folgenden Tag zu Wal-
ke.
Hier faſten die Staͤnde einen geſchwinden Entſchlus, und noͤthigten bey

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[234/0252] Leben und Thaten der lieflaͤndiſchen Ordensmeiſter, ten, da ſie an ſtreitbarer Manſchaft noch keine 1500 Man ausmachten. Die Voͤlker des Erzſtifts Riga hielt man fuͤr eben ſo ſtark, und wartete ſehnlich nach ihrer Ankunft; allein der Erzbiſchof fand ſich mit einer Entſchuldigung ein, welchem Beiſpiel die Biſchoͤfe von Oeſel, Harrien und Wirland folgten. Das Gebiet von Vellin aber muſte bey Kettlern in Eſtland bleiben. Dieſer Umſtand ſetzte Fuͤrſtenbergen in groſſe Verlegenheit, ſo daß er den Ruſſen ſchon etliche Veſtungen uͤbergeben wolte, welches jedoch die Doͤrptiſchen durch vieles Bitten noch hintertrieben. Die Unordnung und das Gezaͤnke kam gar ſo weit, das wenig daran fehlte, daß der Orden und die Doͤrptiſchen ſich uͤbern Haufen geworfen, und ſelbſt erwuͤrget haͤtten, wie denn etliche toͤdlich verwun- det, viele aber in die groͤſte Lebensgefahr geſtuͤrzet wurden. Der Biſchof von Doͤrpt eilte nach ſeiner Stadt zu, um ſelbige in Vertheidigungsſtand zu ſetzen, welches alles dem Orden wenig Luſt machte, im Felde zu bleiben, im Gegentheil vielmehr Anlas gab, daß man alles Unheil unſchuldigen Leuten zur Laſt legen wol- te, und ihnen den damals nicht ungewoͤhnlichen Namen der Landesverraͤther zur Beſchimpfung anhieng. 1558 Die rußiſche Armee wandte ſich von Narva nach dem Schloſſe Neuen- haus, in welchem ſich eine Beſatzung von 80 Man und etlichen Bauren befand, uͤber welche Georg Uxkuͤl von Padenorm Hauptman war. Die Ruſſen lagen 6 Wochen lang davor, waͤhrend welcher Zeit durch das unaufhoͤrliche Be- ſchieſſen die Bruſtwehre, die Mantelmauer und ein Thurm eingeſchoſſen, etliche Manſchaft getoͤdtet, und den Belagerten ein vortheilhafter Vergleich war angebo- ten worden. Ob nun gleich der tapfere Uxkuͤl von keiner Uebergabe hoͤren wol- te, ſo konte doch niemand vor Muͤdigkeit mehr fechten; ja die Soldaten droheten gar ihren Hauptman uͤber die Mauren zu henken, wenn er die angebotenen Be- dingungen ausſchlagen wuͤrde. Er muſte ſich alſo in die Zeit ſchicken, und behielt beim Auszuge wenige von ſeinen Leuten bey ſich, weil die meiſten von freien Stuͤ- cken bey den Ruſſen Dienſte nahmen. Der Biſchof hielt dieſes Neuenhaus fuͤr den Schluͤſſel zu Doͤrpt; da es alſo Fuͤrſtenberg nicht entſetzen konte, ob ſich gleich der Biſchof Rechnung darauf machte, ſo wuͤrkte dieſes auf beiden Seiten ein neues Misverſtaͤndnis. Der Biſchof hatte unterſchiedliche Unterredungen mit Chriſtoph Muͤnnichhauſen und Johan Soͤgen, ſeinen Raͤthen, wo- zu er auch den Stiftsvogt Kruſen aus dem herrmeiſterlichen Lager verſchrieben; auf die Nachricht von der Uebergabe des neuen Hauſes aber war es zu ſpaͤt, das neue Project auszufuͤhren, und den Koͤnig von Daͤnnemark Chriſtian den IIIten um Schutz und ſchleunige Huͤlfe anzurufen. Die Eroberung dieſes wichtigen Platzes zog viele andre Wiederwaͤrtigkeiten nach ſich. Der Ordensmeiſter trauete denen in Doͤrpt ſo wenig als den Ruſ- ſen, und brach in moͤglichſter Eil vor Kyrenpeh auf, zog ſich nach Walck in ſein Ordensgebiete, und Kettler muſte mit eigener groſſen Gefahr dieſen Ruͤckzug bedecken. Das Schlos Kyrenpeh, worinnen aller Lebens und Kriegsvorrath aufgeſchuͤttet lag, wurde auf Fuͤrſtenbergs Befehl in Brand geſtecket, und die deutſche Beſatzung herausgezogen. Die Bauren hingegen liefen wieder hinauf, loͤſchten die Glut, ſoffen ſich in Meth, Wein und Bier tol und vol, ſchickten nachher einen aus ihrem Mittel an die Ruſſen ab, mit Vermelden, die Deut- ſchen waͤren weg; ſie koͤnten das Schlos beſetzen. Die Ruſſen ſaͤumten nicht, ſchickten aber eine Parthey von ihren Voͤlkern dem fluͤchtenden Ordensheer nach, die auch mit dem Nachtrab der Deutſchen blutige Scharmuͤtzel hatten; wobey Kettler, weil er vom Pferde ſtuͤrzte, bald gefangen worden waͤre, wenn nicht Fuͤrſtenberg ſich umgewandt und zur Unterſtuͤtzung deſſelben herbey geeilet waͤre. Die Hitze war fuͤr Menſchen und Pferde ſo gros, daß etliche in ihrem Harniſch erſtickten, und umfielen. Man erreichte nach Abwerfung einiger Bruͤcken einen Heuſchlag bey der olzenſchen See, und lagerte ſich den folgenden Tag zu Wal- ke. Hier faſten die Staͤnde einen geſchwinden Entſchlus, und noͤthigten bey Fuͤr-

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik02_1753/252>, abgerufen am 22.12.2024.