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Leutwein, Lorenz Friedrich: Einladungsschrift bey dem feyerlichen Redeakt welcher den 19ten April in allhiesigem Gymnasio von dreyen Zöglingen welche Akademien beziehen wollen gehalten werden soll. Schwäbisch Hall, 1797.

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jenigen Dinge selbst, die daselbst vorgetragen werden; sondern auch in An-
lehnung der Methode und Art des Unterrichts, ja des ganzen Verhaltens des
Lehrers. Letzteres nun ist von ganz besonderer Wichtigkeit, und wohl zu
überlegen. Der Schulunterricht, je mehr er sich der Sokratischen Lehrart
nähert, desto besser und vorzüglicher ist er. Ein Lehrer auf Schulen, der
nach Art der Professoren nur selbst spricht, ist weit von dem Ziel der Voll-
kommenheit eines ächten Schulmannes entfernt, mißkennt vielmehr gänzlich
seine Bestimmung. Nun wie wird ein Jüngling, dessen Denkkraft noch die
gehörige Reife nicht erhalten hat, den freyen Vortrag des akademischen Leh-
rers fassen können, wo der Lehrer blos spricht, nie fragt? wie wird er
einen zusammen hängenden und fortlaufenden Vortrag über die abzuhandelnde
dem Jüngling ganz fremde Gegenstände verstehen? Wo sich noch dazu der
Lehrer selten bemüht so ganz sich in die Fassungskraft seiner jedesmahligen
Zuhörer hinein zu studieren, wie diß der Lehrer auf Schulen thun muß, und
auch thun kann, welches bey dem akademischen Lehrer der Fall nicht ist, des-
sen Auditorium zu sehr vermischt ist, und der nie Gelegenheit hat die Stufen
ihrer Einsichten und Kenntnisse zu prüfen. Hiezu kommt noch diß, daß der
akademische Lehrer um das sittliche Betragen der akademischen Lehrlinge keine
Sorge zu tragen hat, über ihren Fleiß nicht verantwortlich, der Jüngling
mithin ganz sich selbst überlassen ist. Wie ist es nun zu hoffen, daß der
sich selbst ungewohnter Freyheit überlassene, noch in dem Umgang mit Men-
schen unerfahrene, in Vorerkenntnissen noch nicht genug geübte, noch zu sehr
von jugendlichen Leichtsinn hingerissene Jüngling - daß, sage ich, dieser
dasjenige erlerne, was er sollte, oder was er könnte, wenn er ein reiferes
Alter erreicht, gesezter wäre, und seine Schulstudien vollkommen geendet
hätte? Nun lehrt die Erfahrung auf das deutlichste, welches alle Schul-
männer einmüthig bezeigen werden, daß der Fortgang, den der Jüngling in
den lezten Jahren auf Schulen macht, ungleich größer ist, als der, den er
in denen vorhergehenden Jahren gemacht hat. Die Geistes-Gaben, beson-
ders die zum Studiren so nöthige Beurtheilungskraft, der Geschmack an
Lektüre und Wissenschaften erwacht bey dem einen Jüngling früher, bey

dem
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jenigen Dinge selbst, die daselbst vorgetragen werden; sondern auch in An-
lehnung der Methode und Art des Unterrichts, ja des ganzen Verhaltens des
Lehrers. Letzteres nun ist von ganz besonderer Wichtigkeit, und wohl zu
überlegen. Der Schulunterricht, je mehr er sich der Sokratischen Lehrart
nähert, desto besser und vorzüglicher ist er. Ein Lehrer auf Schulen, der
nach Art der Professoren nur selbst spricht, ist weit von dem Ziel der Voll-
kommenheit eines ächten Schulmannes entfernt, mißkennt vielmehr gänzlich
seine Bestimmung. Nun wie wird ein Jüngling, dessen Denkkraft noch die
gehörige Reife nicht erhalten hat, den freyen Vortrag des akademischen Leh-
rers fassen können, wo der Lehrer blos spricht, nie fragt? wie wird er
einen zusammen hängenden und fortlaufenden Vortrag über die abzuhandelnde
dem Jüngling ganz fremde Gegenstände verstehen? Wo sich noch dazu der
Lehrer selten bemüht so ganz sich in die Fassungskraft seiner jedesmahligen
Zuhörer hinein zu studieren, wie diß der Lehrer auf Schulen thun muß, und
auch thun kann, welches bey dem akademischen Lehrer der Fall nicht ist, des-
sen Auditorium zu sehr vermischt ist, und der nie Gelegenheit hat die Stufen
ihrer Einsichten und Kenntnisse zu prüfen. Hiezu kommt noch diß, daß der
akademische Lehrer um das sittliche Betragen der akademischen Lehrlinge keine
Sorge zu tragen hat, über ihren Fleiß nicht verantwortlich, der Jüngling
mithin ganz sich selbst überlassen ist. Wie ist es nun zu hoffen, daß der
sich selbst ungewohnter Freyheit überlassene, noch in dem Umgang mit Men-
schen unerfahrene, in Vorerkenntnissen noch nicht genug geübte, noch zu sehr
von jugendlichen Leichtsinn hingerissene Jüngling – daß, sage ich, dieser
dasjenige erlerne, was er sollte, oder was er könnte, wenn er ein reiferes
Alter erreicht, gesezter wäre, und seine Schulstudien vollkommen geendet
hätte? Nun lehrt die Erfahrung auf das deutlichste, welches alle Schul-
männer einmüthig bezeigen werden, daß der Fortgang, den der Jüngling in
den lezten Jahren auf Schulen macht, ungleich größer ist, als der, den er
in denen vorhergehenden Jahren gemacht hat. Die Geistes-Gaben, beson-
ders die zum Studiren so nöthige Beurtheilungskraft, der Geschmack an
Lektüre und Wissenschaften erwacht bey dem einen Jüngling früher, bey

dem
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[13/0013] jenigen Dinge selbst, die daselbst vorgetragen werden; sondern auch in An- lehnung der Methode und Art des Unterrichts, ja des ganzen Verhaltens des Lehrers. Letzteres nun ist von ganz besonderer Wichtigkeit, und wohl zu überlegen. Der Schulunterricht, je mehr er sich der Sokratischen Lehrart nähert, desto besser und vorzüglicher ist er. Ein Lehrer auf Schulen, der nach Art der Professoren nur selbst spricht, ist weit von dem Ziel der Voll- kommenheit eines ächten Schulmannes entfernt, mißkennt vielmehr gänzlich seine Bestimmung. Nun wie wird ein Jüngling, dessen Denkkraft noch die gehörige Reife nicht erhalten hat, den freyen Vortrag des akademischen Leh- rers fassen können, wo der Lehrer blos spricht, nie fragt? wie wird er einen zusammen hängenden und fortlaufenden Vortrag über die abzuhandelnde dem Jüngling ganz fremde Gegenstände verstehen? Wo sich noch dazu der Lehrer selten bemüht so ganz sich in die Fassungskraft seiner jedesmahligen Zuhörer hinein zu studieren, wie diß der Lehrer auf Schulen thun muß, und auch thun kann, welches bey dem akademischen Lehrer der Fall nicht ist, des- sen Auditorium zu sehr vermischt ist, und der nie Gelegenheit hat die Stufen ihrer Einsichten und Kenntnisse zu prüfen. Hiezu kommt noch diß, daß der akademische Lehrer um das sittliche Betragen der akademischen Lehrlinge keine Sorge zu tragen hat, über ihren Fleiß nicht verantwortlich, der Jüngling mithin ganz sich selbst überlassen ist. Wie ist es nun zu hoffen, daß der sich selbst ungewohnter Freyheit überlassene, noch in dem Umgang mit Men- schen unerfahrene, in Vorerkenntnissen noch nicht genug geübte, noch zu sehr von jugendlichen Leichtsinn hingerissene Jüngling – daß, sage ich, dieser dasjenige erlerne, was er sollte, oder was er könnte, wenn er ein reiferes Alter erreicht, gesezter wäre, und seine Schulstudien vollkommen geendet hätte? Nun lehrt die Erfahrung auf das deutlichste, welches alle Schul- männer einmüthig bezeigen werden, daß der Fortgang, den der Jüngling in den lezten Jahren auf Schulen macht, ungleich größer ist, als der, den er in denen vorhergehenden Jahren gemacht hat. Die Geistes-Gaben, beson- ders die zum Studiren so nöthige Beurtheilungskraft, der Geschmack an Lektüre und Wissenschaften erwacht bey dem einen Jüngling früher, bey dem B 3

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Zitationshilfe: Leutwein, Lorenz Friedrich: Einladungsschrift bey dem feyerlichen Redeakt welcher den 19ten April in allhiesigem Gymnasio von dreyen Zöglingen welche Akademien beziehen wollen gehalten werden soll. Schwäbisch Hall, 1797, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/leutwein_einladungsschrift_1797/13>, abgerufen am 21.11.2024.