Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870.diese Täuschung aufrecht erhalten, weil, nach seiner Ansicht, die Autorität des Familienoberhauptes darunter gelitten haben würde, wenn er eingestanden hätte, daß seine dreißigjährige glücklich begabte Tochter sich ihr Brod jetzt selbst zu verdienen im Stande sei. Und das that derselbe Mann, der mir die Erlaubniß zu diesem Broderwerb gegeben, der Freude an meinen Arbeiten, der die größte Achtung vor dem Beruf des Dichters und des Schriftstellers empfand, der stolz darauf war, seine Söhne in geachteten Stellungen selbstständig zu wissen. So tief war noch vor achtundzwanzig Jahren das Vorurtheil auch in den aufgeklärtesten Männern der gebildeten und sogenannten höheren Stände eingewurzelt, daß der Müßiggang und die Abhängigkeit ihrer Töchter eine Ehrensache für sie sei. Sie hielten eine Pflicht, die ihnen oft sehr schwer zu erfüllen war, für ein Ehrenrecht, und opferten diesem falschen Ehrbegriff in unzähligen Fällen das Lebensglück ihrer Töchter. Sie schienen gar nicht zu sehen, was in solcher Lage Hunderte von Mädchen empfunden haben und heute noch empfinden, daß die Negersclavin, die für ihren Herren Werth hat, wenn er sie nebenbei nur gut behandelte, ein weit befriedigteres Ehrgefühl und Gewissen haben konnte als wir, die wir das Bewußtsein mit uns herumtrugen, daß wir denen, welche wir auf der Welt am meisten liebten, daß wir unsern Vätern, unsern Brüdern, eine drückende Sorge, eine schwere Last waren, und die wir, wenn wir diese Täuschung aufrecht erhalten, weil, nach seiner Ansicht, die Autorität des Familienoberhauptes darunter gelitten haben würde, wenn er eingestanden hätte, daß seine dreißigjährige glücklich begabte Tochter sich ihr Brod jetzt selbst zu verdienen im Stande sei. Und das that derselbe Mann, der mir die Erlaubniß zu diesem Broderwerb gegeben, der Freude an meinen Arbeiten, der die größte Achtung vor dem Beruf des Dichters und des Schriftstellers empfand, der stolz darauf war, seine Söhne in geachteten Stellungen selbstständig zu wissen. So tief war noch vor achtundzwanzig Jahren das Vorurtheil auch in den aufgeklärtesten Männern der gebildeten und sogenannten höheren Stände eingewurzelt, daß der Müßiggang und die Abhängigkeit ihrer Töchter eine Ehrensache für sie sei. Sie hielten eine Pflicht, die ihnen oft sehr schwer zu erfüllen war, für ein Ehrenrecht, und opferten diesem falschen Ehrbegriff in unzähligen Fällen das Lebensglück ihrer Töchter. Sie schienen gar nicht zu sehen, was in solcher Lage Hunderte von Mädchen empfunden haben und heute noch empfinden, daß die Negersclavin, die für ihren Herren Werth hat, wenn er sie nebenbei nur gut behandelte, ein weit befriedigteres Ehrgefühl und Gewissen haben konnte als wir, die wir das Bewußtsein mit uns herumtrugen, daß wir denen, welche wir auf der Welt am meisten liebten, daß wir unsern Vätern, unsern Brüdern, eine drückende Sorge, eine schwere Last waren, und die wir, wenn wir <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0028" n="18"/> diese Täuschung aufrecht erhalten, weil, nach seiner Ansicht, die Autorität des Familienoberhauptes darunter gelitten haben würde, wenn er eingestanden hätte, daß seine dreißigjährige glücklich begabte Tochter sich ihr Brod jetzt selbst zu verdienen im Stande sei. Und das that derselbe Mann, der mir die Erlaubniß zu diesem Broderwerb gegeben, der Freude an meinen Arbeiten, der die größte Achtung vor dem Beruf des Dichters und des Schriftstellers empfand, der stolz darauf war, seine Söhne in geachteten Stellungen selbstständig zu wissen.</p> <p>So tief war noch vor achtundzwanzig Jahren das Vorurtheil auch in den aufgeklärtesten Männern der gebildeten und sogenannten höheren Stände eingewurzelt, daß der Müßiggang und die Abhängigkeit ihrer Töchter eine Ehrensache für sie sei. Sie hielten eine Pflicht, die ihnen oft sehr schwer zu erfüllen war, für ein Ehrenrecht, und opferten diesem falschen Ehrbegriff in unzähligen Fällen das Lebensglück ihrer Töchter. Sie schienen gar nicht zu sehen, was in solcher Lage Hunderte von Mädchen empfunden haben und heute noch empfinden, daß die Negersclavin, die für ihren Herren <hi rendition="#g">Werth</hi> hat, wenn er sie nebenbei nur gut behandelte, ein weit befriedigteres Ehrgefühl und Gewissen haben konnte als wir, die wir das Bewußtsein mit uns herumtrugen, daß wir denen, welche wir auf der Welt am meisten liebten, daß wir unsern Vätern, unsern Brüdern, eine drückende Sorge, eine schwere Last waren, und die wir, wenn wir </p> </div> </body> </text> </TEI> [18/0028]
diese Täuschung aufrecht erhalten, weil, nach seiner Ansicht, die Autorität des Familienoberhauptes darunter gelitten haben würde, wenn er eingestanden hätte, daß seine dreißigjährige glücklich begabte Tochter sich ihr Brod jetzt selbst zu verdienen im Stande sei. Und das that derselbe Mann, der mir die Erlaubniß zu diesem Broderwerb gegeben, der Freude an meinen Arbeiten, der die größte Achtung vor dem Beruf des Dichters und des Schriftstellers empfand, der stolz darauf war, seine Söhne in geachteten Stellungen selbstständig zu wissen.
So tief war noch vor achtundzwanzig Jahren das Vorurtheil auch in den aufgeklärtesten Männern der gebildeten und sogenannten höheren Stände eingewurzelt, daß der Müßiggang und die Abhängigkeit ihrer Töchter eine Ehrensache für sie sei. Sie hielten eine Pflicht, die ihnen oft sehr schwer zu erfüllen war, für ein Ehrenrecht, und opferten diesem falschen Ehrbegriff in unzähligen Fällen das Lebensglück ihrer Töchter. Sie schienen gar nicht zu sehen, was in solcher Lage Hunderte von Mädchen empfunden haben und heute noch empfinden, daß die Negersclavin, die für ihren Herren Werth hat, wenn er sie nebenbei nur gut behandelte, ein weit befriedigteres Ehrgefühl und Gewissen haben konnte als wir, die wir das Bewußtsein mit uns herumtrugen, daß wir denen, welche wir auf der Welt am meisten liebten, daß wir unsern Vätern, unsern Brüdern, eine drückende Sorge, eine schwere Last waren, und die wir, wenn wir
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